Süddeutsche Zeitung

Neuseeland bei der Frankfurter Buchmesse:Bevor es bei uns hell wird

Lesezeit: 3 Min.

Neuseeland ist Ehrengast bei der Frankfurter Buchmesse. Im Pavillon hat Stararchitekt Andrew Patterson für seine Inselheimat eine multimediale Leseinsel mit rabenschwarzer Dunkelheit, künstlichen Gewässern und funkelnden Sternen erschaffen. Hier werden in den kommenden fünf Tagen 70 neuseeländische Autoren und rund 100 weitere Künstler ihre Arbeit vorstellen.

Volker Breidecker

Spät draußen geblieben, Kopfstand auf dem Globus gemacht: "Alles sah anders aus. Die farbigen Holzhäuser waren viel kleiner als bei Tage und die Gärten viel größer und wilder. Helle Sterne waren über den Himmel gespannt, und der Mond stand über dem Hafen und betupfte die Welt mit Gold." In "Prélude", einer ihrer bekanntesten Erzählung, schildert Katherine Mansfield so die nächtliche Landschaft ihrer neuseeländischen Heimat. Zum globalen Kopfstand aufgefordert, sind von heute an die Besucher der Frankfurter Buchmesse, die im jährlichen Wechsel ihrer Ehrengäste diesmal einen großen Sprung auf der Erdkugel vollzogen hat - vom nordatlantischen Island zum südpazifischen Neuseeland -, so dass man die in Mansfields Schilderung gestellte Kinderfrage: "Werden die Sterne manchmal herumgepustet?" durchaus mit "Ja!" beantworten kann.

Das ist der erste Eindruck beim Betreten des neuseeländischen Pavillons auf dem Forum des Messegeländes. Anschaulicher als auf diesen 2300 Quadratmetern Ausstellungsfläche hätte das dreisprachige Motto "He moemoëa he ohorere / While you were sleeping / Bevor es bei Euch hell wird" - im Idiom der indigenen Maori, in der Landessprache Englisch und schließlich auf Deutsch - dieses Gastlandauftritts auch kaum umgesetzt werden können.

Es herrscht nämlich auch in dieser großen Halle beinahe rabenschwarze Dunkelheit über einem künstlichen Gewässer, dessen nachtblaue Oberfläche die funkelnden Strahlen unzähliger Lichtbündel vom Hallendach reflektiert, das sich in einen künstlichen Sternenhimmel verwandelt hat. Wie über schmale Dämme bewegt man sich oder schwankt einer ebenfalls dunklen, aber festen Oberfläche zu, die in der Mitte des Gewässers wie eine Insel treibt. "Welcome to Aotearoa", wie Neuseeland in der Sprache seiner Ureinwohner genannt wird, als "Land der lange weißen Wolke", weil eine schmale und in der Mitte durchbrochene Wolke ziemlich genau der Gestalt der Doppelinsel entspräche, würde man diese am Himmelszelt abbilden.

Als "Modell", als "Schnittmuster" seiner insularen Heimat will der neuseeländische Stararchitekt Andrew Patterson den von ihm konzipierten Pavillon aufgefasst wissen. Als Andeutung von Bergen erheben sich aus der Mitte der festen Fläche mehrere zeltartige Gebilde, deren Seitenwände zugleich als große Projektionsleinwände fungieren. In den Zelten hängen an feinen Drähten Bücher herab: die Literatur des Landes in deutschsprachigen Übersetzungen und Bücher in deutscher Sprache, die von Neuseeland handeln. Jedes Buch ist mit einem Griff abnehmbar, und der Besucher kann sich damit auf eine der vielen bequemen Liegen zurückziehen, mit denen diese Leseinsel bestückt ist. Oder er kann von seinem Platz aus den Bildern folgen, die simultan auf die Leinwände projiziert werden, als Teil eines multimedialen Spektakels, in dem obendrein leibhaftige Schauspieler ihre Texte rezitierend durch und über das Wasser wandeln.

Das im zwanzigminütigen Wechsel gezeigte Video präsentiert ein reich collagiertes audiovisuelles Porträt dieses wohl jüngsten Landes dieser Erde buchstäblich seit seiner Entdeckung oder, noch weiter zurückgehend, wie bei der Erschaffung der Welt aus einem kosmischen Buchstabensturm. Erwecken soll dieses Gesamtkunstwerk die Illusion oder die beinahe rauschhafte Vision, als befände sich der Besucher inmitten eines Buches, des Buches der Natur und des Buches der Geschichte. Und wie da Licht aus der Dunkelheit, so entsteht auch die junge Literatur dieses Landes aus dem kontinuierlichen Fluss anfangs noch vorwiegend mündlich tradierter Erzählungen.

Weiter gegenwärtig sind diese mündlichen Erzähltraditionen in den Liedern und Sprechgesängen der Maoris. Mit einer mehrstufigen Weihezeremonie, angefangen mit einer rituellen Umkreisung des Pavillons durch eine zum mehrstimmigen Chor gruppierte Abordnung von Maoris und endend in einem machtvollen Haka, dem körperbetonten Ritualtanz der Maori, wurde der neuseeländische Pavillon am Dienstag feierlich eröffnet. Auf der zugehörigen, von der großen Rauminstallation durch einen schwarzen Vorhang getrennten Bühne werden in den nächsten fünf Tagen siebzig neuseeländische Autoren und rund einhundert ebenfalls angereiste Künstler des Landes ihre Werken und Ideen vorstellen.

Wer sich als Besucher in eines der offenen Lesezelte begibt, wird dort manche Trouvaillen entdecken können. Zum Beispiel die Briefe des deutsch-jüdischen Flüchtlings Karl Wolfskehl aus seinem neuseeländischen Exil: Gleich im ersten Brief aus dem Jahr 1942 heißt es: "Mein Verkehr beschränkt sich auf ein paar persönliche Bekannte, einheimische Gelehrte, Künstler, Schriftsteller, sehr anregende und begabte darunter, von denen ich viel Anregung habe . .. Aber ich bin natürlich viel allein." In dieser Hinsicht wird es den Besuchern des neuseeländischen Pavillons in diesen Tagen anders ergehen.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2012
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