Süddeutsche Zeitung

"Die Wiener Rothschilds":Dramatische Dynastie

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Das Jüdische Museum Wien erzählt die Geschichte des berühmten Rothschild-Clans wie einen Krimi. Noch immer gibt es gegen die Familie antisemitische Anfeindungen.

Von Cathrin Kahlweit

Die aktuelle Ausstellung im Jüdischen Museum in Wien hat einen fast reißerischen Titel: "Die Wiener Rothschilds - ein Krimi" heißt sie, was viele Besucher in der Erwartung in die Dorotheergasse führen dürfte, zusammen mit dem berühmten Namen und den entsprechend spannenden Geschichten rund um die sagenumwoben reiche, jüdische Bankiersfamilie eine veritable Kriminalgeschichte präsentiert zu bekommen. Samt Motiv, Tat, Cliffhänger und Whodunnit.

Aber natürlich ist die Geschichte der Rothschilds, die ihren Ausgang in der Judengasse in Frankfurt nahm, sich nach Paris, Neapel, London, Wien und später in alle Welt verzweigte, viel zu vielschichtig. Und die Zahl der Täter, wenn man sich denn auf eine solche Logik überhaupt einlassen wollte, viel zu unübersichtlich, um einen Thriller erzählen zu können. Weshalb die Kuratoren Gabriele Kohlbauer-Fritz und Tom Juncker im Katalog die Wahl des Titels auch eher so erklären: "Die Wiener Rothschilds waren wiederholt in große politische, wirtschaftliche und soziale Konflikte verwickelt." So hätten sie die Flucht von Fürst Metternich aus Wien finanziert, worauf der damalige Familienvorstand Salomon von Rothschild selbst fliehen musste, seien von einem Kunsthändler übers Ohr gehauen, von den Nazis ausgeraubt, erpresst, vertrieben worden - und nach dem Zweiten Weltkrieg ein zweites Mal durch den österreichischen Staat quasi enteignet.

Was der Katalog in der Folge klug und ausführlich beleuchtet, kann eine Ausstellung in der räumlichen Begrenzung des Jüdischen Museums in Wien nur bedingt leisten. Die Schau, die "Leistungen und Errungenschaften der Wiener Rothschilds" vor Augen führen will, zeigt unter anderem, was - früher oder später zur großen Freude der Beteiligten und teils durchaus überraschend - seinen Weg ins Museum fand: eine Marmorstatue von Salomon Mayer von Rotschild etwa, die dereinst im Nordbahnhof stand, wo der Blick aus dem Osten eintreffender Immigranten auf einen "Juden fiel, der sich die Stadt erobert hatte". Sie kam erst 2013 über Umwege in die Dorotheergasse. Oder eine Stiftertafel, die zufällig beim Umbau einer Kleingartensiedlung gefunden wurde, wo sie als Baumaterial verwendet worden war - und auf welcher der Sohn des Gründervaters der Wiener Rotschild-Linie, besagter Salomon Mayer von Rothschild, als Sponsor einer Wöchnerinnen-Station aufgelistet war. Oder eine Sphinx-Figur, die in einem Privatgarten gestanden hatte und dereinst das Palais Rothschild in der Prinz-Eugen-Gasse bewacht hatte.

Nach Jahrhunderten des Aufstiegs und Erfolgs ist praktisch nichts geblieben

Was schon das Dilemma und den eigentlichen Krimi zeigt: Wer von den Wiener Rothschilds erzählen will, muss zusammenklauben, was nach Jahrhunderten des Aufstiegs und der Machtakkumulation, der Wohl- und Bautätigkeit, der Stiftungen und Sammlungen, der Industrieanlagen und Bahnstrecken, der Assimiliation, der Nähe zu Hof und Kaiser, der Größe eines großen Hauses übrig geblieben ist: praktisch nichts. Das ist das Erschütternde dieser Schau, die sich mit den Rothschild-Frauen und Gärten, Gemälden und Geldgeschäften, dem Familienclan und dessen Verwicklung in alle Belange des k.u.k-Reichs sowie letztlich der Vertreibung aus Wien beschäftigen will - und doch immer nur kleine Ausschnitte zeigen kann.

Die Nazis haben fast alles genommen. In das Palais im vierten Bezirk zog Adolf Eichmann ein. Louis Rothschild, der im Krieg in Wien geblieben war, kam in Isolationshaft, dann wurden ihm alle Besitztümer abgepresst, bevor er das Land verlassen konnte. Was bei Kriegsende nicht von den NS-Schergen zerstört worden war, wurde zwar später restituiert, aber nach dem Verkauf wiederum weitgehend durch Neubauten ersetzt. Die Ignoranz nahm teilweise kuriose Züge an. Einen Teil der Stiftungen hatten die Nazis 1939 aufgelöst; die Stadt Wien übernahm das Stiftungsvermögen. Mitte der Fünfzigerjahre prozessierte eine Abteilung der Wiener Verwaltung gegen die Stadt Wien wegen der Rückerstattung von Liegenschaften aus dem einstigen Besitz, man einigte sich außergerichtlich. Die Rothschilds wurden nicht mal kontaktiert. Als die Familie ihre Kunst zurückhaben wollte, wurde im Gegenzug gegen die Restitution die "Widmung" zahlreicher Gemälde an österreichische Museen zur Bedingung gemacht. Kurator Juncker nennt das eine "zweite Beraubung". Erst 1998 wurde mit dem österreichischen Kunstrückgabegesetz eine Basis geschaffen, um einen Hauch von spätem Anstand zu zeigen.

Die Ausstellung über den Wiener Zweig der Rotschilds ist eine der letzten Schauen unter der Ägide von Direktorin Danielle Spera, die im Sommer von Barbara Staudinger abgelöst wird. Die österreichische Judaistin Staudinger, die viele Jahre am Institut für jüdische Geschichte in St. Pölten forschte und derzeit noch das Jüdische Museum in Augsburg leitet, hatte zuletzt besonders mit einer programmatischen Ausstellung in Augsburg Aufsehen erregt: "Die Stadt ohne - Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge". Sie will künftig verstärkt auch in Wien aktuelle politische Fragen verhandeln, will über den Fokus der Minderheit der Juden hinaus paradigmatisch darstellen, welche Folgen die Ausgrenzung einer Minorität aus der Gesellschaft und für die Gesellschaft hat.

Dafür bietet natürlich auch die Rothschild-Ausstellung einiges Anschauungsmaterial; die Karikaturen, mit denen die Familie, pars pro toto, als Synonym für jüdische Gier, jüdische Weltherrschaft herhalten musste, würden riesige Hallen füllen, wollte man sie denn alle herzeigen. Die große jüdische Philosophin Hannah Arendt erklärte sich das einst so: Die Familie habe die "entscheidende Veränderung" symbolisiert, die sich im Verhältnis der Juden zum Staat vollzog. Aus den Hofjuden der feudalen Herren seien die Staatsbankiers des 19. Jahrhunderts geworden. "Die Monopolstellung des Hauses Rothschild ersetzte bis zu einem gewissen Grade die alten Bande der Religion und Tradition. Wo konnte es eine bessere Demonstration für die phantastische Vorstellung der jüdischen Weltherrschaft geben?"

Dass auch die aktuellen Verschwörungstheorien von Corona-Schwurblern und Impfgegnern, befeuert durch rechtextreme Gruppierungen, wieder und erneut die Rothschilds ins Zentrum ihres Wahns stellen, erklärt sich die künftige Direktorin des Jüdischen Wiener Museums, Staudinger, mit der Mobilisierung alter Codewörter, Rothschild für Ostküste, Ostküste für Juden, Juden für das Böse -gepaart mit einer jeweiligen nationalistischen Überwölbung. "Nicht umsonst schwenken bei den Demonstrationen auf der Ringstraße so viele Menschen Österreich-Fahnen, nach dem Motto: Wir sind das Volk, ihr seid es nicht."

Wer sich, so Staudinger, jetzt mit "den Juden" vergleiche und seine Rolle mit den Verfolgten der Dreißigerjahre gleichsetze, der demonstriere doch umgekehrt vielmehr selbst, wie eben diese Ausgrenzung funktioniere. "Das ist ein Prozess in Stufen, eine Eskalation, die immer gleich läuft. Die Suche nach Sündenböcken führt zur Selbstüberhöhung, weil man nicht damit umgehen kann, dass man - in diesem Fall - selbst zu einer Minderheit gehört." Die Rothschild-Ausstellung, die alte Stereotypen von "Brunnenvergiftern" und "Pestbringern" aufnimmt, stellt so eine deprimierend aktuelle Verbindung zu den QAnon-Mythen und Anti-Corona-Demonstrationen des Jahres 2022 her.

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