Süddeutsche Zeitung

Auch Schmidt-Rottluff nicht im Kanzleramt:Merkel alleine im Büro

Lesezeit: 1 min

Die Kanzlerin ließ in ihrem Arbeitszimmer Bilder Emil Noldes abhängen, nachdem sie von dessen NS-Vergangenheit erfahren hatte. Nun will sie die Wände weiß lassen - eine mutlose Entscheidung.

Kommentar von Kia Vahland

Angela Merkel arbeitet künftig vor weißen Wänden. Die Bundeskanzlerin sei zu dem Ergebnis gekommen, "einstweilen die weiße Wand ohne ein neues Bild anstelle der Nolde-Bilder schön zu finden und es dabei zu belassen", sagte ein Regierungssprecher. Die Kanzlerin hatte zwei Leihgaben Emil Noldes der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zurückgegeben. Ende dieser Woche eröffnet im Berliner Hamburger Bahnhof eine Schau, in der Noldes lange bekannte, nun aber ausgiebig erforschte Nähe zum Nationalsozialismus Thema ist. Offensichtlich wollte Merkel ihr Büro nicht mit Werken eines Antisemiten teilen.

Das ist verständlich. Sie kann es sich in ihrem Arbeitszimmer nicht leisten, Werk und Autor gedanklich zu trennen. Schließlich unterscheidet die Welt auch nicht zwischen dem Einrichtungsgeschmack der Kanzlerin und ihrer politischen Rolle. Als Ersatz sollte Merkel eigentlich zwei Bilder des Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff erhalten. Doch auch Schmidt-Rottluff hatte sich im Ersten Weltkrieg antisemitisch geäußert, das Problem bliebe. Nun also will Merkel gar kein Bild mehr aus dem Bestand der Stiftung Preußischer Kulturbesitz für ihr Büro leihen.

Das ist merkelisch pragmatisch gedacht: Weiße, noch relativ neue Wände werden nicht so schnell braun. Es bedeutet aber auch: Die Bundeskanzlerin bekennt lieber keine Farbe. Sie vermeidet so jede ästhetische und damit auch politische Positionierung. Warum aber nicht Bilder der wunderbaren anderen deutschen Modernen ins Haus der Macht einladen, warum nicht das Sofa mit Lotte Laserstein oder Paula Modersohn-Becker teilen? Gemälde und deren Maler haben ihre Geschichten, und ohne Geschichte gäbe es keine Gegenwart und auch nicht die Demokratie von heute. Mehr Bildermut würde man der Bundeskanzlerin wünschen. Anstatt sich in verzagter Askese zu üben, sollte sie, wenn sie sich für die NS-Vergangenheit der Kunst interessiert, lieber endlich die Forschung in Museen zu deren Nazivergangenheit tatkräftig unterstützen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4402530
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.04.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.