Süddeutsche Zeitung

"In den besten Händen" im Kino:Erste Hilfe

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"In den besten Händen": Eine Tragikomödie über eine Pariser Notaufnahme, in der Gelbwesten, Le-Pen-Fans und Macron-Wähler aufeinandertreffen.

Von Josef Grübl

Raf stürzt beim Laufen auf einer Pariser Straße heftig auf den Ellenbogen, der sofort stark anschwillt. Es tut furchtbar weh. Auch sonst läuft es eher mittelprächtig für die Comiczeichnerin (Valeria Bruni Tedeschi), die mit ihrer Freundin Julie (Marina Foïs) in einer schönen Wohnung mitten in Paris lebt - zumindest noch.

Die Beziehung kriselt, Julie will sich trennen, Raf rennt ihr hinterher, dabei passiert der Sturz. In der Notaufnahme einer Pariser Klinik muss sie warten, eine ganze Nacht lang, beziehungsweise die ganze Filmlaufzeit. Die französische Regisseurin Catherine Corsini hat ein Krankenhaus-Kammerspiel inszeniert, "La fracture" lief letztes Jahr im Wettbewerb des Festivals von Cannes und kommt nun in Deutschland unter dem etwas weichgespülten Titel "In den besten Händen" in die Kinos.

Ein Patient tickt aus und greift die Krankenschwester an - schweißt das die anderen zusammen?

Die Filmemacherin erzählt aus eigener Erfahrung, vor ein paar Jahren stürzte sie selbst und landete in der Notaufnahme des Pariser Hôpital Lariboisière. Dort lernte sie in der Praxis, dass Pflegenotstand mehr als ein politischer Kampfbegriff ist und nicht alle Patienten aus der eigenen Mittelstandsblase stammen. Nach zwei historischen Filmen ("La belle saison", "Un amour impossible") wollte Corsini etwas über die Gesellschaft von heute machen, über ihre Risse, Spannungen und Spaltungen. Der titelgebende Bruch betrifft also längst nicht nur Rafs Ellenbogen - hier wird eine kleine Geschichte im Großen erzählt.

Im Mikrokosmos der Notaufnahme treffen Menschen aus Bevölkerungsschichten aufeinander, die sich sonst kaum treffen würden, was laut und traurig und auch komisch ist. Denn Raf ist eine schreckliche Nervensäge, die sich aufführt, als wäre sie die einzige Patientin. Ist sie natürlich nicht, daher gerät sie auch mit einem Hitzkopf namens Yann (Pio Marmaï) aneinander. Dieser führt kein so privilegiertes Leben wie sie, er hat nur einen schlecht bezahlten Job als Lkw-Fahrer. In Paris ist er nur, weil er an einer Gelbwesten-Demo teilnehmen wollte. Dummerweise wurde er dabei am Bein verletzt. Noch dümmer, dass sein Chef nichts von diesem Abstecher weiß und er längst wieder am Steuer sitzen müsste. Doch wer schon einmal in einer Notaufnahme gewartet hat, weiß: Es dauert immer länger als gedacht.

Yanns Nerven liegen also blank, die seiner Bettnachbarin sowieso. "Sie haben doch die Blonde gewählt", keift Raf ihn an. "Le Pen ist nur wegen Leuten wie Ihnen da", zetert er zurück. Das ist angesichts der Ergebnisse der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl sehr aktuell, beschreibt aber eine bereits lange anhaltende Stimmung in Frankreich. Die Regisseurin arbeitet sich lustvoll an gesellschaftlichen Gegensätzen ab, sie legt ein hohes Tempo vor und schafft es trotzdem, keine ihrer Figuren zu verraten. Ihr Inszenierungsstil wirkt dokumentarisch, die Rolle der diensthabenden Krankenschwester vertraute sie einer echten Krankenschwester (Aïssatou Diallo Sagna) an.

Das Zusammenspiel zwischen Laien- und Profischauspielerinnen klappt wunderbar. Überhaupt schafft es die Regisseurin gut, das Komische und Tragische zu verbinden, das Politische und Private. Darüber scheint sie trotz allem die Hoffnung auf das Gute im Menschen nicht aufgegeben zu haben. Als ein manisch-depressiver Patient ausrastet und die Krankenschwester angreift, scheint die Lage endgültig zu eskalieren. Doch die hysterische Raf und der hitzköpfige Yann halten plötzlich zusammen und schaffen es, den Angreifer zu befrieden. Muss es immer erst noch schlimmer werden, damit sich alle wieder beruhigen?

La fracture, Frankreich 2021 - Regie: Catherine Corsini. Mit: Valeria Bruni Tedeschi, Marina Foïs, Pio Marmaï. Alamode Film, 98 Minuten. Kinostart: 21. April 2022.

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