Süddeutsche Zeitung

Gezi-Park in Istanbul:Machtspiel im Grünen

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Die türkische Regierung entzieht Istanbul die Zuständigkeit für den Gezi-Park. Das könnte erneut zu Protesten führen.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Für die einen ist der Gezi-Park so etwas wie der Heldenplatz der jüngeren türkischen Geschichte, für die anderen ein Ort der Revolte, des Chaos und der ausländischen Einmischung in die Geschicke des Landes. Weil der heutige Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, damals noch Premier, den kleinen Park im Zentrum Istanbuls 2013 roden und auf einer der letzten Grünflächen der 20-Millionen-Einwohner-Metropole den Nachbau einer alten osmanischen Kaserne samt Einkaufszentrum errichten wollte, gingen die Bürger Istanbuls auf die Straße.

Nach drei Monaten hatte die Polizei die weitgehend friedlichen Proteste niedergeknüppelt, waren acht Menschen tot. Jetzt könnte der Kampf um den Gezi-Park wieder von vorn losgehen. Erdoğan hat der Stadt Istanbul unvermittelt die Zuständigkeit entzogen, die Grünanlage wird nun vom türkischen Kulturministerium verwaltet. Das Ministerium wiederum hat den Park an eine der vielen religiösen Stiftungen des Landes weitergereicht. Warum, das wird vorerst nicht gesagt.

Die Gezi-Bewegung war aus Sicht der liberalen Zivilgesellschaft trotz ihres Scheiterns ein Meilenstein. Die Proteste waren landesweit unterstützt worden, die Opposition trat der Regierung geeint entgegen, die Welt schaute auf den Kampf um den winzigen Park, am Ende wurde nicht gebaut. Für die Regierung hingegen war das Gezi-Phänomen Ausdruck des Aufruhrs und der Rebellion, unterstützt und finanziert von geheimen ausländischen Kräften, die Erdoğan stürzen wollten. Die Justiz verfolgte und inhaftierte zwar zahlreiche Oppositionelle wie den Kulturmäzen Osman Kavala. Beweise, dass Kräfte von außen die Strippen gezogen hätten, fehlen aber bis heute.

Vielleicht will Erdoğan seine Shopping-Mall im Osmanen-Look doch noch durchsetzen

Der Park selbst liegt seit Herbst 2013 halb vergessen am Rande des berühmten Taksim-Platzes. Im vorderen Teil hat sich die Polizei verbarrikadiert, im hinteren steht ein mittelmäßiges Teehaus, drum herum gehen Anwohner und Touristen unter den wenigen Bäumen spazieren, treiben sich nachts Drogensüchtige herum.

Was die Regierung im Sinn hat, darüber kann bisher nur spekuliert werden. Möglicherweise will Erdoğan sein Projekt einer Shopping-Mall im Osmanen-Look doch noch durchsetzen, auf diese Weise zeigen, wer das allerletzte Wort hat im Land. Immerhin hatte er 2016 gesagt, er sei so oder so entschlossen, die berühmte historische Kaserne nachzubauen und "an unsere Geschichte zu erinnern".

Der Ort des Parks ist auch ohne Erinnerung an die ehemalige Osmanen-Garnison geschichtsträchtig. Er liegt am Rande des Taksim, und der Platz mit seinem Atatürk-Denkmal gilt als das Herz der türkischen Republik. Derzeit wird er neu gestaltet. Neben dem Atatürk-Kulturzentrum, einem Opernhaus, das von einem der bekanntesten Architekten des Landes komplett neu gebaut wird, hat man eine gewaltige neo-osmanische Moschee im Erdoğan-Stil errichtet. Der Gezi-Park ist die letzte verbleibende Freifläche, auf der der Präsident, Freund gewaltiger Bauprojekte, auch noch seine steinerne Unterschrift setzen könnte.

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