Süddeutsche Zeitung

Pedro Almodóvar:Das Kino als Kirche

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Von Philipp Stadelmaier

Bevor er nach Madrid kam, besuchte Pedro Almodóvar ein von Padres geführtes Internat in Westspanien. Pedro, so der Wunsch der Eltern, sollte Priester werden. Seine Erfahrungen dort haben Almodóvar später zu einem Film inspiriert, der den Titel "Schlechte Erziehung" trägt und in dem es um die Liebe zwischen zwei Klosterschülern geht; einer wird von einem Padre missbraucht, der andere wird Filmemacher.

Die einzig wahre und gute Erziehung fand auch der junge Almodóvar nicht in der Kirche, sondern im Kino. Hier lernte er, was jeder junge Cinephile lernen muss: dass das Leben nur vollkommen ist, wenn es von einer Kamera aufgenommen und in flackernden Bildern und leuchtenden Farben auf eine Leinwand geworfen wird. Almodóvar beschloss, dass er Filme machen würde. Also ging er in die spanische Hauptstadt, ohne Familie und ohne Geld. Das war Ende der Sechzigerjahre. Almodóvar war noch keine zwanzig Jahre alt.

Als er ankam, hatte der spanische Diktator Franco gerade die staatliche Filmschule geschlossen. Almodóvar musste Geld verdienen und begann, für die spanische Telefongesellschaft zu arbeiten. Von seinem ersten Gehalt kaufte er sich eine Acht-Millimeter-Kamera. Währenddessen änderten sich die Zeiten. 1975 starb Franco, Spanien wurde zur Demokratie und Madrid zum Zentrum einer punkigen und hedonistischen Gegenkulturbewegung, der Movida Madrileña, die den alten Mief abschütteln und das Neue empfangen wollte. Almodóvar, eine Galionsfigur der Bewegung, hatte seine Arme besonders geöffnet. Er sang in einem Glam-Rock-Duo, spielte Theater, zeichnete Comics, drehte Kurzfilme, die er in Bars und auf Partys zeigte.

Gazpacho war noch nie so rot wie beim ihm, die Begierde seiner Figuren übersetzt er in Farben

Die Grenzen zwischen Leben, körperlicher Liebe und Filmemachen zerflossen. Einer seiner ersten Spielfilme, "Labyrinth der Leidenschaften" von 1982, fing wie kein zweiter die Lebenslust der Movida ein. Eine nymphomane Sängerin namens Sexilia trifft auf einen schwulen Prinzen. Hier hat Antonio Banderas seinen ersten von vielen Almodóvar-Auftritten. Zuletzt war er in "Leid und Herrlichkeit" zu sehen, der dieses Jahr in die Kinos kam, in der Rolle eines alternden, von körperlichen und künstlerischen Krisen geplagten Regisseurs, in dem man ein Alter Ego Almodóvars erkennen konnte. Schon "Gesetz der Begierde", ein anderer Film der Achtzigerjahre, zeigte das Leben eines Filmemachers. Von Krise konnte aber noch keine Rede sein: Ein Künstler nutzt das Leben seines Liebhabers aus, um seine Fantasie anzuheizen. Am Ende fährt er fort, mit Leidenschaft weiter Filme zu drehen.

Almodóvars eigene Filmleidenschaft führte ihn bald zu seinem internationalen Durchbruch mit "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs", für den er zum ersten Mal für den Oscar nominiert wurde. Darin zelebriert er soapig und farbenfroh das Liebesdesaster einer Frau, gespielt von Carmen Maura, die von ihrem Mann verlassen wird. Das Gazpacho war noch nie so tiefrot wie hier, Orgasmen werden im Schlaf erreicht. Doch Spanien änderte sich weiter. Die große Party der Movida war vorbei. In "Fessle mich!" von 1989 beschrieb Almodóvar die Rückkehr der Spanier zu konservativeren Lebensverhältnissen. Weil er in ihr die perfekte Ehepartnerin sieht, kidnappt ein junger Mann eine Schauspielerin und fesselt sie an ihr Bett. Man mag den Regisseur für seine poppige Ausstattung und seine wilden Geschichten verehren - aber er ist stets auch ein aufmerksamer Chronist der spanischen Gesellschaft gewesen.

Auch "Alles über meine Mutter" war der Tragödie nicht abgeneigt - nahm aber das Leben trotz allem leicht

Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte Almodóvar mit zwei Meisterwerken. "Alles über meine Mutter", für den er einen Oscar erhielt, bringt eine Frau, die ihren Sohn verloren hat, und eine schwangere Nonne (Penélope Cruz) zusammen. Ausgehend von einer Katastrophe muss ein Leben mit anderen neu verwoben werden. So auch in "Sprich mit ihr", in dem zwei Männer zwei Frauen im Koma betreuen und sich nach Missbrauch und Tod zwei Paare neu zusammensetzen. Für das Drehbuch wurde Almodóvar erneut mit dem Oscar ausgezeichnet. Beide Filme sind der Tragödie nicht abgeneigt, ohne dabei tragisch zu sein. Das Leben trotz allem leicht nehmen heißt hier, die Begierden der Figuren den satten Farben des Dekors anzuvertrauen, das sie erneut zum Zirkulieren bringt.

Das Leben wechselt die Form, verwandelt sich in Kino. Das Schöne und das Schreckliche, die Freude und der Schmerz werden schwerelos. So wie die Körper, die am Ende von "Sprich mit ihr" in einer Tanzperformance von Pina Bausch über die Bühne getragen werden, als seien sie ganz leicht. Zuletzt hat er in "Julieta" und in "Leid und Herrlichkeit" seine Karriere Revue passieren lassen, an diesem Mittwoch wird der große Almodóvar siebzig Jahre alt.

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SZ vom 25.09.2019
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