Süddeutsche Zeitung

Streit um Pinky Gloves:Ist das Klassismus oder kann das weg?

Lesezeit: 5 min

Zwei Männer wollten pinke Plastikhandschuhe verkaufen. Eine Geschichte über Menstruation und Mobbing.

Von Nele Pollatschek

Als Kind wurde ich gemobbt. Nicht schlimm, ich habe keinen großen Schaden genommen. Nur zwei kleinere: Erstens eine Abneigung gegen Menschenmengen, die ich mir zuzog, als in der Schulversammlung alle gleichzeitig gegen mich hetzten. Zweitens die Erinnerung daran, wie ich mich rächte, nicht an allen, nur an Nino. Wie ich ihn in der Pause in eine Ecke trieb, beschimpfte, bis er da kauerte und weinte. Es fühlte sich gut an, als hätte ich die Ordnung im Universum wiederhergestellt. Wenn man sich nicht an allen rächen kann, dann wenigstens an einem, stellvertretend. Jahre später fragte ich mich, warum meine Rache Nino traf, er war nicht schlimmer als andere, ich bin nicht mal sicher, ob er überhaupt beteiligt war. Allerdings: Nino war dick, manchmal peinlich, auf die Art, die man im Internet cringe nennt und, das wusste ich nicht, schwul. Nino war nicht schlimmer, nur schwächer, also noch weiter unten in der Schulhierarchie. Bei Nino konnte sogar ich auf dicke Hose machen.

Ich fange übrigens nicht gerne so an, persönlich, traurig, beschämend. Ich mache es, weil es um etwas geht, das man lächerlich finden könnte, das aber nicht lächerlich ist, sondern traurig, beschämend und für mindestens zwei Menschen persönlich. Es geht um - jetzt nicht lächerlich finden - Pinky Gloves, rosafarbene Einweghandschuhe mit Klebestreifen, die der blick- und aromadichten Entsorgung benutzter Tampons dienen sollen. Und um Mobbing.

Das ist passiert: Eugen und André - auf Nachnamen verzichte ich bewusst - haben ein Produkt entwickelt, jene Pinky Gloves , und in der Vox-Gründershow "Die Höhle der Löwen" vorgestellt. Nach anfänglicher Skepsis nahm der Unternehmer Ralf Dümmel ihren bodenständigen Deal an (30 000 Euro für 20 Prozent Firmenanteile). Große Euphorie, dann, nach Ausstrahlung, größerer Shitstorm. Vergangene Woche nahmen Eugen und André das Produkt vom Markt, sie baten um Entschuldigung und darum, dass die Morddrohungen aufhören. Klar freut so was die Gründer nicht. Aber auch in den sozialen Medien triumphiert niemand richtig. Dabei hat man geschafft, was kaum ein Shitstorm mal schafft: erfolgreich gecancelt.

Klar, die Erfindung ist nicht irre originell. Aber es gibt Kontexte, in denen sie sinnvoll ist.

Morddrohungen will ja fast keiner, der sich online über einen pinken Handschuh mokiert, aber auch sonst kommt irgendwie keine Euphorie auf. Womit haben Eugen und André es überhaupt verdient, von Hunderten beschimpft zu werden, von reichweitenstarken Kanälen? Sogar Ikea lästerte öffentlich über zwei, die mit 30 000 Euro den Deal ihres Lebens gemacht haben. Ist Pinky so schlimm?

Meine erste Antwort war "Jain". Nach vielen Gesprächen mit Menschen mit Menstruationshintergrund ist es "Nein". "Jain", weil Einwegplastik. Das benutzte Tampon wird mit der behandschuhten Hand gegriffen, der Handschuh umgestülpt, das Tampon darin eingerollt und dann versiegelt in den Eimer geworfen - Plastik für den Müll, in einer Welt, die mehr Plastik ist als Welt.

Nun sind natürlich die meisten Menstruationsprodukte nicht nachhaltig. Binden sind unrecycelbar wie Windeln, die meisten Tampons einzeln foliert. Menschen benutzen diese Produkte, anstatt müllfrei zu menstruieren, zum Beispiel mit Menstruationstassen oder Periodenunterwäsche (auch die gab es in der "Höhle der Löwen", allerdings bei 300 000 Euro für zehn Prozent, das Gegenangebot von Judith Williams lehnten die Gründerinnen ab). Über die "Ökosünde" Tampon könnte man sich aufregen, sollte man aber nicht. Nachhaltigkeit ist wichtig, aber es ist auch wichtig, dass Menschen so menstruieren können, wie sie wollen.

Nur, muss man ein Tampon wirklich in einen Plastikhandschuh wickeln? Zu Hause natürlich nicht - dafür war Pinky auch nie gedacht. Aber wie wird man das Ding beim Wandern los? In den Wald werfen geht gar nicht. Oder auf einem Festival? Oder wenn man im Freien schläft, weil Camping oder weil obdachlos? Natürlich werden Menschen, die schon Schwierigkeiten haben, Tampons zu bekommen, nicht scharenweise Pinky kaufen. Aber eine Sozialarbeiterin sagte mir, die Idee des Handschuhs könne hier ein Problemlöser sein. Auch wenn man bedenkt, dass Flaschensammler oder Facility Manager (früher: Hausmeister) oft intensiven Kontakt mit Mülleimern haben, ergibt Plastik Sinn. Nicht weil Menstruation eklig ist, sondern weil Blut Blut ist - HIV und Hepatitis-Risiko inklusive. Deswegen gibt es an öffentlichen Toiletten Beutel für Hygieneprodukte, die das Gleiche machen, nur umständlicher.

Ein Maschmeyer hätte für so ein Produkt zwei Frauen - und wenn es die Ehefrauen sind - ins Team geholt

Pinky ist nicht das innovativste Produkt. Aber es hat einen "Use Case", vielleicht sogar einen Markt: Neu-Menstruierende, die in einer die Menstruation stigmatisierenden Welt ihre Tampons gerne diskret verschwinden lassen wollen, die später hoffentlich einen entspannten Umgang mit ihren Körpern finden, denen man in der Pubertät, in der nichts entspannt ist, die Tage ein wenig angenehmer macht. In diesem Kontext akzeptiere ich sogar das pinke Branding.

Ein Paar dieser Argumente haben die Gründer nicht selbst vorgebracht, andere schon, nur nicht besonders gut. Und das ist der wahre Grund für den Shitstorm, nicht das Produkt, sondern die Gründer. Dass es Männer sind, die nicht wissen, wie es ist zu menstruieren. Auch das wurde in der Sendung thematisiert, von Carsten Maschmeyer, im Habitus eines Feuilletonlesers. Und um Habitus geht es hier.

Da stehen zwei, die sich beim Bund kennengelernt haben, André, der aussieht, als ernährte er sich von Bodybuildern, und Eugen, der Facility Manager war, dem man die kasachischen Wurzeln ein wenig anhört, der vielleicht nicht auf Twitter ist, vielleicht weder Feuilleton noch Judith Butler liest. Und diese beiden reden über Menstruation und sie vergreifen sich im Ton. Ein Maschmeyer hätte für so ein Produkt zwei Frauen - und wenn es die Ehefrauen sind - ins Team geholt, aber an die Möglichkeit des PR-Desasters, die für Twitteraner offensichtlich ist, haben die beiden nicht mal gedacht.

André und Eugen sehen stark aus, aber auf einem neuen Schulhof ist jeder schwach, der die Regeln nicht kennt. Nichts von dem, was sie sagen, ist schlimm, es ist alles nur cringe. Und es stößt auf Menschen, die vielleicht selbst gemobbt wurden. Die, wenn ein Mann über Gerüche aus dem Mülleimer redet, nicht denken, "man will die Körperflüssigkeiten der Mitbewohner echt nicht immer sehen und riechen - egal welche", sondern sofort an all die Male denken, in denen ihnen Scham eingeredet wurde. Sie denken vielleicht, dass es falsch ist, dass Männer auch noch diesen Deal machen, wenn Frauen in der Start-up-Szene so wenige Deals bekommen. Und auch damit haben sie recht, nur dass ausgerechnet Unternehmer Ralf Dümmel, der in der Sendung zugeschlagen hat, einen wirklich überdurchschnittlichen Anteil weiblicher Gründer in seinem Portfolio hat. Die Wut ist berechtigt, aber sie trifft die Falschen.

Was sich anfühlt wie Kampf für Feminismus und Nachhaltigkeit, ist stellvertretende Rache an zweien, die nicht die Mittel haben, sich zu wehren. In der gerechten Wut fällt der klassistische Beigeschmack kaum auf.

Und diesmal gibt es einen Schaden, vielleicht nicht für Dümmel, der viele Produkte und viel Zuschauersympathie hat. Aber für die, die es nach so einem PR-Desaster schwer haben werden, mit einem Periodenprodukt Investoren zu finden. Und ganz sicher für André und Eugen, zwei junge Männer, die bei aller Ungeschicklichkeit so cool waren, mit einem pinken Laster voller Menstruationsprodukte in die Kaserne zu fahren. André ist weiterhin beim Bund. Eugen, der junge Familienvater mit den kasachischen Wurzeln, der mit einem pinken Handschuh ins Risiko ging, hat die Start-up-Szene verlassen. Er arbeitet jetzt wieder als Facility Manager.

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