Süddeutsche Zeitung

"Luanas Schwur" im Kino:Eine Freiheit wie im Western

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Der Vater ist tot, also schneidet eine junge Albanerin in den Fünfzigerjahren sich die Haare ab und nimmt seinen Platz ein. "Luanas Schwur" erzählt vom revolutionären Potenzial der Tradition.

Von Fritz Göttler

Das geht natürlich gar nicht, ein Mädchen, das sich in ein Wettspiel der Jungs einmischt, Luana, ganz selbstbewusst und siegentscheidend - und dass dann ein Junge sie gegen Anwürfe verteidigt, Agim, der gar nicht ins Dorf in den albanischen Alpen gehört. Seine Eltern mussten fort aus der Stadt, weil sie als Intellektuelle galten, es ist Ende der Fünfziger und der Diktator Enver Hoxha verschärft drastisch sein sozialistisches Regime. Es wird ein Religionsverbot geben und politische Säuberungen. Agim und seine Eltern planen die Flucht nach Deutschland. Und weil eine Liebe entstanden ist zwischen Luana und Agim, soll Luana mit.

Es ist eine Liebe, die auch Emanzipation ist. Er liest ihr vor, eine Überlebensgeschichte, Jack Londons "Wolfsblut", und bringt ihr das Lesen und Schreiben bei. Sie will sich das Buch borgen, aber es ist verboten, es bei sich im Haus zu haben. Also hinterlegt er es in einem Loch im Felsen, ein Schrein mitten in der Natur. Im Dorf gibt es eines Nachts ein Feuer. Bücher und Ikonen brennen.

"Die Revolution machen bedeutet auch, sehr alte Dinge an ihren Platz stellen, die vergessen sind"

Luana, die sich gerne Freiheiten herausnimmt, wird nicht mitkommen, sie ist entschlossen, dem Vater gehorsam zu sein und ihre Liebe aufzugeben. Der ist ein angesehener Bauer und hat bereits einen Ehemann für sie bestimmt, auch der Brautpreis ist schon festgesetzt. So sieht der Kanun es vor, die alte, auch religiös bestimmte Tradition, die in den Bergen weiter gilt, dem sozialistischen Regime zum Trotz. "Wir sind stolze und sture Menschen. Damit wir nicht wie die Tiere sind, brauchen wir den Kanun und seine Regeln. Er führt uns durchs Leben, so grausam er uns auch scheinen mag... Du wirst den Jungen nicht wiedersehen."

Es ist eine aufregende Dialektik des Widerstands, die der Film entwickelt. Familien und Clans bestimmen das Leben im Dorf, die Frauen sind in diesem System zum Objekt gemacht, zur Handelsware. Aber der Kanun, der all das regelt, kennt doch ernste Gefühle und Verantwortung. Und die Treue der alten Ordnung gegenüber ist revolutionärer als die sozialistischen Exzesse der Politik. "Die Revolution machen", hat der politische Philosoph Charles Péguy lakonisch bemerkt, "bedeutet auch, sehr alte Dinge an ihren Platz stellen, die vergessen sind." Luana ist bereit, die Rolle anzunehmen, die der Vater, der Kanun, für sie vorsieht.

Dann aber wird ein Rollenwechsel nötig - und der Kanun entwickelt progressive, fast absurde Sprengkraft. Der Bräutigam ist irritiert, als er merkt, dass Luana lesen und schreiben kann. Sie hat ihren eigenen Kopf, das darf nicht sein. Er zweifelt provozierend Luanas Jungfräulichkeit an - das ihm versprochene Objekt ist beschädigt -, vergeht sich an ihr, tötet im Streit den Vater. Luana will diesen Mörder nicht zum Mann nehmen - und der Kanun kennt einen kühnen Gender-Kniff, um sie von der versprochenen Ehe freizusetzen. Sie wird zur Burrnesha, zur Schwurjungfrau. Sie wird Freiheit finden, indem sie als Mann lebt, auf die Liebe und Ehe verzichtet.

Rina Krasniqi hat als Luana eine natürliche Sicherheit, sie schneidet sich die Haare, trägt eine Männerjacke, nimmt ein Gewehr zur Hand. Ihr Handeln ist nun von einer Gradlinigkeit und Freiheit wie in den Western von Boetticher und Hawks. Eine schmerzlich radikale Freiheit, wie ein Schritt ins Kloster. Eine Freiheit, die es nur durch Entsagung gibt.

Luanas Schwur , 2021 - Regie: Bujar Alimani. Buch: Katja Kittendorf. Kamera: Jörg Widmer. Schnitt: Philipp Thomas. Musik: Olaf Didolff. Mit: Rina Krasniqi, Kasem Hoxha, Nik Xhelilaj, Shkurte Sylejmani. Splendid, 120 Minuten. Kinostart: 9. Februar 2023

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