Süddeutsche Zeitung

Theater:Unsere kleine Stadt

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Im thüringischen Rudolstadt haben fast 30 Prozent AfD gewählt. Wie überlebt unter diesen Bedingungen das Theater? Besuch an einem Haus, das die Bürger seiner Stadt zusammenführen will.

Von Peter Laudenbach, Sandra Aïd und John Goetz

Das Theater im Stadthaus, eine Spielstätte des Theaters Rudolstadt im tiefsten Thüringen, hat eine interessante Adresse. Der Backsteinbau steht direkt am "Platz der Opfer des Faschismus". Der Name des Platzes, ein Überbleibsel aus DDR-Zeiten, hat alle politischen Neuorientierungen überstanden. Rudolstadt, 25 000 Einwohner, wirkt idyllisch mit der historischen Altstadt zwischen grünen Hügeln.

Der Eindruck könnte trügen. Bei der Europawahl war die AfD in Rudolstadt mit mehr als 27 Prozent der Stimmen die mit Abstand stärkste Partei. Wenn in einem Monat ein Thüringer Landtag gewählt wird, dürfte das Ergebnis für die Rechts-außen-Partei ähnlich stark ausfallen. Rudolstadt "ist eine mehrheitlich konservative Stadt", sagt Steffen Mensching. Der Regisseur und Schauspieler studierte in Ostberlin vor dem Mauerfall Kulturwissenschaft, nach dem Kollaps der DDR wurde er als linker Kabarettist bekannt. Jetzt ist er seit elf Jahren als Intendant und Geschäftsführer für das Theater Rudolstadt verantwortlich.

Angesichts der Wahlergebnisse der AfD in der Stadt, in der er ausgesprochen gerne lebt und arbeitet, kommt er ins Grübeln: "Ist das reiner Protest, ist es Enttäuschung, ist es harter Rechtsradikalismus? Ist es Aversion gegen das demokratische System? Ist es die Erosion unserer Gesellschaft, die dahintersteht?" Wahrscheinlich alles zusammen. Natürlich kann der Theatermacher das nicht von seiner Arbeit trennen: "Klar, man hat geglaubt, dass man hier vor Ort mit dem Theater gegensteuert gegen solche populistischen, teilweise rassistischen Anschauungen. Trotzdem ist es eine Realität, der man sich stellen muss." Zurzeit hat Mensching viele bohrende Fragen. Lust, sich wegzuducken, hat er nicht.

Mensching ist ein unprätentiöser, offenbar komplett uneitler Mensch und macht mit seinen Leuten in Rudolstadt bodenständiges Stadttheater. Hier geht es nicht um eine Einladung zum Theatertreffen oder die neuesten Performance-Moden. Stadttheater bedeutet für Mensching: Theater für seine Stadt. Wenn möglich für die ganze Stadt, gerne auch für den Teil der Einwohner, die eine Partei wählen, die so etwa für das Gegenteil von allem steht, was Mensching gut und richtig findet. "Unser wichtigster Verbündeter ist unser Publikum", sagt er.

Wer verstehen will, wie engagierte Theaterleute in Städten und Kleinstädten mit einer starken extremen Rechten arbeiten, wie sie es schaffen, weder opportunistisch noch ängstlich oder verbittert zu werden, ist bei Mensching an der richtigen Adresse. "Man muss versuchen, die Leute da zu packen, wo sie noch zu erreichen sind", findet der Intendant. "Überzeugte Rassisten, Identitäre, Leute, die Verschwörungstheorien anhängen, wird man nicht mit Kultur, mit Dichtung, mit Poesie überzeugen. Es geht um den Kampf um die Indifferenten, die aus anderen Gründen diese Partei wählen. Vielleicht aus Unkenntnis, vielleicht aus falscher Hoffnung."

Als Theatermann weiß Mensching, dass es auf die Zwischentöne ankommt. Erst recht, wenn die neue Rechte die Welt am liebsten in Freund und Feind sortieren will. Den Thüringer Höcke-Flügel der AfD nennt Mensching "nationalkonservativ bis offen rassistisch". Aber deshalb sind nicht zwangsläufig alle AfD-Wähler rechtsradikal, findet der Intendant. "Wir müssen uns verdammt noch mal mit dem Spektrum von Anschauungen auseinandersetzen. Wenn wir alle in einen Topf werfen, kommt man keinen Schritt weiter in der Argumentation."

Mensching glaubt ganz altmodisch an die Kraft des Theaters. Und er glaubt an den Dialog - im Theater, mit dem Publikum und in der Gesellschaft. "Ich kann bei 'Romeo und Julia' mit dem Clash der beiden Gruppen genauso Intoleranz zeigen wie mit einem dezidiert politischen Stück", sagt der Intendant. "Ich glaube, wir müssen die Leute mit solchen Geschichten erreichen, sie respektvoll behandeln und nicht versuchen, sie zu agitieren oder zu missionieren. Das bringt, glaube ich, gar nichts. Das Wichtigste ist, dass man versucht, die Breite der Gesellschaft überhaupt ins Theater zu bringen." Theater als Modell gesellschaftlichen Miteinanders: Menschen kommen zusammen und verfolgen eine Geschichte, die vielleicht jeder anders sieht.

Dieser Respekt, das Vertrauen auf die Intelligenz der Zuschauer, das dezidierte Desinteresse an Besserwisser-Parolen, letztlich das Beharren auf bürgerliche Umgangsformen, hat nichts mit Anpassung zu tun. Menschings politische Haltung ist eindeutig. Bei Demonstrationen des Pegida-Ablegers Thügida, bei Aufmärschen von NPD-Anhängern und Skinheads hängte das Theater ein großes Transparent an die Fassade: "Kein Platz für Nazis". Irgendwann wurde es gestohlen und tauchte, leicht verändert, bei der nächsten rechten Demonstration auf: "Ein Platz für Nazis". Diese Aufmärsche sind "in den letzten 15, 16 Monaten aus dem Stadtbild verschwunden", beobachtet Mensching. "Die Neurechten sind sehr gut vernetzt. Ich glaube, dass man da neue Herangehensweisen trainiert und die Leute diszipliniert, diese Krawall-Demonstrationen sein zu lassen. Man will die bürgerliche Mitte, die man mit der AfD okkupieren will, nicht verschrecken."

Wenn mehr als ein Viertel der Stadt die AfD wählt, ist es nicht erstaunlich, dass auch Theatermitarbeiter darunter sind. Eine Verwaltungsmitarbeiterin in der Intendanz hat sich aus den internen Diskussionen darüber, wie das Theater auf die extreme Rechte reagieren soll, immer herausgehalten. Irgendwann hat sie gekündigt, um zu einem neuen Arbeitgeber zu wechseln: der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag. "Klar ist man da erstaunt, dass man sehr oft miteinander Kontakt hatte, aber bestimmte Dinge nicht offen ausgesprochen werden", seufzt Mensching. "Auch da kann man nur versuchen, weiter tolerant und bei seiner Haltung zu bleiben, wie wir miteinander leben sollten."

Eine Nachmittagsvorstellung im Theater am Stadthaus, dem Backsteinbau am Platz der Opfer des Faschismus. Gespielt wird die moderne Fassung eines Klassikers, "Vor Sonnenaufgang" von Gerhart Hauptmann in einer freien Bearbeitung des Dramatikers und Sprachspielers Ewald Palmetshofer. Die Schauspieler in Jeans und Alltagskleidung spielen die Szenen direkt und unverschnörkelt.

Das ist keine harte Avantgarde, aber es ist auch kein braves, sich anbiederndes Theater von vorgestern. Die Besucher: viele ältere Damen im Kostüm und Herren in Anzügen, die ein wenig nach DDR aussehen. Entspanntes Kleinstadtbürgertum. Fragt man sie, wie sie ihr Theater finden, gehen Lokalpatriotismus und das Lob für die Schauspieler nahtlos ineinander über. Wer sich mit dem Theater anlegen würde, hätte bei ihnen schlechte Karten.

Vielleicht ahnen das auch die Wahlkampfstrategen der AfD. Mensching ist aufgefallen, dass sich ausgerechnet die vom rechtsextremen Höcke-Flügel dominierte Thüringer AfD derzeit mit Polemiken gegen Kultureinrichtungen zurückhält. "Selbstverharmlosung" nennt der rechtsextreme Vordenker Götz Kubitschek diese Strategie. Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke hält in seiner "Konfrontationsstrategie" eine "Mäßigung und Verfeinerung im Ton" für sinnvoll. "Die verbale Abrüstung sollte mit einer inhaltlichen Aufrüstung einhergehen." Also gibt sich die Thüringer AfD in ihrem Wahlprogramm bei der Kulturpolitik moderat und vage. Die "reiche Kultur unserer Heimat zu erhalten, zu schützen, fortzubilden und zu fördern" ist ihr "ein zentrales Anliegen". Mensching hält diese Zurückhaltung für Taktik. Eine Regierungsbeteiligung der AfD wäre "eine Katastrophe".

Der Text basiert auf Recherchen der SZ und des ARD-Kulturmagazins "Titel, Thesen, Temperamente". Das Magazin zeigt am Sonntag einen Beitrag über die AfD und die Kultur in Thüringen.

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Quelle:
SZ vom 28.09.2019
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