Süddeutsche Zeitung

Maurizio Pollini wird 80:Das Wunder von Mailand

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Ein Klavierweltbürger mit Vehemenz: Dem Pianisten Maurizio Pollini zum 80. Geburtstag.

Von Wolfgang Schreiber

Mit 18, gerade hat er in Warschau den hammerharten Chopin-Concours gewonnen, ist Maurizio Pollini plötzlich weltberühmt. Stürzt sich aber nicht in die Karriere, sondern wartet ab, studiert weiter, tritt kaum öffentlich auf. Erst Anfang der Siebzigerjahre kommt seine großartige Aufnahme der Etüden Chopins heraus, die Deutsche Grammophon, das Klassik-Edellabel, gibt ihm einen stabilen Vertrag.

Aus dem jungen Mailänder wird, vom SZ-Kollegen Joachim Kaiser baldigst gefeiert, "Das Wunder Pollini". Und der Münchner Herkulessaal ist künftig einer der ausverkauften Säle, in denen Pollini seine musikalisch profunden, pianistisch brillanten Bildnisse der Heroen aufbaut: Beethoven, Schubert, Schumann, natürlich Chopin. Bald auch, nicht zu jedermanns Entzücken, Schönberg, Bartók, Strawinsky. Die Musik des 20. Jahrhunderts bezwingt Pollini vehement, furios die zweite Sonate von Pierre Boulez, das haarige zehnte Klavierstück von Karlheinz Stockhausen. Er kombiniert solche Ungetüme der Avantgarde auf dem Podium, damals noch kühn, mit alten Schwergewichten, Ludwig van Beethovens Diabelli-Variationen oder der letzten Sonate Franz Schuberts.

Aber Maurizio Pollini, der Klavierweltbürger der Musikmetropolen, fühlt sich stetig als Italiener. Die Kultur des Landes lebt in den Siebziger-, Achtzigerjahren politisch dezidiert links. Pollini arbeitet dort mit zwei Freunden eng zusammen, dem kommunistischen Tonschöpfer aus Venedig, Luigi Nono, und dem Dirigenten Claudio Abbado. Nono führt die Musik und seine beiden Freunde, im Zeichen von "Musica e Realtà", in die Gesellschaftskritik. Pollini spielt Anti-Vietnamkrieg-Konzerte und provoziert mit seinem Protest Eklats, ganz Italien diskutiert das Musik/Politik-Amalgam.

Der Künstler bleibt bis in die schwierige Altersphase der großen Klaviermusik treu, dem lebenslang praktizierten Appell, Intellekt und Emotion musizierend zu höchster Steigerung zu führen. An seinem 80. Geburtstag, an diesem Mittwoch, mag Maurizio Pollini sich dem Bekenntnis von Frédéric Chopin, dem Gott seines Anfangs, unbeirrt nahe fühlen: "Ich hasse jede Musik, die nicht viel Denken versteckt."

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