Süddeutsche Zeitung

"Take Shelter" im Kino:Im Sturm der Angst

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Weltuntergangsphantasien aus der Sicht eines Bauarbeiters: Jeff Nichols' kluger Katastrophenfilm "Take Shelter" beschäftigt sich mit der paranoiden Seite des US-Mittelstands, der zuletzt erfahren hat, wie schnell er alles verlieren kann. Der Film wirkt bodenständig wie seine Hauptfigur, die um ihre geistige Gesundheit ringt. Die Diagnose stellt aber der Zuschauer.

Martina Knoben

Da braut sich etwas zusammen. Blätter rauschen in einem wild aufbrausenden Wind, Wolken türmen sich wie in einem Altmeistergemälde. Der Himmel hängt tief und droht mit seltsamen Farben: schwarzblau, rosa und lila. Als dann noch schmutzig-gelber Regen zäh wie frisches Motoröl auf die ausgestreckte Hand von Curtis LaForche (Michael Shannon) fällt, benehmen sich auch Menschen und Tiere ganz verdreht, werden bösartig und gehen auf Curtis los.

Die Welt ist aus den Fugen, und mit dieser Endzeitstimmung ist "Take Shelter" nicht allein - auffallend viele Katastrophenfilme kommen zur Zeit ins Kino. Während Lars von Triers "Melancholia" jedoch eine quasi-aristokratische Elite mit dem Weltuntergang konfrontierte oder Steven Soderbergh in "Contagion" das globale Dorf infizierte und ein Wettrennen der weltbesten Wissenschaftler mit einem Supervirus startete, ist es in "Take Shelter" der amerikanische Durchschnittsmann und blue-collar worker, der auf die drohende Apokalypse reagieren muss.

"Take Shelter"spielt im ländlichen Ohio - dass der Sturm ausgerechnet über dem amerikanischen Herzland aufzieht, muss man wohl allegorisch verstehen. Vor allem der amerikanische Mittelstand hat in den letzten Jahren erfahren, wie schnell er alles verlieren kann.

Das Faszinierende an "Take Shelter", der in Cannes mit dem Großen Preis der "Semaine de la Critique" ausgezeichnet wurde, ist aber, dass er so bodenständig wirkt wie seine Hauptfigur, seine Gesellschaftsdiagnose konsequent aus dem Genrekino heraus entwickelt und seine Weltuntergangsphantasien aus der Perspektive eines Bauarbeiters und Familienvaters. Curtis träumt nicht von biblischen Plagen, sondern von seinem eigenen Hund, einem gewöhnlich harmlos hechelnden älteren Rüden, der ihm im Traum fast den Arm durchbeißt. Oder es überfallen Unbekannte sein Auto. Oder das Haus hebt ab, wie beim Wirbelsturm im "Wizard of Oz".

Alles Unheil kommt von oben, kein Wunder, sind es doch die Angstphantasien eines Erdarbeiters, die Jeff Nichols, der mit seinem Debüt "Shotgun Stories" (2007) auf sich aufmerksam machte, in eindrucksvolle Bilder überführt. So subjektiv ist die Perspektive des Films, dass bis zum Ende nicht klar ist, ob Curtis einen gewaltigen Tornado tatsächlich voraussieht mit seherischer Kraft oder verrückt wird wie seine Mutter, die seit Jahrzehnten weggesperrt lebt in einem Pflegeheim.

Michael Shannon, der schon in "Revolutionary Road" (2008) von Sam Mendes die psychopathische Seite des amerikanischen Mittelstands verkörperte und dafür für den Oscar nominiert wurde, spielt Curtis als körperlich kräftigen, zupackenden Arbeiter, der mit seinem Quadratschädel einen Zug ins Grobe und Gefährliche ausstrahlt.

Das ungeschützte Leben einer Familie

Es mag ein Sturm über Amerika aufziehen - in Curtis tobt er längst, seit die schizophrene Mutter den damals Zehnjährigen auf einem Parkplatz alleine zurückließ. Mit seiner eigenen Familie geht Curtis deshalb besonders fürsorglich um - und findet doch oft keinen Draht zu ihr, ist "not connected", nicht mit ihr verbunden, wie Curtis' Frau Samantha einmal das Verhalten ihrer tauben Tochter Hannah zu anderen Kindern beschreibt.

Immer wieder ist es vor allem die gehörlose Tochter, die Curtis im Traum beschützen will. Aber auch Samantha (Jessica Chastain) wirkt zart und verletzlich mit ihrem Porzellan-Teint, den Shorts und Träger-T-Shirts, die so gar keinen Panzer gegen Stürme jedweder Art zu bieten scheinen. Wie ungeschützt das Leben dieser Familie ist, lässt uns der Film von Anfang an spüren. Das Grundstück der Familie ist nicht umzäunt, grenzt direkt an ein Kornfeld, hinter dem sich schon die Wolken türmen. Spätestens seit Alfred Hitchcocks "North by Northwest" wissen wir, wie bedrohlich die Offenheit der amerikanischen Landschaft sein kann.

Um seine Familie vor dem Tornado zu schützen, den Curtis in seinen Träumen immer wieder vorhersieht, tut er das, was er am besten kann - er gräbt ein tiefes Loch. Der Bauarbeiter, der als Teamchef einer Sandgewinnungs-Firma arbeitet, hebt im eigenen Garten eine Grube aus, um den vorhandenen Sturmkeller zu erweitern. Dabei gibt er mehr Geld aus, als er hat, setzt seinen Job, schließlich die Existenz seiner Familie aufs Spiel.

Und der Film findet wie von selbst zu seiner Diagnose, dass es in Amerika keine Naturkastastrophe braucht, damit Menschen wie Curtis und Samantha ihre Existenz verlieren: eine Krankenversicherung, die plötzlich nicht mehr zahlt, ein Kredit, der nicht mehr bedient werden kann. . . Wenn man Samantha auf dem Wochenmarkt um jeden Dollar für ihre selbst genähten Deckchen feilschen sieht, weiß man gleich, wie es um die Finanzen dieser und ähnlicher Familien steht.

Michael Shannon als Curtis dabei zuzusehen, wie er um seine geistige Gesundheit ringt, wie er psychologische Beratung sucht, und gleichzeitig doch den Bunker für seine Familie baut, weil er ihn bauen muss, ist schlicht herzzerreißend. Ist er paranoid? Die Diagnose stellt schließlich der Zuschauer: Angesichts von Schulden- und Immobilienkrise, von Krieg, Klimawandel und Terrorgefahr ist es womöglich gar nicht so verrückt, panische Angst zu haben.

TAKE SHELTER, USA 2012- Regie, Buch: Jeff Nichols. Kamera: Adam Stone. chnitt: Parke Gregg. Musik: David Wingo. Mit: Michael Shannon, Jessica Chastain, Shea Whigham, Katy Mixon, Kathy Baker. Ascot Elite, 120 Min.

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Quelle:
SZ vom 21.03.2012
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