Süddeutsche Zeitung

"Men" von Alex Garland im Kino:Allein, allein

Lesezeit: 3 min

In seinem Film "Men" will Alex Garland weibliche Verwundbarkeit in einer Männerwelt drastisch spürbar machen. Trotzdem präsentiert der Horrorthriller eine zweifelhafte Botschaft für Frauen.

Von Tobias Kniebe

Dieses lähmende Gefühl der Verwundbarkeit. Wo kommt das auf einmal her? Wie ein schleichendes Gift scheint es einzusickern in Harpers Kopf und in ihren Körper. Dieses uralte Landhaus in einem englischen Provinznest, wie aus der Zeit gefallen, das sie für eine Woche gemietet hat. Ist es nicht viel zu groß für sie, ungeschützt zugänglich von allen Seiten? Oder dieser Vermieter, der sie herumführt - ist er nicht viel zu neugierig, viel zu verklemmt in seinen Witzen, viel zu klebrig interessiert an der Tatsache, dass sie allein reist? Selbst dieser einsame, unbegreiflich saftgrüne Waldweg direkt hinter dem Haus - führt er nicht geradewegs ins Reich des Unheimlichen?

Weil der Film "Men" vor allem über das Gesicht seiner Protagonistin Harper Marlowe erzählt wird - das offene, klar geschnittene, zurechnungsfähige und auch permanent etwas trotzige Gesicht der wunderbaren Schauspielerin Jessie Buckley -, handelt es sich hier ganz grundsätzlich um eine weibliche Verwundbarkeit. Doch der Erzähler Alex Garland - Schriftsteller, Drehbuchautor und seit dem brillanten "Ex Machina" auch Autorenfilmer und überhaupt einer der ambitioniertesten Denker der Mainstreamkultur - ist natürlich ein Mann. Was gleich einen interessanten Nachhall erzeugt: Sollen sich die Frauen hier ganz fundamental erkannt fühlen, in einer nur allzu vertrauten Not? Und sollen Männer hier einmal spüren, tief in den eigenen Eingeweiden, wie das ist - dieses klebrige Odium der Bedrängnis?

Alle Männer werden in verschiedenen Masken von einem Schauspieler gespielt - sehr unheimlich

Was die Männer und die Eingeweide betrifft, kann dieser Kritiker jedenfalls den Erfolg des Plans bezeugen. "Men" schafft es, zunächst sogar mit den einfachsten Mitteln, ein zutiefst verstörender Film zu werden. Als Harper bei ihrem ersten Waldspaziergang etwa plötzlich vor einem Berg mit einem halbrunden verlassenen Tunnel steht, hoch und weit und gespenstisch schwarz. Das Licht am anderen Ende scheint etwa einen halben Kilometer entfernt zu sein. Voller Angstlust ruft sie hinein und staunt über den vielfachen Halleffekt - bis sich auf der entfernten Seite ein stummer Schattenriss erhebt und auf sie zukommt, ja zu rennen beginnt. Ein Moment des Zögerns - dann macht sie kehrt und rennt auch. Und lässt die Gefahr erst einmal hinter sich.

Solche Vorkommnisse aber werden sich häufen, mit zunehmender Unheimlichkeit, die Bedrohungen rücken aus dem Wald in ihren Garten vor, selbst die lokale Kirche samt Friedhof scheint kein sicherer Ort zu sein, ebenso wenig wie der Pub. Die wenigen Menschen, denen Harper dort begegnet, sind fast ausschließlich Männer, und sie alle scheinen dieselben leicht teigigen, nicht gerade vertrauenerweckenden Züge zu besitzen. Was kein Wunder ist: Sie alle werden in verschiedenen Masken von dem Schauspieler Rory Kinnear gespielt, der es in diesem Film auf sich nimmt, fast das alleinige Gesicht einer ganz und gar unguten Männlichkeit zu sein.

Unglaublich unangenehm das alles, aber eben auf meisterliche Art. Wie weit kann man die Alltagswelt in Richtung Kenntlichkeit verzerren, bis Dinge schmerzhaft klar werden, ohne aber den Rahmen der Idee zu verlassen, das solche Geschehnisse Frauen überall und jederzeit passieren könnten? Sehr weit, wie sich zeigt. Und doch wünscht man sich, Alex Garland hätte dieses faszinierende Spiel tatsächlich bis zum Ende durchgezogen, ohne Rücksicht auf die Drastik, die ein gegenwärtiges Horrorpublikum vielleicht verlangt, ja sogar ohne die Notwendigkeit, seiner Protagonistin gewissermaßen eine Vorerkrankung zu verpassen, ein Trauma, das ihren Blick verzerrt.

Am schönsten nämlich funktioniert der Film, wenn man die allererste Sequenz sehr schnell vergisst, und alle Rückblenden in Harpers Vergangenheit: Da gibt es nämlich einen Ehemann, schwach und fast unerträglich weinerlich, von dem sie sich scheiden lassen will und der dann vor ihren Augen aus dem Fenster springt und in einen Gitterzaun stürzt, mit furchtbaren Folgen auch für ihre Psyche. Warum das schade ist? Weil es doch wieder den Weg bereitet für eine dieser sattsam bekannten Frauenfiguren, die irgendwann Realität und Einbildung nicht mehr unterscheiden können. Als ob das Kino davon nicht längst genug hätte.

Was gewinnt Alex Garland damit? Einen drastischen zweiten Teil, der hemmungslos im Übernatürlichen und in einem dunklen Symbolismus schwelgen kann, mit blutigen Anklängen an den Slasher- und an den Zombiefilm. Und auch die Möglichkeit, seine Latex-Spezialeffekt-Truppen aus der Abteilung Body Horror zu aktivieren, die dann mit maximalem Schleimeinsatz die These illustrieren dürfen, dass fatale Männlichkeit sich immer wieder aus sich selbst heraus gebiert. Wer's mag und darauf nicht verzichten kann, bitte sehr.

Gravierender aber sind dann doch die Verluste, die mit dieser Entscheidung einhergehen. Sobald man den Großteil des Horrors nämlich wieder ins Innere einer weiblichen Psyche verlegt, entlässt man die Außen- und in diesem Fall die Männerwelt schon wieder aus der Haftung. Und so darf man dann nach einer Nacht, in der eine Frau mal wieder fast tausend Tode gestorben ist, einfach das sagen, was Männer bei weiblichen Bedrohungsgefühlen schon immer am liebsten gesagt haben: Alles bloß eingebildet, Ma'am.

Men , UK/USA 2022 - Regie und Buch: Alex Garland. Kamera: Rob Hardy. Schnitt: Jake Roberts. Musik: Ben Salisbury, Geoff Barrow. Mit Jessie Buckley, Rory Kinnear. Koch Films, 100 Minuten. Kinostart: 21. 07. 2022.

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