Süddeutsche Zeitung

Französisches Kino:Verwüste mich!

Lesezeit: 3 min

Von Philipp Stadelmaier

Manchmal ist es hart, sich entscheiden zu müssen. So geht es dem jungen blonden Mann mit dem teutonischen Namen Karl, der im Club von gleich zwei Typen angetanzt wird. Auf welchen soll er sich nun einlassen, auf den mit den Rastas oder den mit den Teufelshörnern? Oder doch auf den geheimnisvollen Dritten mit einer schwarzer Ledermaske, der an der Wand steht, zuschaut und sich durch die Hose seinen Schwanz reibt? Verkleidet sind ohnehin alle in dieser Tanzhöhle, die in blaues Licht getaucht ist, auch der Schlagzeuger trägt eine Tiermaske über seinem nackten Oberkörper.

Karl entscheidet sich für die Ledermaske, geht über einen Flur in den angrenzenden Raum. Die beiden kommen schnell zur Sache, das kühle blaue Licht weicht einem warmen roten. Der Ledermaskenmann schmeißt Karl bäuchlings auf ein Bett und packt einen Dildo aus. Das sieht erst mal nach Spaß aus. Aber als der Mann den Kunststoffpenis über Karls Körper in Stellung gebracht hat, schnellt eine Klinge heraus. Und dann fließt Blut.

Der zweite Spielfilm des französischen Autorenfilmers Yann Gonzalez, der dieses Jahr im Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes Premiere hatte, trägt diesen Gewaltakt schon im Titel: "Messer im Herz". Bei der Musik, die aus den Lautsprechern dröhnt, handelt es sich um "Trash Me" von "Malaria!", der Berliner New-Wave-Band. "Trash me" kann heißen, dass man über jemanden herzieht, aber auch, dass man ihn verwüstet. "Ich habe die dunkelsten Orte geküsst", singt Bettina Köster auf Englisch, "und du hast mich umarmt wie ein Spielzeug". Wie ein solches wird Karl von seinem Mörder dann auch zerbrochen.

Am Anfang verkündet ein Titel, dass wir uns im Paris von 1979 befinden, weswegen der Song rein zeitlich nicht ganz in diesen Schwulenclub passt: "Malaria!" hat sich erst 1981 gegründet. Aber die Masken und das bunte Licht deuten darauf hin, dass wir sowieso in einem Fantasiereich gelandet sind. Parallel zur Eröffnungsszene sehen wir Ausschnitte aus einem Porno, zwei Männer - darunter Karl - auf einer Wiese, während ein Voyeur die beiden aus dem Gebüsch beobachtet. Film, Fantasie und Realität vermischen sich, ebenso wie die Rollen von Zuschauer, Voyeur und Mörder.

Der Film läuft über ein Schnittpult, bedient von Frauenhänden mit roten Fingernägeln. Die Cutterin (Kate Moran) arbeitet in einer Produktionsfirma, die Schwulenpornos herstellt; Karl war einer der Schauspieler. Die Truppe ist harmonisch und gut organisiert: Wenn jemand von zu viel Heroin keine Erektion kriegt, ist "Goldmund" zur Stelle, der füllige und sensible Hausmeister, der mit seinen oralen Fertigkeiten das Problem schnell gelöst hat.

Hier arbeiten alle für Anne, Produzentin und Regisseurin, gespielt von Vanessa Paradis. Anne ist lesbisch und wurde gerade von der Cutterin verlassen, was sie mit sehr vielen Zigaretten und literweise Whisky verarbeitet. Durch ein Loch in der Wand beobachtet sie ihre Exfreundin im Schneideraum. Aber Zuschauen ist in Gonzalez Film immer auch gefährlich (und bisweilen tödlich). Egal, ob es sich um einen Film handelt oder um eine (begehrte) Person: Stets sind die Augen Einfallstore für gewaltsame Visionen, die schleichend von einem Besitz ergreifen - und einen in das verwandeln, was man sieht.

Zu der Mischung aus Pornografie und Film Noir kommt etwas Romantisches, Märchenhaftes

Auch die mörderische Realität dringt schnell in Annes Fantasie und die Filme ein, während der unbekannte Killer immer weitere Schauspieler aus der Truppe umbringt. Nach einem Besuch auf der Polizeiwache sind wir schon wieder am Set, wo Anne eine neue Szene dreht. Eine "Frau", gespielt von einem Mann, wird in einem Mordfall verhört, aber der Dialog nimmt schnell eine andere Wendung (man einigt sich darauf, dass alle außerordentlich erregt sind), und schon hat einer der Polizisten seinen Fuß zwischen ihren Beinen platziert, während der andere begonnen hat, die Schreibmaschine zu rammeln.

So wirkt der Film noch da ironisch und spielerisch, wo das Poetische und bisweilen Kitschige in den Vordergrund treten. Etwa wenn beim Drehabschlusspicknick saftige Verse des (schwulen) Dichters Federico García Lorca vorgetragen werden, während man auf der Wiese liegt und in dionysischer Pose Weintrauben genießt. Zu der Mischung aus Pornografie und Film noir kommt etwas Romantisches, Märchenhaftes hinzu. In ihren Albträumen sieht Anne schwarze Vögel, Messer und Feuer, Motive, die sie dem Mörder hinter der Ledermaske langsam näher bringen. Es gibt einen verwunschenen Wald, einen Friedhof mit verrückt gewordenen Frauen und blinde Vögel mit heilenden Kräften. Nicht umsonst heißt Annes letzter Film: "Pornoflüche".

Gonzalez erster Spielfilm, "Begegnungen nach Mitternacht" (2013), war ein Kammerspiel in einem dunklen Apartment, in dem sich Figuren zu einer Orgie versammelten. Auch in seinem neuen Film entwirft er sich sein eigenes Reich. Aber dieses ist nun noch deutlicher das künstliche, imaginäre Reich des Kinos, das von einer Regisseurin dirigiert wird. Es ist eine geschlossene Welt, in die von außen eine Gewalt eindringt, die sie langsam aussaugt. In einer wunderschönen letzten Szene, die an Fellini erinnert, geht im Dreh das Licht aus und man hört nur noch den Wind, der durchs Dekor pfeift. Als hätte man mit einem Schlag dem Film seine Seele entzogen. Von den Figuren bleiben nur die Körper im Dunkeln zurück, verstummt, beschäftigungslos, einsam. Doch wer genau hinschaut, kann sehen, dass sie glückselig lächeln, als hätten sie gerade sehr viel Spaß gehabt.

Un couteau dans le cœur , F 2018. Regie: Yann Gonzalez. Buch: Gonzalez, Cristiano Mangione. Kamera: Simon Beaufils. Mit Vanessa Paradis, Nicolas Maury, Kate Moran. Edition Salzgeber, 102 Min.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2019
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