Süddeutsche Zeitung

"Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen":Held mit Borsalino

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Der Protagonist in Isaac Blums Debüt ist jung, jüdisch-orthodox und verliebt. Doch dann platzt der antisemitische Terror in sein Leben.

Von Christine Knödler

"Alles begann an Tu B'Av, an einem der etwas merkwürdigeren jüdischen Feiertage." Was genau da gefeiert wird, weiß nicht mal der Jeschiva-Schüler Hoodie Rosen. Ein Musterschüler ist er ohnehin nicht, dass er weit aus seinem bisherigen Leben ausscheren könnte, ahnt er allerdings nicht. Seine Familie ist orthodox, die Rosens sind streng praktizierende Juden, vor Kurzem sind sie mit ihrer Gemeinde in die US-amerikanische Kleinstadt Tregaron gezogen, und so paukt Hoodie den Talmud und schlägt sich zu Hause mit seinen vielen Schwestern herum. "Du hast dir meine Familie vielleicht im Geiste vorgestellt. Wenn du dich an stark übertriebenen orthodoxen Stereotypen orientierst, dann liegst du goldrichtig", kommentiert er und erweist sich als überaus witziger, souveräner Erzähler, der Zuschreibungen, indem er sie stets überbietet, zugleich hinterfragt, und eigentlich nichts so richtig ernst nimmt. Bis es ernst wird.

Denn Tregaron lehnt die jüdische Gemeinde ab. Die Bürgermeisterin blockiert den Bau neuer Wohnungen, Protestschilder säumen artig getrimmte Vorgärten, schließlich werden auf dem Friedhof jüdische Grabsteine geschändet. "Geht nach Hause, Juden" steht da. Darüber ist ein Hakenkreuz gepinselt.

Es ist das erste Mal, dass Hoodie Antisemitismus mit eigenen Augen sieht. Und es wird der Augenblick, in dem er sich endgültig bis über beide Ohren verliebt. Bis dahin hat er bereits zahllose jüdische Gesetze gebrochen, hat Anna-Marie kennengelernt und sich mit ihr getroffen, obwohl sie nicht jüdisch ist. Dass Anna-Marie die Tochter der Bürgermeisterin ist, macht die Sache nicht besser, und doch werden die beiden zusammen die antisemitischen Schmierereien entfernen. Für Hoodie ist das eine gute Tat - für seine Familie, seine Lehrer, seine Freunde, für die Gemeinde ist es Verrat. Aber was ist falsch daran, etwas Schlechtes zu beheben? Was ist falsch daran, sich zu verlieben?

Dass es immer auch die "sitra achra", die andere Seite gibt, weiß er

"Das Judentum hat einfach für alles Gesetze (...) Aber der Trick ist, dass du diese Gesetze nur befolgen musst, wenn du davon weißt", versucht Hoodie es mit seinem Wahlspruch, der bislang gut funktioniert hat. Doch Hoodie ist nicht naiv. Er ist nur jung. Und lebendig. Dass es immer auch die "sitra achra", die andere Seite gibt, weiß er. Dann trifft im harmlosen Fall Klapphandy (von Hoodie) auf Smartphone (von Anna-Marie), dann reden die beiden munter aneinander vorbei. Das hat Slapstick-Qualität. Das hat Tradition.

Wie komisch-komödiantisch es sein kann, wenn jüdisch-orthodoxes Leben auf moderne Welt trifft, hat zuletzt die weltweit erfolgreiche israelische Serie "Shtisel" über eine Jerusalemer Familie vorgemacht. Das Memoir "Unorthodox" von Deborah Feldman beschrieb einen Freiheitskampf gegen Angst und Abhängigkeit. Isaac Blum hat mit seinem Debüt nun eigene Maßstäbe gesetzt.

Er lässt Extreme aufeinandertreffen und entwickelt daraus viel Situationskomik, reißt aber auch die Fenster zu einem neuen Bild seiner Gemeinschaft weit auf. Weil er einen Adoleszenzroman geschrieben hat, steht jugendlicher Freiheitsdrang grundsätzlich jeder Engstirnigkeit entgegen: der religiösen, der weltlichen, der zwischen den Generationen. Und weil der Autor "sitra achra" als Ausgangspunkt allen Denkens beibehält, entsteht sogar so etwas wie Versöhnung. Schließlich gibt es, je nach Standpunkt, immer eine andere Seite.

Die behält der Autor auch dann im Blick, als sich der Konflikt auf allen Ebenen zuspitzt, als Hoodie von der Gemeinde ausgegrenzt und abgestraft wird und ein antisemitischer Terroranschlag alles bisher Gültige auf allen Seiten sprengt.

Mit seinem Debüt hat Isaac Blum den Anschlag auf einen Supermarkt in Jersey City im Jahr 2019 literarisch verarbeitet. Vor allem meldet sich mit ihm und seinem Helden Hoodie Rosen eine eigene, eigenwillige Stimme zu Wort. Auf der Suche nach einer neuen Position, einem individuellen Lebensentwurf bricht sie, wenn nötig, Tabus, um die Vereinbarkeit vieler Gegensätze zu zeigen. Am Ende dieses beeindruckenden Romans ist das ein Anfang.

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