Süddeutsche Zeitung

Im Kino: The Way Back:Starkes Stück

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Unglaubliche Strapazen, brutaler Terror, armseliger Tod - und doch Sekunden des Glücks: Peter Weir erzählt in seinem Comeback-Film "The Way Back" eindringlich von einer Flucht aus Stalins Gulag.

Fritz Göttler

Es gibt Momente der Erleichterung, der Leichtigkeit, des Leichtsinns in diesem Film, der von so unglaublichen Strapazen, von brutalem Terror, verzweifelter Flucht, armseligem Tod handelt. Unerwartete, unerhörte Momente, es könnten Sekunden des Glücks sein mitten in der Wildnis, der Wüste, der Einsamkeit.

Da kommt die Gruppe der Gulag-Flüchtlinge nach Tagen in der sibirischen Taiga an einen Fluss, der ist mit einer Eisschicht überzogen, aber ist die dick genug, wird sie halten? Die Männer trauen sich nicht, aber dann springt das Mädchen, das sich ihnen angeschlossen hat, los, vorsichtig beherzt, und die Männer folgen ihr, wie Jungs beim Spielen, das Eis knackt bei jedem Sprung, Schollen brechen los, einer landet im Wasser, aber dann haben sie es geschafft. Es ist ein Glück des Risikos, der Unwiederholbarkeit, des Nichtmehrzurückkönnens, das uns verloren ging in der Wohlstands- und Sozialstaatsgesellschaft.

Seit sieben Jahren hat der Australier Peter Weir keinen Film mehr gemacht, und als ein Comeback-Projekt ist "The Way Back" ein starkes Stück. Die Flucht einiger Häftlinge, 1940, aus einem Straflager Stalins, nach dem authentischen Bericht des Polen Slavomir Rawicz, on locations gedreht, in den Landschaften Europas und Asiens. Nur halbherzig werden die Flüchtenden verfolgt, die Wächter vertrauen auf die Wildnis ums Lager, die ihnen keine Chance lassen wird: Der polnische Offizier Janusz (Jim Sturgess), der amerikanische linke Ingenieur Mr. Smith, der in den Dreißigern sich beim sowjetischen Aufbau verpflichtete (Ed Harris), ein Geistlicher und ein Schauspieler, der Kleinkriminelle Valka, der im Lager es sich mit Kumpanen verscherzte (Colin Farrell) - später kommt noch ein Mädchen dazu, elternlos (Saoirse Ronan).

Sie wollen nach China, aber als sie dann die Grenzlinie erreichen, ragt ein merkwürdiges Memorial vor ihnen auf, Stalin neben Chiang Kai-shek, ein groteskes, stummes Zeichenkonstrukt in einer menschenleeren Ödnis, zu wem soll es sprechen, wer soll es deuten, wem soll es den historischen Moment verkünden? Den Flüchtlingen sagt es, sie müssen nun weiter, durch die Wüste Gobi, über den Himalaya, nach Tibet und Indien.

An den Stummfilm hat Peter Weir denken müssen bei der Arbeit, der so ganz anders war als das Kino der Tonfilmepochen. Ein Satz von Renoir ging ihm im Kopf herum, "Ich denke, da war etwas Hypnotisches zwischen der Großaufnahme eines Stars und dem Zuschauer." Fasziniert von Gesichtern ist Peter Weir, immer wieder lässt er die Kamera auf ihnen verweilen. "Ich filmte sie so wie ich Landschaften filmte, weil das die DNS dieses Films zu sein schien, Landschaften und das menschliche Gesicht, die Natur und die menschliche Natur."

Ein Film aus Großaufnahmen und aus Totalen, all die Einstellungen dazwischen, von Halbnah bis zur Amerikanischen, sind verschwunden, in denen gewöhnlich Konstellationen aufgebaut und Personen konturiert werden, in denen erzählt wird. Für Erzählung ist kein Platz auf diesem Trip, in dieser Weite und Einsamkeit. Es ist bestürzend und faszinierend zugleich, wie dieser Film die Zeit verschwinden lässt als eigentliche Materie des Erzählens. Wie nur der Raum bleibt als Abstraktion, und die Menschen in ihrer Vereinsamung. Es schmerzt, wenn man an Weirs vorigen Film denkt, "Master and Commander - Bis ans Ende der Welt", mit Russell Crowe als Kaperkapitän, mit einer schönen Galapagos-Episode, in der eine fremde Welt erforscht und katalogisiert wird.

Erst am Ende kommen die Zeit, das Erzählen, der Konflikt zurück in den Film. Anfangs hatte man Janusz beim Verhör gesehen, man warf ihm Verrat vor an der Sowjetunion, seine Frau wird hereingebracht, sie hat ihn belastet, unter der Folter. Sie wird sich das nie vergeben, sagt er, also muss ich zurück zu ihr, um ihr Vergebung zu erteilen. Mit diesem Moment erst wird der Weg zurück wirklich sein Ende finden.

THE WAY BACK, USA 2010 - Regie: Peter Weir. Buch: Peter Weir, Keith R. Clarke. Nach dem Buch von Slavomir Rawicz. Kamera: Russell Boyd. Mit: Ed Harris, Colin Farrell, Jim Sturgess, Saoirse Ronan, Gustaf Skarsgård, Mark Strong. Splendid/Fox, 132 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 05.07.2011
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