Süddeutsche Zeitung

Filmstarts der Woche:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

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Warum der Eiffelturm nicht immer als Kulisse für Liebesgeschichten taugt sowie Neues von den "Ghostbusters" und der "Addams Family". Die Filmstarts der Woche.

Von den SZ-Filmkritikern

Das perfekte Schwarz

Anke Sterneborg: Sechs verschiedene Perspektiven auf eine Farbe, die sich durch die Abwesenheit von Licht definiert und zugleich ein Seelenzustand ist. Oben im Himmel, unten in der Tiefe des Meeres, auf der Haut, im Ohr, in der Seele und auf dem Papier sucht Tom Fröhlich das Wesen der vielleicht rätselhaftesten Farbe im Spektrum. Zusammen mit einem Astrophysiker, einer Meeresbiologin, einem Tattoo-Künstler, einer Musikerin, die als Synästhesistin Farben hörbar machen kann, einer Trauerbegleiterin und einem Kunstdrucker sammelt er verschiedene Facetten, ohne es auf ein abschließendes Fazit anzulegen.

Die Addams Family 2

Fritz Göttler: "Wednesday's child is full of woe", heißt es in einem bekannten Kinderlied. Ist also Wednesday, die coole missratene Tochter der etwas anderen, makabren Addams-Familie bei der Geburt vertauscht worden? Diese Frage (inklusive einer fälligen DNA-Analyse) löst einen Wirbel an hektischer Action aus, verbunden mit einem Sightseeing-Familientrip quer durch die USA (bei dem's natürlich nicht beim Seeing bleibt!), von den Niagarafällen bis ins Death Valley und nach Sausalito, wo ein fieser Konzernchef finster intrigiert, was Greg Tiernan und seine CGI-Truppe für ein kluges und böses Gesellschaftsporträt von hintenherum nutzen. Besonders sympathisch ist der lange Lulatsch Lurch, der an Frankensteins Monster erinnert - als er und Wednesday Probleme mit einem Trupp Rocker haben, fordert sie ihn auf, er solle ihnen zeigen, was er mit seinen kalten leblosen Fingern machen könne. Er folgt der Aufforderung und demonstriert, ganz mitreißend: I will survive ...

Eiffel in Love

Tobias Kniebe: Ein Film über die Entstehung des Eiffelturms, in dem wuchtige Eisenträger dramatisch in den Himmel von Paris ragen - da ist man doch gleich dabei. Wenn es um das Bauwerk und die nötige Ingenieurskunst geht, ist die Story auch wirklich packend - aber darum geht es bei Martin Bourboulon eher selten. Stattdessen verzehrt sich Gustave Eiffel (Romain Duris) nach seiner verlorenen Jugendliebe Adrienne (Emma Mackey). Kaum dass sie in Paris überraschend wieder auftaucht, fühlt er Inspiration zur Errichtung eines gigantischen Phallussymbols, und ähnlich simpel wird die (großteils erfundene) Herzschmerz- Geschichte dann auch durchgezogen.

Ghostbusters: Legacy

Anke Sterneborg: "Ein Film für die Familie, über eine Familie und von einer Familie": Jason Reitman ignoriert das Frauen-Intermezzo von Paul Feig und spinnt die Geschichte der Ghostbusters durch die Generationen weiter. Weil sich die toll besetzten, jungen Enkel (Finn Wolfhard und Mckenna Grace) von einem der Geisterjäger von 1984 jetzt um die von der Stadt aufs Land verlagerten Geschäfte kümmern, stellt sich zum Reitman-Spaß mit einer Fülle an Hommage-Zitaten und Gastauftritten noch eine gute Portion Spielberg-Nostalgie ein. Besonders hinreißend ist ein Schwarm kleiner Michelin-Männchen geraten, die sich aus einer Marshmallow-Packung in den Supermarkt ergießen, um dort ihr Unwesen zu treiben.

Große Freiheit

Josef Grübl: Hierzulande wird ja gerade viel über Menschenrechte gestritten, über Einschränkungen und angebliche Diktaturen. Von einer permanenten Menschenrechtsverletzung erzählt Sebastian Meise in diesem Film, sie liegt noch gar nicht so lange zurück: Es geht um einen Mann, der Männer liebt und sich vom Staat nicht sagen lassen will, dass er das nicht darf. Deshalb wandert er im Deutschland der Nachkriegsjahre immer wieder ins Gefängnis, an seiner Zellentür steht "175". Ein unfassbar intensiver Leidens- und Liebesfilm, mit Franz Rogowski und Georg Friedrich als Leinwandpaar des Jahres.

Ein Junge namens Weihnacht

Ana Maria Michel: In Nikolas' Welt gibt es kein Weihnachten, nur Kälte, Armut - und die Geschichte über den magischen Ort Wichtelgrund, die den Elfjährigen fasziniert. Um ihn zu finden, macht er sich auf in den hohen Norden. In seinem gleichnamigen Roman hat Matt Haig bereits erzählt, wie der Junge es schafft, den Menschen Freude zu bringen. Das gelingt Gil Kenan mit seiner märchenhaften Verfilmung nun auch bei seinen Zuschauern. Auch wenn das Drehbuch ziemlich überladen ist, Spannung hat diese Weihnachtsgeschichte.

Das Land meines Vaters

Susan Vahabzadeh: Pierre (Guillaume Canet) kehrt 1979 mit großen Träumen von moderner Landwirtschaft aus Amerika zurück auf den Hof seines Vaters. Aber die schöne neue Welt hält nicht, was sie versprochen hat - 15 Jahre später ist er am Ende, finanziell und mit den Nerven: Es waren große Investitionen für Automatisierung und Massentierhaltung nötig, aber nichts funktioniert wie geplant, das Geld ist weg. Ein geradliniges, wenn auch etwas konventionelles Drama: Pierre trinkt aus Verzweiflung und rastet dann aus - vor allem machen ihn aber all die Chemikalien auf dem Hof immer kränker. Eine bessere Metapher für das, was toxische Männlichkeit ursprünglich bedeutet, kann man kaum finden. Regisseur Edouard Bergeon erzählt hier die Geschichte seines Vaters und vernachlässigt vielleicht deswegen die Familie ein wenig, die Pierre im übertragenen Sinne mit vergiftet.

Mein Sohn

Martina Knoben: Ein Film über Mutterschaft, über den Preis der Freiheit und die Unfreiheit in der Liebe. Lena Stahl führte Regie und hat auch das Drehbuch geschrieben. Anke Engelke und Jonas Dassler spielen Mutter und Sohn: Er hat sich bei einem Skater-Unfall schwer verletzt, sie fährt ihn von Berlin in eine Reha-Klinik in der Schweiz. Ein Roadmovie wie ein Kammerspiel: aufregend unaufgeregt, ganz konzentriert auf die Mutter-Sohn-Beziehung und ihre tollen Darsteller.

Mitra

Anna Steinbauer: Als die aus dem Iran stammende Haleh im niederländischen Exil nach 37 Jahren auf die Frau trifft, die sie für den Tod ihrer Tochter Mitra verantwortlich macht, plant Haleh einen fiesen Rachefeldzug. Inspiriert vom Schicksal der eigenen Familie und mit einer grandiosen Jasmin Tabatabai in der Hauptrolle erzählt Regisseur Kaweh Modiri die tragische Geschichte einer gebrochenen Mutter, die nicht vergessen kann und dann doch an ihrem Plan zweifelt. Dazu die düster-melodischen Kompositionen des iranischen Singer-Songwriter Mohsen Namjoo, der auch zum Cast dieses zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin- und herspringenden, schmerzhaft nachwirkenden Films gehört.

The Power of the Dog

Susan Vahabzadeh: Ein Western von Jane Campion, nach einem Roman von Thomas Savage: Der Rancher Phil (Benedict Cumberbatch) erweist sich Anfang der Zwanzigerjahre als höllischer Mitbewohner. Er piesackt seine Schwägerin (Kirsten Dunst), demütigt ihren Sohn und ärgert seinen Bruder. Den Westen als unwirtlichen Ort lässt Campion ganz meisterlich wiederauferstehen, als Ort jenseits von Gut und Böse.

Platzspitzbaby

Annett Scheffel: Nach der Auflösung der offenen Drogenszene auf dem Zürcher Platzspitz zieht die elfjährige Mia 1995 in die Provinz. Ihre Mutter ist Junkie, das Zuhause eine Absteige, Plastikmagneten am Kühlschrank zählen die cleanen Tage, bis sie rückfällig wird und Mia losgeschickt wird, um Stoff zu besorgen. Die toxischen Endlosschleifen in Pierre Monnards Coming-of-age-Drama nach einem autobiografischen Roman sind - ähnlich wie zuletzt in "Beautiful Boy" - so frustrierend wie glaubwürdig. Die Sucht verschlingt den Alltag und jede Zärtlichkeit zwischen Mutter und Tochter. Eine Entdeckung ist Hauptdarstellerin Luna Mwezi mit ihrer intensiven Darstellung einer Kindheit als Ausnahmezustand.

Tick, Tick ... Boom!

Fritz Göttler: Die Zeit rast, die 30 naht, das verhängnisvolle Alter, und immer noch kein Erfolg in Sicht für Jon, den eifrigen Schreiber von Musikstücken. Die Geschichte des Jonathan Larson, dessen Musical "Rent" weltberühmt wurde, der aber am Tag, bevor es uraufgeführt wurde, starb. In seiner Solo-Show "tick,tick ... BOOM!" hatte er von seiner eigenen Arbeit in den Jahren vor "Rent" erzählt, seinen Bemühungen, Hoffnungen Ängsten, daraus hat nun Lin-Manuel Miranda, erfolgreicher Broadway-Mann der letzten Jahre und nun erstmals Filmregisseur, einen aufregenden Film gemacht, voll Überschwang, aber mit sanfter Diskretion. Die Songs vibrierend, in einem magischen Schwebezustand, man erlebt sie im Zustand der Entstehung. Die Akteure singen selber, an der Spitze Andrew Garfield als Jon Larson. Und die Lust der Diversität treibt den Film, eine Diversität, die nicht propagiert ist, sondern impulsiv. (Im Kino und ab 19.11. bei Netflix.)

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