Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Hermann Kurzke:Ein sensibler Leser

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Bei ihm gehörte auch das Rauchen zum Werk des Disziplinmenschen Thomas Mann: Der Germanist Hermann Kurzke ist tot.

Von Gustav Seibt

Die schönste, interessanteste Biografie Thomas Manns hat Hermann Kurzke verfasst. Sein Buch ist originell aufgebaut, es wechselt zwischen chronologischen und thematischen Kapiteln, es verbindet Erzählung mit systematischen Erörterungen. In beiden Formen ist es gleich durchsichtig und spannend geschrieben. Thomas Manns Werk nicht als Spiegelung des Lebens, sondern als Kompensation, als Produkt eines lebenslangen Triebverzichts, der vom Leben die Energie abzweigte, um aus einem Minimum an Erfahrung große Kathedralen von Humor, Liebe und Sehnsucht zu errichten: Das war Kurzkes Thema.

Dabei war dieser begnadete Philologe kein platter Psychologist, sondern Feinarbeiter am Text. Kurzkes monumentaler Kommentar zu den "Betrachtungen eines Unpolitischen" führte tief ins Unterholz der heterogenen Quellen, die Mann beim "höheren Abschreiben" montierte. So wurden die "Betrachtungen" als insgeheim gar nicht so konservatives Buch sichtbar, das die spätere Entwicklung zur Demokratie schon enthielt.

Der 1943 geborene Kurzke war auch katholischer Theologe, Romantik-Forscher und passionierter Kenner des deutschsprachigen Kirchenlieds, darüber hinaus ein umfassend orientierter Intellektueller, der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung jahrelang eine regelmäßige Zeitschriftenschau verfasste.

Diese Spannweite machte ihn zu einem sensiblen, nervösen Leser, der seine Helden nicht körperlos im reinen Geistergespräch unter anderen Großen beließ, wie es vor allem eine Unsitte der Forschung zu Thomas Mann ist, die dessen Homoerotik als "Achilles-Ferse" (Dieter Borchmeyer) ins Aside schiebt, um dann nur noch von Schopenhauer oder Wagner zu sprechen. Kurzke referiert in seiner Biografie die lebensprägenden Verliebtheiten, und er war sich nicht zu schade, auch das Rauchen als integralen Bestandteil dieser hochdisziplinierten Existenz zu beschreiben.

Umgekehrt war er imstande, dem Materialisten Georg Büchner in einer großen Biografie die Religiosität abzulauschen. Die Spannung zwischen dem Leiblichen und dem Geistig-Geistlichen, die Kurzke immer wieder aufzeigte, dürfte seiner unaufdringlichen Katholizität entsprungen sein: Das Wort wurde Fleisch, sündhaft und erbarmenswürdig, auch in der Literatur. Am 17. Februar ist der menschenfreundliche Germanist Hermann Kurzke in Mainz, wo er jahrzehntelang einen Lehrstuhl innehatte, mit 81 Jahren verstorben.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels war das Todesdatum von Hermann Kurzke falsch angegeben.

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