Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Fernando Botero:Runde im Eckigen

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Spät wurde er noch politisch: Der weltberühmte kolumbianische Künstler Fernando Botero ist im Alter von 91 Jahren gestorben.

Von Jörg Häntzschel

Fast jeder hat die kugeligen Figuren von ihm schon gesehen, in vielen Orten rund um die Welt gehören sie zum Stadtbild: In Singapur ist es ein dicker Vogel, in Jerusalem ein dicker Mann auf einem dicken Pferd, in Bamberg und Vaduz sind es dicke liegende Frauen. Die riesigen Skulpturen mit dem großen Wiedererkennungswert, angesiedelt auf halbem Weg zwischen witzig und erhaben, machten den kolumbianischen Maler und Bildhauer Fernando Botero in den vergangenen Jahrzehnten zu einer der bekanntesten Marken der zeitgenössischen Kunst und zu einem der berühmtesten Künstler Lateinamerikas.

Botero wurde 1932 in Medellín geboren. Als Zwölfjähriger wurde er auf eine Stierkampfschule geschickt, mit 16 veröffentlichte er erste Zeichnungen in der Zeitung. Während seiner Lehrjahre in Bogotá, Madrid, Florenz und Paris fand er nach und nach zu seinem unvergleichlichen Stil, der fernab lag von allen aktuellen künstlerischen Tendenzen. Am ehesten konnte man in seinen technisch brillanten, oft merkwürdig statischen Gemälden Echos von Henri Rousseau erkennen. Doch mit seinen gleichermaßen sinnlich wie leblos wirkenden, puppenartigen Charakteren, deren voluminöse Leiber die Leinwand oft fast vollständig füllten, entwickelte er eine noch speziellere Version des Naiven.

Nachdem er sich in den Siebzigerjahren in Paris niedergelassen hatte, kam in den Achtzigern und Neunzigern der Durchbruch: Etliche große Museen zeigten seine enigmatischen Szenen von picknickenden Familien und seine Porträts von ernsten Mädchen, Prostituierten und Männern mit Hut, sogar von Päpsten, die allesamt eingefroren zu sein schienen in einer leicht beklemmenden, stummen Heiterkeit. Vor allem seine Darstellungen von Männern, meist in ungeschickten Posen und fast platzenden Anzügen, umweht ein milder Hauch von Ironie. Viele seiner Gemälde wirkten, als seien sie verfremdete Versionen alter Meister, Bilder von Bildern also, Metakunst.

Doch vor allem seine boomende Produktion von Großskulpturen für den öffentlichen Raum ließ Boteros Michelin-Männchen-Stil immer mehr zur Masche werden. Wenn irgendwo auf der Welt ein Hingucker für ein neues High-End-Einkaufszentrum oder einen Stadtplatz gebraucht wurde, bestellte man gerne einen Botero.

Der Künstler schien die Gefahr zu erkennen und schlug spät in seiner Karriere unerwartet eine politische Richtung ein: 2004 setzte er sich in 50 Zeichnungen und Gemälden mit der Gewalt in Kolumbien auseinander. 2005 erregte er mit seiner fast zweihundert Werke umfassenden Serie zur Misshandlung von Gefangenen durch US-Soldaten im berüchtigten irakischen Militärgefängnis von Abu Ghraib viel Aufsehen. Botero, der von der Kritik jahrzehntelang als Dekorateur und Manierist abgetan wurde, gewann damit einige Glaubwürdigkeit zurück. Die Autorin Erica Jong fand seine Irak-Bilder "erstaunlich" und plädierte für eine "umfassende Revision dessen, was wir bisher von Boteros Werk gehalten haben". Am Freitag ist Fernando Botero im Alter von 91 Jahren in Monaco gestorben.

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