Süddeutsche Zeitung

Im Kino: Briefe an Julia:Seltsamer Verein, diese Liebenden

Lesezeit: 2 min

Eine Amerikanerin findet einen vergilbten Liebesbrief und will das Paar wiedervereinen: Amanda Seyfried auf einem Roadtrip, so trödelig wie ein Auto auf einer toskanischen Landstraße.

Fritz Göttler

Ein seltsamer Verein, dieser Club di Giulietta in Verona. Ein paar Frauen aller Altersstufen, die in einem kleinen Büro als Sekretärinnen von Shakespeares Julia agieren, die dank ihres tragischen Geschicks als Spezialistin für Liebeskummer gilt, hier werden also täglich jede Menge Briefe beantwortet, in denen Liebende aus aller Welt ihr Leid klagen, die voll sind von Einsamkeit und Vergeblichkeit.

An einer kleinen Klagemauer werden sie deponiert von denen, die selbst nach Verona gepilgert sind, und einen dieser Briefe findet die Amerikanerin Sophie (Amanda Seyfried), die mit ihrem Verlobten in der Stadt ist, einem hektischen Kochvirtuosen, primär interessiert an Trüffel und Wein. Sophies Brief ist verstaubt und vergilbt und über fünfzig Jahre alt, eine junge Engländerin, Claire, hat einen jungen Italiener, Lorenzo, kennen und lieben gelernt, aber statt mit ihm zusammenzugehen, ist sie wieder zurück und hat die Liebe verraten...

Sophie schreibt der Frau, sie ist Faktencheckerin beim New Yorker, will auch diese Geschichte aus dem Traumgespinst auf den Boden der soliden Tatsachen zurückholen. Wenige Filmminuten später steht Claire vor ihr, Vanessa Redgrave, zusammen mit ihrem Enkel Charlie, Christopher Egan. Noch mal ein paar Minuten später sind die drei auf dem Weg durch die Toskana, um all die möglichen Lorenzos abzuklappern und das alte Paar nun endlich zusammenzubringen.

Ein Roadmovie also, das seinen ganz eigenen Rhythmus entwickelt, so langsam und trödelig wie ein Auto, das auf einer der endlosen Landstraßen der Toskana dahinschlingert - man sieht das immer wieder in den wunderschönen Totalen in diesem Film.

Und man meint durch die Bilder die weiten Ober- und Unterlängen seiner Erzählung durchschimmern zu sehen - José Rivera, einer der Drehbuchautoren, schreibt alles immer noch mit der Hand. Für sein Script der Motorcycle Diaries ist er 2004 für den Oscar nominiert worden. Gael García Bernal, der da den jungen Che spielte, ist nun als Restaurateur Victor dabei.

Das amerikanische Kino ist fabelhaft, wenn es sich auf die einfachen Formen besinnt, die Mythen und Märchen. Noch fabelhafter ist es, wenn es diese auf den Kopf stellt und pervertiert. Die hagere Redgrave ist, traumverloren müde, eine Art moderner Don Quijote, im Land herumkurvend auf der Suche nach Dulcinea. Die Dulcinea ist am Ende der Westernstar Franco Nero - in Wirklichkeit Redgraves Gatte.

Ganz klassisch kommt einem Gary Winicks Film dann vor, durch und durch shakespeareanisch - und das nicht nur Redgraves wegen. Was, fragt man sich angesichts dieser den Lauf der Zeit verachtenden Briefe und ihrer Flaschenpostigkeit, was, wenn reine Präsenz damals alles gewesen wäre, wie es heute im Kino ist, wenn das, was wir von Shakespeare noch haben und so sehr bewundern, die Worte und Sätze, die ganze Poesie, nichts war als Auslöser - für Blicke und Gesten und Bewegungen?

Letters to Juliet USA 2010 - Regie: Gary Winick. Buch: José Rivera, Tim Sullivan. Kamera: Marco Pontecorvo. Schnitt: Bill Pankow. Mit: Amanda Seyfried, Vanessa Redgrave, Gael García Bernal, Christopher Egan, Franco Nero, Oliver Platt. Concorde, 105 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 19.08.2010
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