Süddeutsche Zeitung

"Niente" von Wanda:Gefühle für postfaktische Zeiten

Lesezeit: 4 min

Vieldeutig, brillant, sinnlos: Ist das neue Album der Wiener Band "Wanda" großartig - oder der Tod des Rock'n'Roll?

Von Annett Scheffel

Da gibt es diese hübsche, kleine Anekdote aus dem italienischen Triest. Dort saß Marco Michael Wanda, der Sänger, Kopf und Charismatiker der Wiener Band Wanda, eines Abends beim Trinken mit einem Triester Dichter zusammen. Er las ihm, wie er kürzlich der österreichischen Tageszeitung Kurier erzählte, ein paar Zeilen vor, die er gerade für das neue Album geschrieben hatte, und die später zum Refrain von "Lascia mi fare" werden sollten: "Amore lascia mi fare / No lascia mi fare niente."

Für jeden, der ein wenig Italienisch versteht, klingt das nach sehr viel Nonsens oder zumindest komplett falsch. In etwa, sagt Marco Wanda, sollte es so viel bedeuten wie "Die Liebe lässt mich alles tun. Oder: Die Liebe lässt mich nichts tun." Der Dichter habe das in seiner vieldeutigen Sinnlosigkeit brillant gefunden. Die Kellnerin aber, der sie es schließlich auch noch vorlasen, sagte: "Das bedeutet nichts, das ist Scheiße!"

So ist das mit Wanda: Entweder liebt man diese süßlich-beschwingte Kneipenrhetorik. Oder kann nichts anfangen mit diesen Liedern, die viel, alles oder nichts bedeuten können. Nun erscheint das dritte Album der Band - und ganz sicher kann man auch über "Niente" (Vertigo) nur wieder sagen: Hier geht es nicht um Botschaften, Aussagen oder gar Meinungen, und auf gar keinen Fall geht es um so etwas wie Politik.

Irgendwo zwischen Liebe, Schnaps und Wiener Verfallsmystik

Sondern immer um ein Gefühl, das sich schwer greifen lässt, das aber irgendwo zwischen Liebe, Schnaps und Wiener Verfallsmystik liegt. Passt die Musik von Wanda deshalb zum neuen, fragilen Wahrheitsbegriff in postfaktischen Zeiten, was im Pop vielleicht sogar eine gute Sache wäre? Oder steckt in diesen unpolitischen Songs nicht vielleicht ein weiteres Anzeichen dafür, dass sich diese Art der Gitarrenmusik ihrem historischen Ende zuneigt, weil sie nichts mehr zu sagen hat? Dann wäre hier der Tod jener Idee zu vermelden, die Wanda (zumindest in Deutschland und Österreich) vor drei Jahren noch mit einer wahnwitzigen Euphoriewelle wiederzubeleben schienen.

Man kann über die neue Platte nicht sprechen, ohne auf Wandas Anfangstage zurückzublicken. Denn in gewisser Weise ist "Niente" eigentlich das zweite Album: der schwere, wichtige Nachfolger der beiden ersten Alben "Amore" (Problembär) und "Bussi" (Vertigo), die als Geschwisterwerke zur selben Zeit entstanden und inhaltlich wie musikalisch verwandt waren. "Bussi" erschien 2015 keine zwölf Monate nach dem Debüt, als die Wandamania gerade richtig an Fahrt aufgenommen hatte. Den ganzen Sommer über hatten sich die fünf Wiener vor hunderttausenden Zuschauern fast die Seele aus dem Leib getourt, und alles, was man im letzten Jahrhundert einmal Rock'n'Roll genannt hatte, leuchtet in dieser Band kurz wieder auf: die selbstzerstörerische Geste, mit der sie sich lustvoll in ihre Konzerte stürzten und mitten hinein in das ungesunde Leben zwischen Alkohol, Drogen und Übernächtigung. Und der fast pubertäre Überschwang, der ihnen aus dem Publikum zurückschlug, das die Songs mitsang wie alte Lieblingslieder. Klar, dass sich das heißglühende Energielevel eines solchen Ritts nicht ewig halten lässt.

Deshalb ist es nur konsequent, dass die neue Platte nun von einem latenten Erschöpfungsgefühl gezeichnet ist. Zwar klang diese Stimmung, die Schwermut nach einer durchzechten Nacht bei Wanda schon früher an. Auf "Niente" aber breitet sie sich so melancholisch über den Liedern aus wie eine waschechte Herbstdepression. "Immer leichter wird es schwer / Und alles wirft mich aus der Bahn", klagt Marco Wanda gleich im Eröffnungsstück "Weiter, weiter". Und: "Vielleicht dauert's nimmer lang." Es geht um nicht viel weniger als ums Überleben. Denn der Wanda-Trip muss weitergehen.

Liegt es am ewigen Rückschau- Modus, dass diese Musik ihre Relevanz verloren hat?

Musikalisch entspringt "Niente" wieder einer Mischung aus Austro-Pop, Rock und schlagerhafter Beschwingtheit, ist aber viel ruhiger, nachdenklicher geraten. Die Arrangements wirken feiner und federnder. Mehr denn je hängen die Stücke zusammen, überlagern und bedingen sich. Viel öfter hört man akustische Gitarren, Klavier und Streicher - auch zarte Percussion-Elemente oder psychedelisch Melodiespiralen. Auch ein so verletzliches Lied wie die Vorabsingle "0043" hat man von Wanda noch nicht gehört: Gebettet auf einem schwebenden, sirrenden Soundteppich und umspielt von leisem Gitarrengezupfte sehnt sich Marco Wanda hier mit ungewohnter Falsettstimme zurück in seine "traurig schöne Kindheit in 0043", was natürlich die Vorwahl von Österreich bezeichnet.

Im dazugehörigen Video reiben sich die Bandmitglieder müde die Augen und fahren im alten Mercedes durch die dämmrige Landschaft - "dort geht ein schöner Wind", singt Marco Wanda dazu. Überhaupt kreisen viele Songs um die Vergangenheit, Traumzustände und Erinnerung: "Alles hier erinnert / Aber nix hier bleibt", heißt es in "Wenn du schläfst". Sogar in den Erzählungen über die Liebe wirken die Gefühle oft schon verblasst, als wären sie bereits Teil einer fertigen Lebensbeichte, die kurz vor dem Tod alles überblickt.

Eben dieser Rückschaumodus ist es aber auch, der im vergangenen Jahrzehnt dazu geführt hat, dass Rockmusik gerade bei jungen Hörern ihre Relevanz fast vollständig eingebüßt hat. Die zeitprägende Wirkung und gesellschaftliche Macht liegt längst woanders: in den elektronisch geschulten Spielarten von Hip-Hop und R'n'B. In den USA waren das im vergangenen Jahr auch erstmals die meistgehörten Genres, wie das Marktforschungsinstitut Nielsen im Juli berichtete. Und auch in Deutschland findet man beim Blick in die Top 20 aktuell keine Gitarrenmusik. Postmoderne Ideen und Identitätspolitik sind nie wirklich drängender Gegenstand der Rockmusik geworden. Wanda ist dafür das beste Beispiel: Hier soll es nicht um die Gegenwart gehen, sondern um das, was Menschen immer beschäftigen wird. Was wir denken, fühlen, wollen im großen Strom zwischen Liebe und Tod. Kann man das altmodisch finden? Ja. Ist es deswegen weniger wahr? Eher nicht.

Wahr ist auch die ehrliche Angeschlagenheit, die "Niente" durchdringt und zu einer Art Konzeptalbum über die Zerstörungskräfte einer Rockkarriere macht. Mit all den Gemütslagen und Zwischentönen eines Lebens, in dem man zwischen der Hitze der Bühne und dem ruhigen Alltag in Wien hin und her geworfen wird. Marco Wanda, der sich selbst als "erfahrenen Depressionisten" bezeichnet, hat da Erfahrung. Wie nah er diesem Gefühl aber wirklich kommt, weiß nur er allein. In der mächtigen, sentimentalen, augenzwinkernden Allgemeingültigkeit, die in diesen Songs steckt, findet im besten Fall jeder seine eigene Wahrheit. Das ist die eigentliche Wanda-Kunst.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2017
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