Süddeutsche Zeitung

"Top Gun: Maverick" im Kino:Überflieger

Lesezeit: 5 min

Der Pilot und Hollywoodstar Tom Cruise zeigt in Cannes seinen Militärblockbuster "Top Gun: Maverick". Kann man das trotz echtem Krieg genießen?

Von David Steinitz

Tom Cruise liefert also schwere Waffen nach Frankreich. Am Mittwoch kam der Hollywoodstar zum Festival von Cannes für die Europapremiere von "Top Gun: Maverick", bevor der Actionfilm am 26. Mai regulär im Kino startet. Soldaten in prächtigen Uniformen, Militärbasen, Flugzeugträger, zweistrahlige F/A-18-Mehrzweckkampfflugzeuge - man hätte sich nicht gewundert, in der Schlange vor dem Kino Anton Hofreiter zu erwischen.

Tom Cruise, der im Juli 60 Jahre alt wird, hat auf der kalifornischen Militärbasis Miramar das "Aviation Survival Training Curriculum" der US-Navy absolviert, um sich auf den Film vorzubereiten. In Miramar wurden auch schon Szenen des ersten "Top Gun"-Films aus dem Jahr 1986 gedreht. Über Teil eins schrieb damals der legendäre Filmkritiker Roger Ebert den schönen Satz, dass er sich außerstande sehe, den Film abschließend zu beurteilen, weil die guten Szenen wirklich sehr gut seien - die schlechten aber eben auch phänomenal schlecht.

Vermutlich genau wegen dieser Mischung aus Kunst und Camp ist der Film längst ein Klassiker. Militärfreunde lieben ihn. Verehrer des Actionkinos auch. Liebhaber von Achtzigerjahre-Synthesizer-Soundtracks sowieso. Und als Meilenstein des gay cinema gilt "Top Gun" manchen Zuschauern ebenfalls, und das zurecht: So viele stramme Burschen, die ihr Leben größtenteils frauenfrei genießen und sich gegenseitig oben ohne beim Beachvolleyball zeigen, wie Schweißperlen auf einem Sixpack in der Sonne verdammt noch mal zu glänzen haben.

Die Irrungen und Wirrungen attraktiver Kampfjetpiloten kollidieren mit der Wirklichkeit

Es gibt also viele Fans und "Top Gun"-Nostalgiker, die auf die Fortsetzung erst sehr lange und dann noch ein bisschen länger warten mussten. Nach über drei Jahrzehnten rang Cruise sich endlich durch, sie zu drehen. Dann sollte sie 2020 ins Kino kommen, und dann kam Covid. "Top Gun: Maverick" ist der am längsten verschobene Blockbuster der Pandemie, länger noch als James Bond. Aber Cruise ist ein Künstler, der fürs Kino kämpft wie nur wenige andere. Und er hat Macht. Laut einem Bericht des Hollywood Reporter sind seine Verträge mittlerweile sogar so gestaltet, dass er an einem Film mehr verdient als das Studio, das ihn produziert. In Hollywood hört man also auf ihn, und wenn er einen Film erst nach Cannes und dann ins Kino bringen will, dann wird's trotz aller Streaming-Verlockungen so gemacht. Auch wenn man dafür noch mal zwei Jahre warten muss.

Als Erstes fand nun Anfang Mai eine US-Premiere in San Diego statt. Zu der kam Tom Cruise - Achtung, Anton Hofreiter, jetzt wird's nochmal richtig sexy - mit einem Hubschrauber. Der Pilot und Hollywoodstar flog den Chopper natürlich selbst und landete auf dem legendären Flugzeugträger USS Midway. Jetzt folgte die Premiere in Cannes. Weniger militärisch natürlich, weil die Franzosen es vermutlich nicht so witzig fänden, wenn die Amerikaner, und sei es Tom Cruise, mit einem Flugzeugträger vor der Croisette am Strand stünden.

Cannes ist eine interessante Ortswahl für diesen Film. Das Festival entstand einst aus einem antifaschistischen Geist als Reaktion auf das Filmfestival in Venedig, wo Mussolini und sein amico Hitler in den Dreißigerjahren ihre Propagandawerke prämierten. Als nach dem Krieg 1946 die erste richtige Cannes-Edition stattfand, sollte dies das Festival werden, auf dem die Filme der friedensschaffenden Militärmächte laufen. Das ist zwar fast 80 Jahre her. Aber einen Blockbuster, der mit Unterstützung des Pentagons entstand, und der vermutlich der teuerste Werbeclip ist, der jemals fürs US-Militär gedreht wurde (Budget: 150 Millionen Dollar), zu den alliierten Freunden an die Côte d'Azur zu bringen, ist historisch gesehen schon interessant, besonders jetzt.

Denn freilich ist es für Cruises Popcornmission nicht ganz ideal, dass er zwei lange Pandemiejahre warten musste, um seine Ode ans US-Militär in einer Zeit vorzustellen, in der in Europa wieder ein echter Krieg ausgebrochen ist. Die Militärromantik der "Top Gun"-Welt speist sich nicht aus der echten Praxis des Tötens und Zerstörens, für die Kampfjets ja nun mal gebaut und ihre Piloten ausgebildet werden. Sondern aus Cockpitfreundschaften, Männerkabbeleien, Liegestützorgien und Sonnenuntergängen auf Flugzeugträgern. Tja.

So atemberaubend hat lange kein Actionfilm mehr ausgesehen

Der Regisseur Joseph Kosinski und die fünf Drehbuchautoren, die "Top Gun: Maverick" unter Cruises Führung kreiert haben, können von Glück sagen, dass die Bösewichte in ihrem Film durchaus Russen sein könnten, weil sie da wohnen, wo es eiskalt ist und keiner Bock hat, sein Sixpack zu zeigen. Aber sie wurden vorsichtshalber doch lieber als gesichtslose generic bad guys hinter schwarzen Helmen angelegt. Sonst wäre der Film zu diesem Zeitpunkt vielleicht zu einer nicht ganz ungefährlichen zusätzlichen Provokation der Imperialisten aus Hollywood geworden.

Die anonymen, Uran anreichernden Bösen spielen im Universum dieser Geschichte aber eine genauso untergeordnete Rolle wie die restliche sogenannte echte Welt. Es geht weiterhin um die Irrungen und Wirrungen gut aussehender amerikanischer Kampfjetpiloten, und es gibt durchaus Gründe, warum man das bestens genießen kann. Denn so atemberaubend hat lange kein Actionfilm mehr ausgesehen.

Das amerikanische Actionkino besteht heute größtenteils aus Comicverfilmungen, für die Schauspieler vor Green Screens rumhüpfen und alles Wesentliche hinterher von den Nerds in den Pixelfabriken eingefügt wird. Nicht so "Top Gun: Maverick". Tom Cruise hat dafür gesorgt, dass die Flugszenen in echten Kampfjets gedreht wurden. Denn wie das Gesicht eines Menschen sich verzieht, wie sein Körper reagiert, wenn er mit 7 g in den Sitz gepresst wird, "das kann man nicht imitieren", sagt Cruise. "Man muss es machen." Und weil in Hollywood wie gesagt sein Wille geschehe, wurden alle Schauspieler, die Kampfjetpiloten spielen, von echten Kampfjetpiloten herumgeflogen und die Szenen mit sechs Imax-Kameras im Cockpit gefilmt. Es gibt im Netz ein paar lustige Making-of-Videos, in denen man die Schauspieler ohnmächtig werden oder mit dem Brechreiz ringen sieht. Aber das Ergebnis ist, dass man in diesem Film (fast) das Gefühl hat, man würde selbst mitfliegen.

Da macht es dann auch nichts, dass die Storys von Teil eins und Teil zwei sich ungefähr so zueinander verhalten wie "Kevin - allein zu Haus" und "Kevin - allein in New York". Cruise, dessen Filmfigur Maverick immer noch ein wilder, wenn auch Richtung Rente steuernder Draufgänger ist, wird ins "Top Gun"-Programm zurückgeholt. Dort soll er den besten Jungpiloten der Navy seine Tricks beibringen, um sie auf einen gefährlichen Einsatz vorzubereiten. Dabei gibt es natürlich ein paar emotionale Verwicklungen. Zum Beispiel sitzt der Sohn von Mavericks bestem Freund Goose im Lehrprogramm. Er gibt Maverick die Schuld am Tod seines Vaters. Und eine ehemalige Liebe hat Maverick auch zurückzuerobern.

Die Macher verzichten auf fast alle dramaturgischen Volten, die heute in Serien und Filmen üblich sind. Die Musik ist eine Hommage ans Original, der Münchner Komponist Harold Faltermeyer hat wieder am Soundtrack mitgebastelt. Und die Inszenierung orientiert sich trotz modernster Kameratechnik vor allem am Stil des ersten Teils. Der wurde damals von Tony Scott inszeniert, einem der wichtigsten Regisseure des amerikanischen Actionkinos und ein klassischer Handwerker, der die Zuschauer in die Sitze zu pressen wusste wie sonst vielleicht höchstens noch sein Bruder Ridley. Tony Scott starb 2012, aber seine Handschrift hat er "Top Gun: Maverick" trotzdem hinterlassen. Der Film ist ihm auch gewidmet.

"Top Gun: Maverick" mag also in jeder Hinsicht ein bisschen aus der Zeit fallen - aber das kann in unserer Zeit ja nur ein Kompliment sein.

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