Süddeutsche Zeitung

Karikaturen:Versteht man in der Türkei noch Humor?

Lesezeit: 2 min

Über türkische Satiriker, die Präsident Erdoğan herausfordern - so gut es eben geht.

Von Tim Neshitov

Hat Recep Tayyip Erdoğan Sinn für Humor? Für seine Anhänger ist er ein schlagfertiger Charmeur, für seine Gegner, von denen viele im Gefängnis sitzen, ist er ein Spaßbefreiter, der leider zu viel Macht hat. Seine Anhänger finden zum Beispiel folgenden Wortwitz von Erdoğan lustig, ein Hieb in Richtung Greenpeace (die Organisation kämpft in der Türke gegen umweltzerstörende Dämme): "Die sind green pis, aber wir haben das wahre Grün." Pis heißt auf Türkisch dreckig. Grün ist die Farbe des Islam, zu dessen Verteidigern sich Erdoğan zählt.

Bei der Eröffnung des gigantischen Präsidentenpalasts in Ankara vor ein paar Jahren musste sich Erdoğan gegen den Vorwurf der Prunksucht verteidigen und zog diesen einfach ins Lächerliche: "Sie wissen ja, auch unsere Kloschüsseln hier sind alle mit Gold beschichtet!" Das sorgte für eher verhaltene Heiterkeit im Publikum. Ein Erdoğan-Fan bewirbt das Video auf Youtube trotzdem mit der Ankündigung: "Nach Erdoğans Witz: Der Saal lacht sich kringelig."

Was sich herumgesprochen hat, ist, dass der türkische Präsident nicht gut über sich selbst lachen kann; Derblecken am Nockherberg wäre also nicht seins. Erdoğan befolgt eher den Grundsatz: Wer als letzter lacht, lacht am besten (auch wenn er dann gar nicht lacht, sondern grimmig dreinschaut). Diensteifrige Staatsanwälte haben landesweit Hunderte Strafverfahren wegen Beleidigung und Verunglimpfung seiner Person und seines Amtes angestrengt. Kabarettisten, die Erdoğan öffentlich aufs Korn nähmen, gibt es nicht mehr, aber es gibt immer noch - auch ein Jahr nach dem gescheiterten Putsch, im Klima von Notstand und Hexenjagd - Satirezeitschriften. Und die fordern den Herrscher, so gut es geht, heraus.

Der Avant-Verlag und die Caricatura-Galarie Kassel stellen nun dem deutschen Publikum diese schrumpfende Szene vor: Die türkeiaffine Dokumentarfilmerin Sabine Küper-Büsch hat Arbeiten von 46 Zeichnern der Satiremagazine LeMan, Uykusuz und Penguen (letztere ist kürzlich eingestellt worden) zusammengetragen und kommentiert. Ihre Anthologie heißt "Schluss mit Lustig - Aktuelle Satire aus der Türkei." Die begleitende Ausstellung in Kassel läuft bis 28. August.

Für Außenstehende sind die Karikaturen nicht immer Schenkelklopfer

Lachen in Zeiten der Repression ist im Idealfall befreiend, vor allem für die mutigen Satiriker und auch für jene Zeichner, die bereits im Gefängnis sitzen, aber natürlich auch für die treue Leserschaft und für die mit Klagen überzogenen Verlage. Für Außenstehende sind diese Karikaturen nicht immer Schenkelklopfer, sie nehmen oft Bezug auf Ereignisse und Menschen, die außerhalb der Türkei unbekannt sind. Aber die Auswahl und die Kommentare von Sabine Küper-Büsch sind informativ (bis auf die saloppe Bezeichnung des Predigers Fethullah Gülen als "Islamistenführer") und unterhaltsam, man versteht danach die Türkei besser, das Land, das bereit war, sich Recep Tayyip Erdoğan zu ergeben.

Und einiges ist einfach lustig:

Verirrt sich ein holländischer Tourist nach Istanbul, Dialog mit dem Taxifahrer:

"Ich wollen nach Ortakoy".

"Bist du Holländer?"

"Ja, du mich jetzt hauen?"

"Aber nein, mein Freund. Wie komme ich nach Holland? Kannst du da helfen?"

"Nein, das geht nicht."

"Fick dich, du Schwuchtel! Raus mit dir!"

Schluss mit Lustig - Aktuelle Satire aus der Türkei. Avant Verlag, Berlin 2017. 80 Seiten, vierfarbig, Hardcover, 15 Euro. Caricatura - Galerie für komische Kunst bis 28 August.

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Quelle:
SZ vom 21.07.2017
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