Süddeutsche Zeitung

Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

Lesezeit: 4 min

Ryan Gosling spielt eine Killermaschine mit traurigen Augen, und Emma Thompson heuert einen Callboy an. Die Starts der Woche in Kürze.

Von den SZ-Kritikern

Auswahl der Filmstarts vom 14. Juli 2022.

Bob's Burgers - Der Film

Sofia Glasl: Am Sprung auf die Kinoleinwand sind schon einige Animationsserien gescheitert. Loren Bouchard besinnt sich zum Glück auf das Herz seiner Show, die liebenswerten und ungelenken Figuren: der perfektionistische Schnauzbart Bob, seine daueroptimistische Frau Linda und die drei Kinder, allen voran die phlegmatische Tina. Im Mikrokosmos ihres Burger-Büdchens funktioniert Familie Belcher schon immer am besten. Deshalb ist es auch richtig, dass diese Normalos mit Hang zu schiefem Wortwitz keine Superhelden werden, als ein Leichenfund ihre Existenz bedroht. Es reicht, dass sie sich mit schrägen Musicalnummern und absurden Tagträumen immer wieder daran erinnern, dass Selbstzweifel dazu da sind, überwunden zu werden. (Auf Disney+)

Everything Will Change

Doris Kuhn: Ein Rückblick aus dem Jahr 2054 auf die frühen 2020er, in denen, wie es heißt, so manches noch zu retten gewesen wäre: Es geht um Klimawandel und Artensterben, man sieht die frühere Schönheit, dann das Siechtum der Erde, während freundliche Wissenschaftler darüber referieren, wie der Mensch die Lage ignoriert. Marten Persiels Science Fiction will zu viel, er will erklären, beschwören, amüsieren, das wird manchmal ermüdend. Aber die sentimentale Ebene funktioniert immer, denn er ist bestückt mit den bewegendsten Tierbildern, die die Filmarchive hergeben.

The Gray Man

Juliane Liebert: Ryan Gosling bricht hier mal keine Herzen, sondern Genicke. Und er schießt viel um sich, wobei viele, viele seiner schwer bewaffneten Feinde sterben. Um die, die er nicht erwischt, kümmert sich Ana de Armas. Ein super Ballerfilm von Anthony & Joe Russo, allerdings ist es rein organspende-technisch gesehen eine Schande, dass sie die ganzen Organe der getöteten Feinde einfach liegen lassen. Die Menschenleben, die man damit retten könnte! Haben sie denn gar kein Gemeinschaftsgefühl? Und das sollen die Guten sein! Hoffentlich wird das in Teil 2 adressiert (in einigen Kinos, ab 22. Juli auf Netflix).

La Dolce Vita (Wiederaufführung)

Philipp Stadelmaier: In Federico Fellinis von Figuren und Ereignissen überbordendem Klassiker von 1960, der nun wieder im Kino läuft, verdichtet sich eine ganze Epoche und eine ganze Welt in Rom, Hauptstadt des Universums und Hauptstadt des Kinos, der Kunst dieser Epoche und dieser Erscheinungen, die vor den Augen und der Sonnenbrille des sensationslüsternen Klatschjournalisten Marcello (Marcello Mastroianni) vorbeiziehen. Unter der Dekadenz klafft die Leere: Was erscheint, ist schnell wieder vorbei. Das Kino als zeitlose Kunst einer ewigen Gegenwart, auf die wir ewig zu spät kommen.

Love, Spells and All That

Annett Scheffel: Wie lange hält eine Liebe? Kann man sie nach zwei Jahrzehnten wiederbeleben? Und was hat ein Liebeszauber damit zu tun? Der Regisseur Ümit Ünal erzählt in seinem atmosphärischen Drama von zwei Frauen: Als Jugendliche waren sie für einen Sommer ein Liebespaar, bevor ihr repressives Umfeld sie trennte. Nun treffen sie auf ihrer türkischen Heimatinsel wieder aufeinander. Ünals Film ist eine herrlich verträumte, leicht entrückte, optimistische Romanze zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die gleichzeitig die ganze Härte sichtbar macht, mit der in der Türkei Homosexualität immer noch geächtet wird.

Meine Stunden mit Leo

Kathleen Hildebrand: "Sollte Sexarbeit legal sein?" Jedes Schuljahr ließ Religionslehrerin Nancy ihre Schüler einen Essay zu dieser Frage schreiben, nun sitzt sie selbst in einem Hotelzimmer und wartet auf einen Callboy. Ihr Mann ist tot, jetzt möchte sie endlich mehr erleben als die übliche unbefriedigende Routine. Der kleine Film von Sophie Hyde verlässt das Hotel nicht und funktioniert deshalb umso besser als erotisches Kammerspiel. Es ist nicht nur bemerkenswert, wie Emma Thompson hier unterhaltsam zwischen Offenheit und Verklemmtheit tänzelt, sondern auch, wie bereitwillig man als Zuschauer die Selbstbestimmtheit von Prostituierten akzeptiert, wenn sie ausnahmsweise mal männlich sind.

Eine Sekunde

Sofia Glasl: ​​China während der Kulturrevolution. Im Grau in Grau der Kolchose ist das Kinoprogramm aus Wochenschau und Propagandaschinken eine willkommene Ablenkung. Für die Waise Liu ist Filmmaterial jedoch notwendige Tauschware und für einen geflohenen Sträfling die letzte Hoffnung, einen Blick auf seine entfremdete Tochter zu erhaschen. Mit "Eine Sekunde" erzählt der chinesische Starregisseur Zhang Yimou vom großen Ganzen im Kleinen - trotz staatlichen Eingriffs vor der geplanten Weltpremiere 2019. Die latent kritische Reflexion über private wie gesellschaftliche Bedeutung von Film hüllt er in eine herzerwärmende Liebeserklärung an das analoge Kino als kollektives Erlebnis, Handwerk und Hüter von Erinnerungen.

The Owners

Sofia Glasl: Dumpfbacken sind in Horrorfilmen selten darauf vorbereitet, was das Drehbuch den Figuren alles abverlangt und so entsteht aus tragischen Schicksalen gern allerlei Komik. Filmemacher Julius Berg versucht sich mit seinem Einbruchs-Thriller "The Owners" an eben diesem Wahnwitz und lässt vier jugendliche Rüpel um "Game of Thrones"-Star Masie Williams auf die betagten Besitzer eines britischen Landsitzes los. Die drehen den Spieß einfach um und veranstalten ein blutiges Katz-und-Maus-Spiel. Sinn ergibt hier eigentlich nichts, aber der ehemalige "Dr. Who" Sylvester McCoy und Sixties-Ikone Rita Tushingham haben als sadistisches Arzt-Pärchen so viel Spaß am Metzgern, dass das eigentlich egal ist.

Pornfluencer

Martina Knoben: Jamie und Nico träumen vom schnellen Geld und stellen dafür den Sex, den sie miteinander haben, ins Internet. Joscha Bongard zeigt in seiner Doku ihre Arbeit und ihre Liebesbeziehung, was so ziemlich dasselbe ist. Nico führt die Kamera und ist auch sonst der Chef. Schwer zu sagen, was Verliebtheit ist, was Manipulation und (Selbst)ausbeutung - aber das scheint die beiden auch nicht zu interessieren. Ihren Tag beginnen sie mit Selbst-Affirmation vor dem Spiegel: "Ich bin wunderschön", sagt Jamie. "Alle Frauen lieben meinen Penis", sagt Nico. Es folgen Fitnesstraining und Sex-Drehs, es wird viel gekichert und sich geküsst. Die Mischung aus Selbstoptimierung und Sexarbeit wirkt zunehmend verstörend: der digitale Kapitalismus als fröhliche Schmuddelecke.

Die Ruhelosen

Philipp Stadelmaier: Landschaft und Farbpalette sind Gauguin-Territorium in Joachim Lafosses Film, aber Kunst und Krankheit liegen nahe beieinander, da der Maler Damien (Damien Bonnard) an einer bipolaren Störung leidet. Das ist nicht schön für seine Frau (Leïla Bekhti) und seinen Sohn. Und für die Zuschauer? Die sehen entweder das männliche Kunst-Genie, dem alle beim Durchdrehen zuschauen müssen und dessen Frau sich für ihn aufopfert, oder einen Patienten, der zu lange nicht hospitalisiert wird. Ein tolles Gemälde, alles in Allem, nur leider kaputt.

Wer wir gewesen sein werden

Josef Grübl: "Die ganze Welt soll weinen", sagt der junge Filmemacher Erec Brehmer, als seine Freundin im Alter von 29 Jahren bei einem Autounfall stirbt. Er sammelt Videos, Fotos, Text- und Sprachnachrichten von ihr und fügt sie zu einem Film zusammen. So wird Angelina wieder lebendig, so lernt auch das Publikum diese fröhliche junge Frau kennen. Gleichzeitig macht er sich Gedanken darüber, wie man richtig trauert, wie das eigene Leben ohne einen geliebten Menschen weitergehen kann. Ein ebenso intimer wie ehrlicher Film über die Liebe und den Tod - und mit das Herzzerreißendste, was man seit Langem im Kino gesehen hat.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5620122
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.