Süddeutsche Zeitung

Historie des Karnevals:Närrische Herrschaftskritik

Lesezeit: 6 min

Von Uwe Ritzer

Die betuchten Bürgersöhne hatten genug. All die Verbote, das militärische Gehabe, der Fimmel der preußischen Besatzer für blank polierte Uniformen, in denen sie durch die Stadt stolzierten.

Gewiss, die Kölner schlugen bisweilen arg über die Stränge, was schon vorher unter Napoleons Herrschaft zu Ärger und Verboten geführt hatte. Vor allem das einfache Volk auf den Straßen trieb es ziemlich ordinär und ausschweifend, roh und rüpelhaft. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die ziemlich spaßfreie preußische Obrigkeit den Karneval verbieten würde.

Karneval als Spitze gegen die preußischen Besatzer

Disziplin und Ordnung, wie die Preußen sie verstanden, war nicht nach dem Geschmack der von Haus aus aufmüpfigen und sinnesfrohen Kölner. Also sannen die Bürgersöhne darüber nach, wie sie den Karneval in neue, geordnete Bahnen lenken und sich gleichzeitig über die preußischen Spaßverderber lustig machen könnten. Sie gründeten ein festordnendes Comité.

Man schrieb das Jahr 1823, und es wurde zum Ursprung des heutigen Kölner Karnevals: mit Rosenmontagszug und Dreigestirn, bestehend aus Prinz, Bauer und Jungfrau. Und mit allerhand Marsch- und Uniform-Tamtam. "Das war damals eine Militär-Parodie, eine Spitze gegen die preußischen Besatzer", sagt Daniela Sandner.

Die Volkskundlerin empfängt am Eingang eines alten, bunt bemalten Hauses mitten im mainfränkischen Weinstädtchen Kitzingen, dem deutschen Fastnachtsmuseum.

Besuchern wird schnell klar: Vieles von dem, was heutzutage als belangloser Klamauk auf Narrenbühnen und in Fernseh-Prunksitzungen geboten wird, hat kaum noch mit Ursprung und Wesen dessen zu tun, was im Rheinland Karneval, im Badischen Fassenacht, in Altbayern Fasching oder andernorts Fastnacht heißt.

"Wir sind hier kein Gaudimuseum"

Etwa weil echte Narren Obrigkeiten verspotten und nicht mit Orden behängen, um sich wiederum mit den Behängten zu schmücken. Weil gute Büttenredner nicht nur Zoten reißen, sondern politisch-literarische Satire betreiben. Und weil der Fastnachtsbrauch in seinem Kern neben Klamauk, Spaß und Tanz vor allem eines ist: Opposition.

"Es ist ein Urbedürfnis des Menschen, ab und zu einmal richtig aus der Haut zu fahren", sagt Hans Driesel. 75 Jahre ist er alt, ein belesener Mann, der Goethe und bekannte Büttenredner gleichermaßen aus dem Kopf rezitieren kann.

Fünf Jahrzehnte ist der Schweinfurter als Redner selbst in der Bütt gestanden oder hat als Sitzungspräsident Narrenshows moderiert, zweimal auch im ZDF. Nun ist er im Ehrenamt künstlerischer Leiter im Kitzinger Fastnachtsmuseum. "Wir sind hier kein Gaudimuseum", sagt er.

Driesel, Sandner und Bernhard Schlereth, Vizepräsident des Bundes Deutscher Karneval (BDK) und Vertreter des Hausherrn, führen durch eine hochwertige historische Ausstellung.

Mit 500 Jahre alten Textbüchern für Narrenprediger (illustriert mit Holzschnitten Albrecht Dürers) oder Kostümen wie jenem des Mainzer Prinzen Carneval von 1893.

Das Museum erklärt fastnachtliche Symbole wie die Zahl 11, die Narrenkappe oder die Bütt. Vor allem aber: "Fastnachtsgeschichte ist auch Gesellschaftsgeschichte", sagt Sandner.

Ursprung der Tradition reicht mehr als 5000 Jahre zurück

Schon 3000 v. Chr. vertauschten Herren und Sklaven in Mesopotamien beim Feiern spielerisch ihre Rollen. Die Römer ehrten Gott Saturn mit ausschweifenden Sauf- und Fressgelagen, zogen sich dabei Tierhäute über und machten sich zu farbenprächtigen Umzügen auf. Bei diesen Saturnalien durfte jeder ungestraft sagen, was er wollte. Aber nur drei Tage lang.

Die Wurzeln der neuzeitlichen Fastnacht liegen im Spätmittelalter. Eine dunkle Zeit, bestimmt von den strengen Regeln der Kirche. So war in die Fastenzeit, jene 40 Tage vor dem Osterfest, eine Phase der Kasteiung, des Verzichts und der inneren Einkehr. Andernfalls drohte die Hölle.

"Die Leute haben gesoffen, gefressen, gehurt, gespottet und gelacht"

Fastnacht - der Begriff leitet sich aus der Nacht vor der Fastenzeit ab. "Die Leute haben gesoffen, gefressen, gehurt, gespottet und gelacht, bevor sie sich wieder ihrem Seelenheil widmen mussten", sagt Driesel. Eine Form des Ausbrechens und Aufbegehrens war das, eine raue, nach heutigen Maßstäben sogar menschenverachtende Angelegenheit. Viele Späße gingen auf Kosten Behinderter, die schikaniert und vorgeführt wurden - als Narren.

An den Herrscherhäusern wurde es chic, sich einen Spaßmacher zu halten, der nicht nur seinen Herrn samt Gefolge bei Laune hielt, sondern ihm auch parodierend und satirisch die Leviten lesen durfte.

Als berühmtester Vertreter dieses Genres gilt bis heute Till Eulenspiegel, wobei die Gelehrten streiten, ob es ihn je so gegeben hat wie überliefert. Er soll in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts gelebt haben und - so ist im Kitzinger Museum nachzulesen - "seinen Mitmenschen an Geisteskraft und Witz überlegen" gewesen sein. Was übrigens Till Eulenspiegel für die Deutschen, ist im türkisch-islamischen Raum Nasreddin Hodscha, der "Schelm vom Bosporus".

Singende und tanzende Metzger

Eulenspiegels Leben neigte sich bereits dem Ende zu, als 1349 in Nürnberg erstmals maskierte Metzger im Pulk singend und tanzend durch die Stadt zogen. Ihr Schembartlauf (der Begriff leitet sich von "bärtige Masken" ab) gilt als erster Fastnachtsumzug der Neuzeit.

Kaiser Karl IV. höchstselbst hatte den Metzgern dieses Privileg eingeräumt, als Dank dafür, dass sie bei einem Handwerkeraufstand zum Magistrat der Stadt gehalten hatten. Nun machten sie sich mit Verkleidungen über die städtische Kleiderordnung lustig, derzufolge nur Adelige und Patrizier in Samt und Seide gehen durften.

1539 war der Spaß übrigens vorbei. Nachdem die Schembartläufer den gestrengen protestantischen Prediger Andreas Osiander allzu lächerlich gemacht hatten, verbot die Nürnberger Obrigkeit den Umzug.

"Fastnacht hat sich immer auch der jeweiligen Zeit entsprechend gewandelt", sagt Bernhard Schlereth. Nach dem Leid und den Entbehrungen des Dreißigjährigen Krieges 1618-1648 überboten sich die Herrscherhäuser im Barock und Rokoko gegenseitig mit rauschenden, aufwendigen Kostüm- und Maskenbällen.

Das Bürgertum zog nach. Auf Jahrmärkten und Volksfesten tauchten vermehrt Maskenspieler auf. In Italien entwickelte sich die Commedia dell'Arte, eine maskierte Schauspieltruppe, die regelrecht auf Tournee ging. Das Land wurde zu einem Zentrum des europäischen Karnevals, was 1788 einen Reporter namens Johann Wolfgang von Goethe nach Rom lockte.

In seinem Korrespondentenbericht für das Journal des Luxus und der Mode zeigte sich der ansonsten Lustbarkeiten nicht abgeneigte Autor befremdet von den Ausschweifungen und den gefährlichen Pferderennen in Rom.

In Venedig entfaltete derweil der venezianische Maskenkarneval seine Pracht. Danach geriet er 200 Jahre in Vergessenheit. Erst 1976 wurde er durch Federico Fellinis Film "Casanova" wiederbelebt.

Büttenreden unter den Nazis

Für Diktaturen ist die Fastnacht in ihrer Unkontrollierbarkeit ein natürlicher Feind. Also versuchen sie, diesen zu vereinnahmen. Die Nationalsozialisten taten dies, indem sie Fastnacht einen germanisch-mystischen Hintergrund verordneten. Und natürlich die Kontrolle über die Brauchtumspflege übernahmen.

Auf Prunksitzungen und Umzügen wurde gegen Juden gehetzt, ein Kapitel, auf das die Herren des Frohsinns später höchst ungern angesprochen wurden. Kritik am Führerstaat gab es trotzdem, manchmal. Seppl Glückert etwa, einer der bekanntesten Mainzer Büttenredner, reimte 1933:

"Zum reden hier heut braucht mer Mut,

weil eh mer sich vergucken tut,

als Opfer seiner närrischen Kunst

kann einquartiert wer'n, ganz umsunst."

Zwei Jahre später nahm er sogar das Tabu-Wort Dachau in den Mund:

"Ja, ja, Kritik zu üben frei

so an Dachau knapp vorbei

Freude auslöst immer wieder

Ich kenn euch doch, ihr deutschen Brüder."

Um 11.11 Uhr erschien der Gauleiter

Das Lachen verging den Mainzer Narren jedoch spätestens am 6. März 1935. NS-Gauleiter Jakob Sprenger ließ zur üblichen Gestapo-Zeit in den frühen Morgenstunden das gesamte Karnevalskomitee verhaften. Alle wurden ins Central-Hotel verfrachtet und dort von der Polizei bewacht.

Genau um 11.11 Uhr erschien der Gauleiter. Es sei alles nur ein Scherz gewesen, behauptete er. Dann lud er die Fastnachter zum Katerfrühstück ein. Wohlwissend, dass die Aktion nachhaltige Wirkung gezeigt hatte, sagt Driesel, der diese Episode überliefert.

Die Stasi schickte Spitzel gegen die Narren aus

Etwa 40 Jahre später bemühte sich der Erfurter Rolf Fliedner, auch in der DDR die Fastnacht zu etablieren. "Satire und öffentliche Persiflage waren immer schon mein Hobby", sagt er. Auch das DDR-Regime nahm die Narren an die Kandare. Programme und Büttenreden mussten genehmigt werden. "Unser Vorteil war aber, dass die Menschen geübt waren, zwischen den Zeilen zu lesen und zu hören", sagt Fliedner.

So trat er 1983 als preußischer Gendarm in die Bütt - allein die Figur war schon eine Provokation in den Augen des SED-Staates. Listig, weil hintersinnig prangerte Fliedner Missstände in Erfurt und der DDR an. Die Folge: Die Stasi legte eine Akte über ihn an. Fürderhin wurde er unter dem Decknamen "Der Prediger" überwacht, nicht selten gleich von mehreren Spitzeln.

Kein Wagen zum Thema Charlie Hebdo

Nach der Wende las Fliedner seine mehrere Hundert Seiten dicke Stasi-Akte. Dabei fiel ihm auf, dass einer seiner Überwacher das Wort Verse konsequent mit F schrieb. Fliedners Eindruck: "Ich glaube, die haben mich damals nicht verstanden."

Die Kölner Karnevalisten haben beschlossen, bei ihrem diesjährigen Rosenmontagszug einen Motivwagen aus dem Programm zu nehmen, der sich satirisch mit den Anschlägen auf das Pariser Satiremagazin Charlie Hebdo auseinandersetzen wollte. Ein Unding, findet BDK-Vize Schlereth: "Die Aufgabe der Fastnacht war es zu allen Zeiten, die Dinge klar anzusprechen. Und zwar alle Dinge."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2346571
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.02.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.