Süddeutsche Zeitung

"And now ..." im Kino:Ein Traumspiel

Lesezeit: 3 min

Erinnerungsselig - And now ... Ladies and Gentlemen von Claude Lelouch, nun mit Patricia Kaas und Jeremy Irons.

Von Susan Vahabzadeh

Das Leben ist ein Schlaf ...Eine Frau ist gefangen in einem Kreisverkehr in Paris, bis die Polizei sie anhält - sie weiß nicht, wie lange sie schon fährt, wohin sie eigentlich will, zu wem. Ein Mann wiederum, viele Meilen entfernt, macht sich mit einem Segelschiff auf in die Welt, er beginnt auf der einen Seite des Mittelmeers und erwacht auf der anderen wieder - die Weltreise könnte schon stattgefunden haben und er würde es nicht wissen. Temporäre Amnesie heißt, woran sie beide leiden, sie haben die Kontrolle über ihr Gedächtnis verloren. Erst wenn sie sich begegnen in Marokko, die Sängerin und der Ex-Gauner, versuchen sie noch einmal herauszufinden, wer sie sind. Sie lassen sich treiben und driften dabei aufeinander zu ...

Natürlich kann man im Kino eine Geschichte erzählen von einem Mann und einer Frau in der Vorstadt. Aber Claude Lelouch erzählt lieber von Männern und Frauen in Nobelhotels, von Rennfahrern und Stuntmen und Sängerinnen und genialen Gaunern. Er widmet sich lieber der Wahrheit der Gefühle als der Abbildung des Alltags - weshalb man ihm seine Verliebtheit in Kulissen gelegentlich vorgeworfen hat. Das trifft auch auf "And Now... Ladies and Gentlemen" zu, wunderbare Landschaften und Interieurs hat er gewählt für den Film. Das Leben, so lautet eine Zeile, ist ein Schlaf, und die Liebe ist der Traum darin - vielleicht braucht es ein Märchenland, um von der Liebe zu erzählen, und die Unfähigkeit sich zu erinnern ermöglicht einen Neuanfang - frei von Angst und Bindungen und Schuldgefühlen.

Die Jazzsängerin spielt Patricia Kaas, sie singt in einem Hotel für Touristen, in Marokko, bezaubert sie, bis sie eines Tages nicht mehr weiß, was sie tut und einfach von der Bühne läuft. Jeremy Irons ist ein genialer Gentleman-Gauner, der eine elegante, gewaltfreie Methode entwickelt, um Top- Juweliere auszurauben - er gibt sich als Polizist aus, der diese vor einem geplanten Überfall warnt: Machen Sie alles mit, was der Bursche verlangt, wir haben unsere Leute vor Ihrem Geschäft, alles ist unter Kontrolle. Und dann tritt, nach dieser Einstimmung, ein tattriger Gangster in Aktion ...

Auch seine Frau, so beginnt die Geschichte, hat er auf einem Raubzug erbeutet, zusammen mit einem kostbaren Collier - als er sich dann auf seine Reise begibt, scheint er auch vergessen zu haben, wie sehr er sie einmal geliebt hat. Lügen, heißt es einmal in diesem Film, sind Träume, die man in flagranti erwischt hat... Die schönsten Sätze, die dem Autor Lelouch einfallen, sind wunderlich weise und zutiefst wahrhaftig, selbst dann noch, wenn es nicht schwer wäre, das Gegenteil zu beweisen. So sind die Filme, so ist auch "And Now... Ladies and Gentlemen". Die Dinge ergeben so wie sie zusammenfließen einen Sinn, aber sie sind nicht dazu da, in ihre Bestandteile zerlegt zu werden. Wie in Musikstücken - die einzelnen Noten zählen nichts.

Der Film ist ein Schlaf, und die Liebe, die Jeremy Irons und Patricia Kaas füreinander empfinden, ist der Traum darin. "And Now... Ladies and Gentlemen" ist ein sehr altmodischer Film, man könnte fast behaupten, Lelouch löse das Versprechen, das Spielberg macht mit dem Vorspann zu seinem "Catch Me If You Can" - eine wunderbare Trickfilm-Hommage an die Sechziger, die Pink-Panther-Ära, nach der er die Geschichte selbst dann aus der Distanz von vierzig Jahren erzählt. Lelouch hingegen bewegt sich in einem Traumland, in dem die Zeit stehen geblieben ist, man erwartet in dem Hotel in Marokko jederzeit, dass der junge Depardieu auch zu Gast ist, aus einem anderen Film, und dass an der Bar Claudia Cardinale sitzt und sich an Jeremy Irons heranmacht, ist gar keine Überraschung. Wenn alle Filme so wären, wäre das Stillstand - und es ist schön, solange einer nur seiner eigenen Zeitrechnung folgt. Noch ein wunderbarer Spruch aus Lelouchs Feder , aus "So sind die Tage und der Mond": Sie nehmen uns eine Stunde im Frühling, wenn es warm ist, und geben sie uns zurück im Herbst, wenn wir sie nicht mehr wollen. Lelouch hat für sein Filmreich die ewige Sommerzeit festgehalten. AND NOW ... LADIES AND GENTLEMEN, F 2002 - Regie, Buch: Claude Lelouch. Adaptation, Dialoge: Claude Lelouch, Pierre Uytterhoeven, Pierre Leroux. Kamera: Pierre William Glenn. Schnitt: Hélène de Luze. Musik: Michel Legrand. Mit: Jeremy Irons, Patricia Kaas, Alessandra Martinez, Thierry Lhermitte, Jean-Marie Bigard, Amidou, Claudia Cardinale, Sylvie Loeillet. Universum, 133 Minuten.

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SZ vom 30.01.03
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