Süddeutsche Zeitung

Frankfurter Altstadt:Wo Fachwerkgiebel Heimat vorgaukeln

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Von Laura Weißmüller

Die Begeisterung ist echt. Was für eine filigrane Malerei, die das Fachwerk der Goldenen Waage schmückt! Eine Geschichte der Bibel lässt sich in der farbenfrohen Fassade erkennen und noch mehr die traditionelle Handwerkskunst, die da zum Einsatz kam. Die Gruppe staunt. Genauso wie die nächste, die etwa zehn Minuten später motiviert um die Ecke biegt. Die dichte Taktung von Architekturführungen in der neuen Frankfurter Altstadt dürfte in Deutschland gerade einzigartig sein, mal abgesehen von Neuschwanstein. Konzentriert wird da zugehört, egal ob es um einen goldfarbenen Spruch im roten Mainsandstein geht, um die Vorgaben für die Architekten, die hier bauten, oder darüber, bei welchem Haus es sich um eine Rekonstruktion und bei welchem es sich um einen sogenannten "schöpferischen Nachbau" handelt.

Und vielleicht erzählt die neue Frankfurter Altstadt genau diese Geschichte: Wie die Architekten die Verbindung zur Gesellschaft über die Jahrzehnte immer und immer wieder verspielt haben und wie in diese Kluft nun etwas stoßen kann, was harmlos erscheinen mag, aber es nicht ist.

Denn obwohl die neue Frankfurter Altstadt erst diesen Freitag endgültig mit einem Festakt in der Paulskirche eröffnet wird, ist das allgemeine Urteil längst gesprochen. Die Besucher sind zum großen Teil begeistert, egal ob sie Frankfurter sind oder Touristen. Selten war der Zuspruch zu zeitgenössischer Architektur so groß wie hier. Zeitgenössisch? Ja, denn auch wenn man angesichts all der spitzwinkligen Giebel, des Fachwerks überm Basaltsockel und der vielen Erker vergessen könnte, dass es sich um Gebäude der Gegenwart handelt, befinden wir uns im Baujahr 2017/2018. Wer mag, erkennt den Maskenball, den die Bauten hier mal mehr, mal weniger motiviert aufführen, denn auch an jeder Ecke. Die Gebäude wirken wie frisch aus dem 3-D-Drucker. Spolien, also historische Baureste, wurden an der Fassade verteilt, als handle es sich dabei um einen Legospielsatz. Der Eingang zur Tiefgarage und der zur U-Bahn verraten das Entstehungsdatum des Areals genauso wie die Läden, die zwischen Dom und Römer gezogen sind: Es gibt einen Cashmere Concept Store, einen Steiff-Stofftier-Shop und eine goldglänzende Weinbar.

Es gibt schon erste Beschwerden: Denn offenbar macht die Stadt Geräusche

Vor allem aber machen die Miet- und Eigentumspreise für die neu gebauten Wohnungen in den oberen Stockwerken klar, dass wir uns im Zeitalter der Turbogentrifizierung befinden. Bot bis zum Zweiten Weltkrieg die Frankfurter Altstadt vor allem denjenigen eine Heimat, die sich kein anderes Zuhause leisten konnten, den Arbeitern, Großfamilien und Migranten, darf heute nur noch im Herzen der Stadt leben, wer es sich leisten kann. Die städtische Dom-Römer GmbH, die das 200-Millionen-Euro-Projekt durchgeführt hat, hat die Wohnungen für 5000 bis 7000 Euro pro Quadratmeter verkauft. An Menschen mit Frankfurt-Bezug, wie es hieß, womit man sicherstellen wollte, dass diese auch ihr neues Zuhause zu schätzen wissen. Offenbar wissen sie das auch - als Investitionsanlage. Bei Immoscout finden sich reihenweise Mietangebote. Wer es großzügig mag, kann zum Beispiel für knapp 3300 Euro warm auf 160 Quadratmetern residieren, zwei Bäder inklusive. Die 2,5-Zimmer-Wohnung mit 90 Quadratmetern kostet 2440 Euro, zuzüglich Heizkosten. Erste Beschwerden von den neuen Bewohnern soll es schon gegeben haben, weil es hier im Zentrum zu laut sei. Für alles, was in einer Stadt stören könnte - Lärm, Armut, andere Milieus - ist in der sandsteingestrahlten Retro-Kulisse eben kein Platz.

"Die Frankfurter müssen damit leben, dass der erste Anstoß zum Wiederaufbau der Altstadt von einem Rechtspopulisten kam", sagt der Kurator Philipp Sturm und schiebt hinterher: "Das heißt nicht, dass es rechtspopulistische Architektur ist." Die Klärung klingt überflüssig. Es ist bekannt, dass die Initiative zum Wiederaufbau von Claus Wolfschlag 2005 ins Stadtparlament kam. Trotzdem ist die Differenzierung wichtig, denn was viele Jahre eine Architekturdebatte war, die vor allem um die Frage kreiste, ob Rekonstruktion ja oder nein und wenn ja, in welcher Form, hat die politische Bühne längst erreicht.

Haben die Architekten verlernt, wie man die Öffentlichkeit für die eigenen Bauten begeistert?

Es geht darum, wer Heimat bieten kann und was man darunter versteht. Das klingt friedlicher, als es in Zeiten, in denen auch in Deutschland der Rechtspopulismus erstarkt, womöglich ist. Denn plötzlich wird von "Sühnearchitektur" gesprochen, wenn es um Nachkriegsbauten geht. Wogegen Gauben, Gesimse und Giebelstände als einzige probate Mittel ins Feld gebracht werden, um das zu heilen, was im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Der Wiederaufbau der Altstadt ist für einige da nur der Anfang. Schon wird gefordert, es beim Schauspielhaus und der Paulskirche ähnlich zu halten. Wie hier Heimat politisch von rechts aufgeladen wird, erzeugt dabei ein ähnlich beklemmendes Gefühl wie das Neubauviertel mit seiner polierten Kulissenhaftigkeit.

Womit man bei der Frage wäre, was die Frankfurter Altstadt über unsere Zeit verrät. Was ist also die Botschaft dieses fußballfeldgroßen Minigevierts, wo die Architekturführer aufpassen müssen, dass es in den Gassen nicht zum Stau ihrer Gruppen kommt, weil die 35 Häuser sich auf gerade mal 7000 Quadratmetern dicht aneinanderdrängen? Warum also gerade diese rückwärtsgewandte Architektur die Bevölkerung so begeistern kann - und gleichzeitig zu spalten droht?

Genau das beantwortet die von Sturm zusammen mit Moritz Röger kuratierte Ausstellung "Die immer neue Altstadt. Bauen zwischen Dom und Römer seit 1900" im Deutschen Architekturmuseum (DAM). So nüchtern wie klug macht sie anhand von Plänen, Fotografien, Modellen und Zeichnungen vor allem zwei Dinge klar. Erstens, wie politisch aufgeladen das Areal stets war. Wie also die Gebäude von den Politikern eingesetzt wurden, um ihre Ziele zu erreichen. Allen voran die Nationalsozialisten waren Meister in diesem Fach. War ihnen die Sanierung der Altstadt zunächst Mittel, um die in ihren Augen viel zu liberale Bankenmetropole Frankfurt als "Stadt des deutschen Handwerks" umzudefinieren, gab es nach dem Bombenangriff 1944 die Überlegungen von den Nazis, die nahezu vollständig zerstörte Altstadt als Ruinenfeld stehen zu lassen - als Mahnung an die bald besiegten Alliierten.

Zweitens wird im Gang durch die Jahrzehnte aber auch deutlich, wie die Architektenschaft es immer wieder versäumt hat, die Gesellschaft für ihre Bauten zu begeistern. Ja, sie im Gegenteil oft provozierend von sich stieß mit einer Formensprache, die keinen Wert auf Öffentlichkeit legte. Das Technische Rathaus, dieses Betongebirge, das doppelt so groß wurde wie angekündigt, ist das beste Beispiel dafür. "Bürger Frankfurts, wehrt euch!", hieß 1970 ein Slogan. Im Unterschied zu heute sei er weder von einer politischen Richtung vereinnahmt worden noch habe er sich als Kritik an der modernen Architektur verstanden, so Sturm. Stattdessen beanstandeten die Frankfurter die massive Größe, zumal so dicht am Dom. Völlig zu Recht.

Auch zuletzt machten die Architekten keine gute Figur. Der Siegerentwurf, mit dem das Büro KSP Engel und Zimmermann 2005 den Ideenwettbewerb zur Neugestaltung des Areals gewann, ist an Einfallslosigkeit kaum zu überbieten. Dem Vorstoß der Altstadtfreunde bereitete das erst die Bühne. Die Vorschläge, die der BDA-Workshop dann als Gegenangebot zum Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt 2006 vorbrachte, lieferten ebenfalls der Gegenseite unfreiwillig Argumente. Statt zu zeigen, wie großartig moderne Architektur sein kann, rotzte man lieblos Entwürfe hin, die jedem Erstsemester eine Rüge eingebracht hätten. Ein Gebäude sieht aus, als steckte es in einem zerrupften Federviehkostüm. Überzeugungsarbeit geht anders. Und deswegen sollte die neue Frankfurter Altstadt auch den Architekten eine Mahnung sein. Ohne Bezug zur Gesellschaft fehlt ihren Bauten das Fundament. Was nun zwischen Dom und Römer Heimat vorgaukelt, schafft keine, aber es simuliert eine, und zwar im festen Bezug auf die Vergangenheit. Das schließt nicht nur die Gegenwart und die Zukunft aus. Es erteilt auch großzügig Platzverweise an alle, die nichts mit diesem geschichtsvergessenen Blick auf Frankfurt anzufangen wissen.

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Quelle:
SZ vom 28.09.2018
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