Süddeutsche Zeitung

"Ghosted" auf Apple TV+:Kuss der Waffenfrau

Lesezeit: 3 min

Ana de Armas macht ihrem Nachnamen alle Ehre, in "Ghosted" spielt sie mal wieder eine tödliche Agentin. Chris Evans aber will's nicht glauben.

Von Tobias Kniebe

Wer seine Zuschauer in einen teuren, weltumspannenden Actionfilm hineinziehen will, sollte besser gleich die Waffen sprechen lassen. Diese Regel gilt immer, im Kino und erst recht, qua Umschaltgefahr, bei den Streamingportalen. Strenge Erfolgsalgorithmen, scheint es, wachen heute über das alte James-Bond-Rezept: dass es schon mal ordentlich krachen muss, bevor der erste Filmtitel überhaupt eingeblendet wird.

Wer es anders macht, muss gute Nerven haben, und deshalb ist der Anfang von "Ghosted" eine kleine Geste des Widerstands. Da hat also Apple TV+, mit dem Selbstbild des kleineren, feineren, progressiveren Streamers, das übliche Einmal-um-die-Welt-Geballer bei der Firma Skydance bestellt, den Machern von "Mission Impossible" und "Top Gun: Maverick".

Aber was sieht man zu Beginn? Eine junge Frau auf einem Farmer's Market in Washington, die mit dem Bauern hinterm Blumenstand streitet und flirtet und dann einen sonnigen Tag mit ihm verbringt, der scheinbar gar nicht enden will, und schließlich sogar eine Nacht.

So beginnen romantische Komödien, und die Botschaft ist wohl, dass Gefühle hier ernst genommen werden. Der Bauer Cole sorgt sich um seine Eltern und seine Pflanzen und hofft vielleicht ein bisschen zu sehr, "die Eine" zu treffen - Chris Evans bemüht sich dabei redlich, seine Vergangenheit als "Captain America" vergessen zu machen. Und Ana de Armas als Sadie, unzufrieden mit ihrem Irgendwas-mit-Kunst-Job und genervt davon, ständig um die Welt zu jetten, schaut wirklich recht verliebt.

Chris Evans spielt einen Bauern. Genauer: ein Bauernopfer

Großer Downer also, als sie plötzlich nicht mehr antwortet und Cole so einige Sprüche und Emojis ins Leere sendet, Sadie ihn also "ghostet", wie das heute heißt (daher der Titel). Wie alle aus dem Trailer längst wissen, liegt das aber daran, dass Sadie in Wirklichkeit eine von der CIA ausgebildete Killermaschine ist, die nicht ständig per Smartphone ihren Standort verraten kann. Und als Cole den Fehler macht, ihr hinterherzureisen, ist er zur falschen Zeit am derart falschen Ort, dass er selbst für einen Topagenten gehalten und gekidnappt wird. Als, nun ja, Bauernopfer.

Sadie muss ihn dann wieder befreien und mit ihren Killerkünsten verblüffen, und wenn man in einem solchen Film in London k.o. geschlagen wird, wacht man leicht mal am Hindukusch wieder auf. Es geht also um die Welt, fiese Schurken immer auf den Fersen, eine tödliche Superwaffe und ein Geheimcode wollen beschafft werden, Leichen pflastern ihren Weg. Das funktioniert natürlich nur mit der nötigen Gefühllosigkeit, bei Protagonisten und Zuschauern gleichermaßen, zugleich erkennt der Film aber auch, wie langweilig diese Haltung inzwischen geworden ist, endloser Genrestandard.

So kam Regisseur Dexter Fletcher, der zuvor den Queen-Film "Bohemian Rhapsody" retten musste und dann Elton John als "Rocketman" in eine neue Umlaufbahn geschossen hat, wohl auf die Idee, sich selbst gelegentlich Sand ins Getriebe zu streuen. Wenn nämlich der Bauer doch entsetzt darüber ist, was die Killerin in ihrem Job so alles anrichtet. Seine Fassungslosigkeit knüpft an den romantischen Anfang an und bringt sie - und alle anderen - öfter mal aus dem Konzept. Nur kurz natürlich, dies ist und bleibt ein Ballerfilm, aber immerhin.

Was wiederum männliche Filmemacher dazu bewegt, die zierliche Exilkubanerin Ana de Armas entweder als großäugiges Opfer ("Blonde", "Blade Runner 2049") oder aber als unbesiegbare Killermaschine zu inszenieren, ist auch mal eine Analyse wert. Seit sie James Bond in "Keine Zeit zu sterben" mit Maschinenpistole und Karatekünsten zur Seite stand, muss sie dieselbe Rolle immer wieder spielen, etwa in "The Gray Man" (einem konkurrierenden Einmal-um-die-Welt-Geballer von Netflix, auch mit Chris Evans) und jetzt hier.

Stets ist dabei, auch schon im Bondfilm, der amerikanische Geheimdienst CIA ihr Arbeitgeber. Vielleicht hat das historische Gründe, Exilkubaner waren bei der CIA, Stichwort "Schweinbucht", schon immer gern gesehen. Vielleicht aber fühlt sich Ana aber auch einfach ihrem Nachnamen verpflichtet. Armas heißt schließlich Waffen.

Ghosted , USA 2023 - Regie: Dexter Fletcher. Buch: Rhett Reese, Paul Wernick, Chris McKenna, Erik Sommers. Kamera: Salvatore Totino. Mit Chris Evans, Ana de Armas, Adrien Brody. Skydance, 116 Minuten. Auf Apple TV+. Streamingstart: 21. April 2023.

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