Süddeutsche Zeitung

Pop:Roh

Lesezeit: 3 min

Ein bisschen besessen, aber auch beschwingt: Das neue Album der neuseeländischen Sängerin und Songwriterin Aldous Harding kündet von Kummer und Schönheit.

Von Juliane Liebert

Was war zuerst da, die Stimme oder der Körper, in dem sie wohnt? Von allen Instrumenten ist die menschliche Stimme das mächtigste, und sie sucht sich merkwürdige Behausungen. Ein besonders bemerkenswertes Exemplar wohnt derzeit in der neuseeländischen Musikerin Aldous Harding. Ihr drittes Album, "Designer" (4AD), ist gerade erschienen. Es wurde wie der Vorgänger "Party" von 2017 von John Parish produziert, bekannt von seiner Arbeit mit PJ Harvey - jener alte, weise Musikmann, dessen große Fähigkeit es ist, hochbegabten Songwriterfrauen Raum zu lassen, die Form für ihre Kunst zu finden.

Im Vergleich zum Vorgänger gibt sich "Designer" zunächst freundlich. Hardings frühere Songs, "Horizon" oder "What If Birds Aren't Singing They're Screaming" waren theatralische Musik-Gesten aus minimalistischen Ideen. Die Mittel standen im Vordergrund: Der betont künstliche Gothic-Pathos in "Horizon", die beißende Ironie des Videos von "Blend". Zugänglichkeit und Verspultheit, Hardings Antihaltung und ihr Wille zur Verfremdung trafen ziemlich roh aufeinander. Auf "Designer" fügen sich diese Elemente hoch konzentriert, aber auf entspanntere Art zusammen.

Im Video zur ersten Single des Albums, "The Barrel", tanzt Harding, wie man noch nie jemanden tanzen sah: Einen absurd hohen weißen Hut auf dem Kopf, bleibt sie im Rumpf stocksteif, aber ihr Oberkörper wird von einem fast zwanghaft anmutenden mechanischen Wiegen erfasst, das dann winzige expressive Gesten ausformt. Sie wirkt ein bisschen besessen, dank der Gitarrenschleife darunter aber auch beschwingt. Der sanfte Indie-Folk-Pop verstärkt den Kontrast noch - Kindermusik im Horrorfilm.

Ihre Stimme besitzt eine herbe, kantige Anmut, die etwas Introvertiertes hat, aber auch latent Aggressivität ausstrahlt. Sie ist seidig und zugleich kribbelig, hat kleine, kitzelnde Widerhaken.

Als eines ihrer Vorbilder nennt Harding Scott Walker. "Ich nehme Dinge weg, statt Dinge hinzuzufügen", sagte sie in einem Interview über ihren Sound: "Ich nehme immer Dinge weg. Und ich denke, ich habe mit meiner Stimme erreicht, einfach Platz zu lassen und den Gesang das meiste machen zu lassen."

Das Album klingt unprätentiös, transparent, aber auch organisch, jeder Klang ist für sich präsent. Trotzdem fällt es nicht auseinander. Auch ihre Texte lassen viel Spielraum zum Mutmaßen. Offenbar betrachtet Harding scheinbar unschuldige Zustände sehr misstrauisch: Der titelgebende Designer ist "shady as the day you were born", und wenn man sich verliebt, hat man gleich ganz verloren: "You can not be pure and in love."

Sie arbeitet meistens mit einfachen, fast phrasenhaften Harmonien, entwickelt aus ihnen durch das Arrangement, ihre Stimme und kleine songstrukturelle Verschiebungen trotzdem originelle Songs. Die Essenz von Pop: Die Basiselemente sind immer ähnlich, aber es kommt auf die Feinheiten der Zusammensetzung an. Man kann das Album heiter weghören, es ist größtenteils eingängig, aber knapp unter der Songoberfläche auch schräg, weshalb es beim Hören nicht einfach so hindurchrauscht durch einen. Man bleibt immer leicht irritiert und deshalb interessiert. Die Merkwürdigkeit beherrscht die Songs nie, sie begleitet und vertieft sie eher.

Beim ausverkauften Konzert im Privatclub in Berlin spielt Harding mit Band, einen Großteil ihres Gesichts unter ihren Haaren verborgen. Ein rotbestrahltes Wesen, das seine Hände viel bewegt. Ihre Gesichtszüge sehen im roten Licht geschmolzen aus, ein aus der Unterwelt aufgestiegener Karpfen. Sie singt das eigenartigste Lied der Platte: "Heaven is empty". Es erinnert thematisch an "Heaven Is A Place Were Nothing Ever Happens" von den Talking Heads oder "In Heaven Everything Is Fine", das Pixies-Cover.

Hardings Himmel ist allerdings nicht langweilig, eher kalt und verlassen und von grenzenloser Einsamkeit, ein altes Schloss mit Blick auf graues Meer. Harding wiegt sich mit der Gitarre ein, bis der Song Gestalt annimmt, wie Lehm, der langsam eine Form bekommt. Und dann irgendwann Wörter einfordert.

Plötzlich sind all die Popdoppelböden weg. Sie wirft das große Bild mit dem Vogel nicht pathetisch hin, sondern baut es langsam auf, bis es trägt. So körperlich präsent ihre Stimme sein kann, hier nimmt sie ihre Ausdrucksmittel so zurück, dass sie ganz leicht klingt. Zwischen Mühelosigkeit, Beschwingtheit, Zweifel und Traurigkeit pendelt. "What If Birds Aren't Singing They're Screaming". Was, wenn der Unterschied zwischen Singen und Schreien kleiner ist, als man gemeinhin annimmt? Wenn beide Ausdruck des gleichen Kummers sind; und Ausdruck der gleichen Schönheit.

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Quelle:
SZ vom 18.05.2019
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