Süddeutsche Zeitung

Dem Geheimnis auf der Spur:Das verschwundene Grab

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Hans Holbein war einer der bekanntesten Künstler der Renaissance. Aber bis heute weiß niemand, wo der Maler begraben wurde.

Von Sofia Glasl

Wer sich an den Hof des englischen Königs Heinrich VIII. begab, musste sich auf das Schlimmste gefasst machen. Enthauptete Gattinnen, annullierte Ehen und hingerichtete Berater waren bei ihm keine Seltenheit. Aber wie so oft bei Hofe: Wer in seiner Gunst stand, hatte ein angenehmes Leben. Sein deutscher Hofmaler Hans Holbein der Jüngere, ein Schützling von Thomas More und Thomas Cromwell, begab sich 1536 in seinen Dienst und stieg schnell zum Star in London auf.

In gewisser Weise passten Holbeins Arbeiten auf ironische Weise zu den rauen Verhältnissen bei Hofe: In seinen Bildern schwingt auch immer der Tod mit, etwa in dem Doppelporträt "Die Gesandten" (1533), auf dem ein verzerrter Totenkopf all die Insignien der Macht, Religion und Wissenschaft, die Holbein den Porträtierten beigegeben hat, beinahe überlagert. In der Holzschnitt-Serie "Totentanz" (um 1530) reißt der Tod Menschen aus allen Ständen mitten aus dem Leben.

Auf Stationen in Basel und Frankreich hatte es der gebürtige Augsburger Holbein mit Buchillustrationen, Kirchenfenstern und religiösen Motiven zu einer gewissen Bekanntheit gebracht. Sein "Der Leichnam Christi im Grabe" (1522) wurde erst nachträglich zu einer der wichtigsten Jesusdarstellungen. Der Baseler Bildersturm 1529 ist vermutlich daran schuld, dass das Gemälde von der Familie, die es beauftragt hatte, nicht öffentlich gezeigt wurde. Bewaffnete Reformatoren waren im Februar durch die Stadt gezogen und hatten christliche Kunst als Götzenbilder zerstört. Holbein konzentrierte sich fortan auf die Porträtmalerei, erhielt immer größere Aufträge von reichen Familien und wurde zu einem der begehrtesten Maler der Renaissance.

Für Heinrich VIII. erschuf er in gewisser Weise dessen Ahnengalerie und malte ehemalige Könige. Es spreche nichts dagegen, die Toten neu zu erfinden, solange es plausibel ist, lässt die Schriftstellerin Hilary Mantel Heinrichs Berater Thomas Cromwell in ihrem historischen Roman "Wölfe" verlautbaren. Holbein richtete sich im Londoner Stadtteil Aldgate ein, hatte hie und da Geliebte und zwei uneheliche Kinder. Sucht man heute in der britischen Hauptstadt nach seinen Spuren, sind sie natürlich in den Gemäldegalerien zu finden, auch sein Wohnsitz im Bezirk Aldgate ist noch nachzuvollziehen. Holbein wohnte im Einzugsgebiet der Kirche St. Andrew Undershaft - eines der wenigen Gotteshäuser, das sowohl den Großen Brand von London 1666 als auch den Zweiten Weltkrieg überstand.

Starb er an der Pest und wurde in einem anonymen Massengrab verscharrt?

Doch wer nach Holbeins Grab sucht, wird schnell stutzig, obwohl klar ist, dass er im Jahr 1543 mit 46 Jahren in London verstorben ist: Das Datum seines Todes muss zwischen den 7. Oktober, an dem er sein Testament beglaubigen ließ, und den 29. November gefallen sein - der Tag, an dem sich sein Nachbar Hans von Antwerpen um Holbeins Nachlass kümmerte. Auf dem Gemeindefriedhof sucht man jedoch vergeblich nach einem Grabstein mit dem Namen des Malers. Der damalige Earl of Arundel, den Holbein zu Lebzeiten porträtiert hatte, nahm an, dass der Künstler auf dem benachbarten Friedhof von St. Katharine Cree begraben läge. Er wollte vor der Kirche ein Denkmal zu Ehren des Hofmalers aufstellen, konnte jedoch keinerlei Beleg für dessen Bestattung finden. Seither wird gerätselt, wo der Leichnam Holbeins beerdigt wurde.

Das Gerücht hält sich, dass Holbein 1543 während einer Pest-Epidemie in London starb und in einem unmarkierten Massengrab verscharrt wurde. Belege gibt es dafür nicht, allerdings wurden 1876 beim Bau der Aldgate-U-Bahnstation Massengräber, sogenannte "plague pits", von der Großen Pest von London 1665 gefunden. Möglicherweise waren dort bereits vorher schon Opfer der Krankheit begraben worden, und vielleicht war Holbein darunter, wenn er in seinem Heim an der Pest verstorben ist. Allerdings besuchten ihn angeblich Freunde am Sterbebett - was eher gegen eine Infektion mit der hochansteckenden Krankheit spricht.

Heinrich VIII. soll wegen eines misslungenen Porträts beleidigt gewesen sein

Eine weitere Theorie bringt wieder König Heinrich und dessen, nun ja, nachtragende Art ins Spiel: Holbein nämlich sollte ihm im Jahr 1539 bei der erneuten Brautschau helfen. Die funktionierte damals in adligen Kreisen gerne nach politischen, aber auch nach optischen Kriterien. Nun konnten die Könige damals nicht einfach in einer Dating-App schnell nach rechts oder links wischen, sondern mussten in meist entlegene Herzogtümer oder Königreiche reisen, um das Antlitz einer passenden Kandidatin zu Gesicht zu bekommen. Wem die Reise zu weit oder wegen dringender Regierungsgeschäfte nicht möglich war, der engagierte eben einen Porträtmaler, der an seiner Statt den Weg auf sich nahm.

Eben das machte König Heinrich VIII., als er sich 1539 aus politischen Gründen nach einer neuen Frau umsah - die Ehe mit Katharina von Aragon war mangels eines Thronfolgers annulliert, Anne Boleyn wegen Ehebruchs enthauptet worden, und seine Frau Jane Seymour war im Kindbett gestorben. So schickte Heinrich also Hans Holbein nach Westfalen, um die Tochter des Herzogs zu malen: Anna von Kleve. 1540 wurde die Trauung vollzogen, doch die Ehe bald darauf wieder gelöst - Heinrich soll beleidigt gewesen sein, weil die echte Frau in seinen Augen nicht an Holbeins Porträt heranreichte. Sie wurde verschont und als "Schwester des Königs" weiter finanziert. Holbein jedoch büßte einiges an Heinrichs Gunst ein und durfte fortan keine Porträts der Königsfamilie mehr malen.

Ob Holbein deshalb ein standesgemäßes Begräbnis verwehrt wurde, ist reine Spekulation und wäre vermutlich eher der Stoff für einen reißerischen Historienschinken. In seinem Testament hatte er allerdings keine Vorkehrungen für seine Beerdigung getroffen, und es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass für den "stranger", wie Ausländer auch damals abfällig bezeichnet wurden, sonst niemand aufkommen wollte.

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