Süddeutsche Zeitung

Pop:Federleicht bleischwer

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David Berman wurde mit den "Silver Jews" bekannt. Jetzt ist der große versehrte Nihilist des amerikanischen Indierock als "Purple Mountains" zurück.

Von Martin Pfnür

Die Sache mit der Höhle scheint David Berman nachhaltig beeindruckt zu haben. Zehn Jahre ist es her, dass er in den Tiefen der Cumberland Caverns in Tennessee seine gefeierte Indierock-Band Silver Jews nach einem Abschiedskonzert in den Ruhestand schickte, und dabei auch seinen familiären Hintergrund offenbarte. Er würde sich nun im Drehbuchschreiben und als investigativer Journalist versuchen, schrieb er damals in einem offenen Brief. Letzteres vor allem, um die lobbyistischen Umtriebe seines Vaters Richard zu bekämpfen, den er in seiner Nachricht wüst beschimpfte. "Ich bin der Sohn eines Dämons, gekommen, um all den Schaden wieder gut zu machen", schloss er sein Schreiben.

Geklappt hat dann leider weder das Drehbuchschreiben noch der Kampf gegen den Lobbyismus. Richard Berman kämpft munter weiter gegen den Umweltschutz und den Mindestlohn in den USA sowie für die Interessen der Waffenindustrie. Und David Berman? Verbrachte die vergangenen zehn Jahre vor allem damit, Bücher zu lesen, eine gescheiterte Ehe zu verarbeiten, und die Finger von all den Drogen zu lassen, die ihn im Zuge einer Depression fast in den Selbstmord trieben.

Womit wieder die Höhle ins Spiel kommt. Sie taucht Mitte Mai in dem Musikvideo zu der Single "All My Happiness Is Gone" auf, mit dem Berman sein Comeback-Album mit den Purple Mountains einleitete. Zuerst sind darin nur ein paar Akkorde auf einer schaurig verstimmten akustischen Gitarre zu hören - eine Reminiszenz auf den Dilettantismus, mit dem Berman und der als Pavement-Kopf bekannte Stephen Malkmus Ende der Achtziger die ersten Silver-Jews-Songs in einen Walkman hineindengelten. "Hmmm hmmm, hmmm hmmm", summt Berman mit brüchigem Timbre, als sich die Kamera hinter einer Gruppe winterfest gekleideter Menschen einem dunklen Felsschlund nähert, und schließlich in das spärlich ausgeleuchtete Höhlengewölbe eintaucht, in dem die Silver Jews letztmals auf der Bühne standen. Die Höhle, so viel wird bald klar, steht für die dunkelsten Ecken von Bermans Seele, in die er in den meisten neuen Songs einlädt. "Kommt gern herein", scheint er mit diesen einführenden Bildern zu sagen, "aber wundert euch nicht, dass es hier dunkel und kalt ist."

Bermans liebster Kniff auf dem Album: das Bleischwere und das Federleichte, das extrem Depressive und das Beschwingte derart lustvoll ineinander laufen zu lassen, dass es zu einer Art Frontalcrash zwischen Text und Musik kommt. Zwar war er als Songwriter der Silver Jews schon immer ein Meister des Sardonischen, der seine Texte mit randständigen Existenzen, entlaufenen Haustieren oder depressiven Ponys bevölkerte. Die Transparenz aber, mit der er hier um sich selbst kreist, ist ebenso neu wie die edlen Arrangements, die ihm die New Yorker Indie-Folk-Band Woods lieferte. Gleich im lustig verschunkelten "That's Just The Way I Feel" präsentiert er sich als versehrter Nihilist, der seine Genitalien fast an einen Ameisenhaufen in Des Moines und überhaupt jegliche Ideale verloren hat. Das Ende jedes Wollens sei alles, was er je gewollt habe, konstatiert er fast schon versöhnlich, nur um dann zu den zuckerschocksüßen Konservenstreichern von "All My Happiness Is Gone" die nächste Stufe in die Dunkelheit hinunter zu steigen: übelste Angstzustände, Entfremdung von den besten Freunden, die Einsicht, eigentlich kaum mehr durchzuhalten. All das packt Bernam hier in einen derart anmutigen und euphorisierenden Pop-Song, dass man ihm sofort zur Hilfe eilen möchte. Und es wird nicht besser.

"Darkness And Cold" gerät zur larmoyanten Reflexion auf die Trennung von seiner Ex-Frau, die sich als "Licht seines Lebens" ungerührt ins Nachtleben stürzt, während Berman selbst sich im zugehörigen Video in abgedunkelten Räumen mit Fotos aus besseren Zeiten quält. "Margaritas At The Mall" erzählt vom Happy-Hour-Saufen in der Einkaufsmeile als letzte Zuflucht in einer gottlosen Welt, und "I Loved Being My Mothers Son" ist zweifelsfrei eine der traurigsten und zärtlichsten Hommagen, die je ein Musiker seiner verstorbenen Mutter gewidmet hat. Am Ende steht aber auch noch die lakonische Erkenntnis, die Bermans Abschied von Glück, Glauben, Ehefrau und Mutter die Bitternis nimmt. Sie steckt im Titel des Country-Songs "Maybe I'm The Only One For Me". Wenn sonst schon alles vor die Hunde gehe, sinniert er darin, dann müsse er wohl einfach lernen, sich endlich selbst zu mögen. Man wünscht es ihm von Herzen.

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Quelle:
SZ vom 25.07.2019
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