Süddeutsche Zeitung

Homosexualität in Israel:Mit Regenbogen-Flagge und Davidstern

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Gläubiger Jude und bekennender Schwuler? Das galt in Israel bislang als unvereinbar. Doch verschiedene Organisationen werben dafür, dass Israelis beides leben können: ihren Glauben und ihre sexuelle Orientierung. Dabei stoßen sie auf großes Interesse und viele Widerstände.

Peter Münch, Jerusalem

Natürlich fängt alles wieder mit Moses an. "Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau, es ist ein Gräuel", heißt es im 3. Buch, "und alle, die solche Gräuel tun, werden ausgerottet werden aus ihrem Volk." So spricht der Herr, und das ist deutlich. Daniel Jonas aber reckt sich hoch auf seinem Sofa - auf dem Kopf trägt er die Kippa, die ihn als gläubigen Juden ausweist, auf dem Wohnzimmertisch liegt ein Buch mit dem Titel "Der Eros und die Juden" - , und er sagt: "Du kannst beides sein, orthodox und schwul. Du musst dich dafür nicht schämen, du kannst stolz darauf sein."

Dies ist ein Glaubens- und ein Lebensbekenntnis, das alles andere als selbstverständlich ist in der Welt, in der Daniel Jonas, 29, aufgewachsen ist und lebt. Gewiss, Israel ist ein liberales Land, in dem gleichgeschlechtliche Partnerschaften oft selbstverständlicher gelebt werden als in vielen anderen westlichen Staaten. Tel Aviv preist sich als globale Gay-Metropole an - und doch bleibt das Thema zumindest in religiösen Kreisen ein Tabu. Homosexualität gilt hier bestenfalls als Sünde, für viele ist es sogar eine Krankheit.

Aufhören, religiös zu sein, im Verborgenen bleiben oder sich umbringen

Ein Abgeordneter der mitregierenden ultra-orthodoxen Schas-Partei gab zu Protokoll, Schwule würden "die Zerstörung des jüdischen Volks vorantreiben". Er empfahl gegen diese "Epidemie" Maßnahmen wie gegen die Vogelgrippe. Ein anderer Schas-Parlamentarier machte Schwule ob ihres sündigen Treibens für ein von Gott geschicktes Erdbeben verantwortlich, und Eli Jischai, der Innenminister, nennt sie eine "Minderheit mit Normdefekt".

Daniel Jonas aber bleibt gelassen und sagt: "Persönlich habe ich aufgehört, mich darüber zu ärgern. Denn ich sehe auch große, ja sehr große Fortschritte." Den Fortschritt schreibt er nicht zuletzt der Organisation namens "Havruta" zu, auf Deutsch "Kameradschaft", die er zusammen mit ein paar Gleichgesinnten gegründet hat. Es ist ein Forum für all die religiösen Schwulen, die mit einem großen Zwiespalt leben müssen: der von außen aufgezwungenen Entscheidung zwischen ihrem Glauben und ihrer sexuellen Orientierung.

Früher habe es nur drei Möglichkeiten gegeben, damit umzugehen, erklärt Daniel Jonas mit drastischer Deutlichkeit: aufzuhören, religiös zu sein, im Verborgenen zu bleiben oder sich umzubringen. Heute gibt es die vierte Möglichkeit: sich zusammenzuschließen und die Veränderung in den jüdischen Gemeinden voranzutreiben.

"Fast täglich kriege ich Anrufe von Ultra-Orthodoxen"

Einmal im Monat veranstaltet Havruta eine Zusammenkunft - mal in Jerusalem, mal in Tel Aviv, mal in Haifa. Es werden Filme gezeigt, Vorträge gehört oder es wird Wein getestet, und von Zeit zu Zeit kommen sie auch zum Gebet zusammen, zum sogenannten Pride Prayer. "Die Idee dahinter ist es, den Leuten das Gefühl zu geben, dass sie nicht allein sind, dass sie Freunde haben", sagt Daniel Jonas. Vertreten sei dabei "das ganze Spektrum" des Judentums bis hin zu den Männer mit den Schläfenlocken. "Fast täglich kriege ich Anrufe von Ultra-Orthodoxen", erzählt Jonas. Meist seien sie verheiratet und suchten Rat, wie sie mit ihrer Homosexualität umgehen könnten. Denn in ihrer abgeschotteten Gesellschaft sei es immer noch absolut unmöglich, sich offen zu bekennen. "Sie würden hinausgejagt aus ihrer Gemeinde", meint Jonas.

Havruta aber will Flagge zeigen, die Regenbogen-Flagge mit dem Davidstern - und eine der besten Gelegenheit dazu bietet sich alljährlich bei den Gay-Pride-Paraden. Daniel Jonas marschiert in Tel Aviv und in Jerusalem mit, doch während unten in der Metropole am Meer Zehntausende eine schrille Party feiern, findet oben im hochheiligen Jerusalem der Umzug unter Polizeischutz statt. 2005 war ein aufgebrachter Ultra-Orthodoxer mit dem Messer auf Teilnehmer losgegangen, Proteste begleiten die Paraden bis heute.

Daniel Jonas berichtet von einem Freund, der beim Umzug in Jerusalem dabei sein wollte, ohne sich zu outen. Er hat sich einfach unter die ultra-orthodoxen Demonstranten gemischt und so unerkannt seinen persönlichen Christopher Street Day gefeiert. Jonas selbst aber läuft mittlerweile stolz vorneweg, und sogar in Tel Aviv erregt er durchaus Aufsehen im bunten Zug - nämlich mit der Kippa auf dem Kopf. Religiöse Schwule, das hat er dabei gelernt, sind auch in der Szene etwas Besonderes. "Wir haben also beiden Seiten etwas zu sagen", meint Jonas, "wir wollen eine Brücke zwischen der religiösen und der Schwulen-Gemeinde."

Bis zur vollen Akzeptanz ist es noch ein weiter Weg

Erreicht wurde in den letzten Jahren immerhin, dass über Homosexualität diskutiert wird in religiösen Kreisen. Auch lesbische Jüdinnen haben ihre eigene Organisation namens "Bat Kol" gegründet, in der Küstenstadt Netanja outete sich der erste Rabbi, und 2010 veröffentlichten 200 Rabbiner und prominente Mitglieder der orthodoxen Glaubensrichtung eine viel beachtete "Prinzipienerklärung", in der sie dazu aufriefen, "Homosexuelle mit Würde und Respekt zu behandeln".

Oft aber wird dies höchstens als stillschweigende Duldung praktiziert, zur vollen Akzeptanz ist es noch ein weiter Weg. Denn immer noch haben Leute wie der ultra-orthodoxe Psychologe Adam Jessel Zulauf, der Therapien anbietet zur Heilung von Homosexualität, damit die Männer anschließend heiraten können. Viel Zustimmung fand überdies der Rabbiner Areleh Harel, der auf die Idee kam, aus schwulen Männern und lesbischen Frauen koschere jüdische Familien zu bilden. "Furchtbar" findet Daniel Jonas all dies, doch er sieht selbst darin einen positiven Ansatz. Immerhin werde anerkannt, dass es sich beim Umgang mit der Homosexualität "mehr um eine soziale als um eine religiöse Frage handelt", denn bei der Ehe gehe es schließlich um die "Erfüllung einer sozialen Norm".

Für das 3. Buch Mose und die angeblichen Gräuel der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft bietet Daniel Jonas mehrere mögliche Wege an, um damit umzugehen. "Erstens: Ich weiß, es ist verboten, aber es ist egal. Zweitens: Ich habe sexuelle Beziehungen, umgehe aber den Wortlaut des Verbots. Drittens: Ich tue es und fühle mich schlecht dabei. Viertens: Was geschrieben steht, ist richtig für die damalige Zeit, aber heute müssen wir das anders sehen." Wie er es selbst hält, will er nicht sagen. Schon die Frage habe eine "homophobe Grundlage", meint er. "Ich habe jedenfalls noch nie gehört, dass andere Paare gefragt werden, ob sie alle sexuellen Regeln einhalten."

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SZ vom 27.02.2012
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