Süddeutsche Zeitung

"Fabian oder Der Gang vor die Hunde" im ZDF:Ohrfeige am Abgrund

Lesezeit: 4 Min.

Dominik Graf hat Erich Kästners Klassiker "Fabian oder Der Gang vor die Hunde" neu fürs Kino verfilmt. Ein Meisterwerk.

Von Kathleen Hildebrand

"Da gab ich ihr eine Ohrfeige und ging fort." So steht es im Buch, in Erich Kästners "Fabian" von 1931. Labude, Fabians bester Freund, hat gerade seine Verlobte mit einem anderen beobachtet und erfahren, dass sie ein Kind abgetrieben hat. Seins oder das des anderen, das weiß er nicht. Was Dominik Graf aus dieser Szene macht, zeigt aufs Schönste, wie er mit der großen, aber auch heiklen Klassikervorlage umgeht. Der Text, den Labude aus dem Off spricht, ist derselbe wie im Buch. Aber was man sieht, ist etwas anderes: Leda ohrfeigt Labude. Nicht andersherum.

Ganz fern liegt es nicht, den neunzig Jahre alten "Fabian" wieder hervorzuholen. Die Gegenwart wird gern mit der späten Weimarer Republik verglichen. Meist wird der Vergleich relativiert oder revidiert, aber erst mal scheint er auf der Hand zu liegen: Dekadenz, prekäres Arbeiten, im Hintergrund erstarkt die Rechte.

Was Dominik Graf aus Erich Kästners Klassiker gemacht hat, ist ein Meisterwerk. Was einerseits nicht ganz überraschend ist, bei diesem Regisseur und seinen Schauspielern (Tom Schilling, Saskia Rosendahl, Albrecht Schuch). Auf der anderen Seite überrascht es dann aber doch. Denn "Fabian" ist kein zeitloser Roman. Er birgt viel Aktualität, die Berliner sind in ihm vergnügungssüchtig, in einem Untergrund-Nachtclub treten verlorene Seelen auf und lassen sich für ein bisschen Aufmerksamkeit begaffen und beschimpfen. Manche Fernsehsendungen machen es heute genauso. Außerdem kämpfen die Geschlechter. Und die Nazis durchschneiden mit ihren Pfiffen brutal die Nacht.

Als Fabian die Arbeit verliert, findet er die Liebe, aber auch sie ist dem Untergang geweiht

Kästner beschrieb seine Welt natürlich mit den Sensibilitäten von damals. Die Männer sind nicht weniger schlecht als die Frauen, aber die weibliche Moral hängt in "Fabian" fast ausschließlich an ihrer Sexualität. Sie sind untreu, Verführerinnen, treiben ab und lieben nicht wirklich, sondern irgendwie falsch und verlogen. Sie prostituieren sich. Und werden zu Recht geohrfeigt. Der umgekehrte Schlag ins Gesicht, den Dominik Graf inszeniert, ist deshalb nicht einfach ein Gag. Er zeigt, dass der Regisseur dieses Dilemma sieht. Das Problem sind nicht nur die Frauen, es ist auch eine alte Vorstellung von Männlichkeit. Um derentwillen lügt Labude, wenn er Fabian erzählt, er habe Leda geschlagen.

Überhaupt sind die Frauen bei Graf noch viel wichtiger als bei Kästner. Die nymphomane Irene Moll, halb gewieft, halb verloren gespielt von Meret Becker, ist nicht nur eine bemitleidenswerte Figur, sondern macht ein Geschäft aus ihrer Sucht und gründet ein Männerbordell. Fabians Mutter ist fürsorglich, aber auch schön resolut. Und die armen Künstlerinnen, die ihre Körper verkaufen, haben eine halbwegs tragfähige Gemeinschaft zum gegenseitigen Schutz gegründet.

Im Zentrum steht selbstverständlich trotzdem Fabian, der pessimistisch-anständige Germanist, der lieber beobachtet als zu handeln. Er verdingt sich in der Reklameabteilung einer Zigarettenfirma. Tom Schilling war Grafs Wunschkandidat für die Rolle und man versteht sofort, warum: Seine leicht maulende Art zu sprechen, seine zähe Zartheit, seine Ernsthaftigkeit machen ihn zu einem Fabian, der nicht vor Moral versauert, sondern glaubhaft an der Welt verzweifelt. Als Fabian die Arbeit verliert, findet er die Liebe. Sie kommt in Gestalt von Saskia Rosendahl daher, die Cornelia wunderbar modern spielt. Klug, selbstbewusst, verletzlich. Und sie zeigt diese Überraschung durch die Liebe, die sie schon hatte aufgeben wollen, dieses Überwältigtsein so wahrhaftig, dass man vor Freude mit ihr weinen möchte und hüpfen und kichern und Schuhplattler tanzen. Im Bett, beim nächtlichen postkoitalen Mahl in Fabians Zimmer und am See, in dem sie schwimmen kann, aber Fabian nicht.

Dominik Graf gibt dieser schönen Liebesgeschichte mehr Zeit, mehr Luft zum Atmen und Wachsen als der Roman, bevor sie der - vielleicht - tödliche Schlag trifft: Cornelias Affäre mit einem Filmproduzenten, der ihr eine Schauspielkarriere verspricht. Im Hintergrund, in den Cafés und auf Litfaßsäulen steht immer wieder: "Lernt schwimmen!" auf Plakaten. Es ist die dunkle Vorahnung von Fabians Tod, aber auch eine Metapher für sein Leiden an der Welt. Die ruft den Menschen entgegen: Passt euch an, spielt das Spiel von Ausbeutung und Verlogenheit mit, auch wenn es euch zuwider ist. Sonst geht ihr vor die Hunde. Das ist es, was Graf im Gegensatz zur Sexualmoral an "Fabian" so heutig findet.

Die Zeiten überlagern sich in diesem Film so gekonnt, dass sie durchscheinend werden. Graf hat keinen reinen Kostümfilm gedreht, verlegt die Handlung aber auch nicht in die Gegenwart. Schilling, Rosendahl und der stattliche Schuch sehen zeitlos aus, als gingen sie gern in Vintage-Läden shoppen, steigen aber in Oldtimer. Unter den Füßen der Atelierdamen schimmern matt die Stolpersteine, die heute im Berliner Pflaster an die Opfer des damals kurz bevorstehenden Holocaust erinnern. Und der fiese Lehrstuhlmitarbeiter, der schuld ist an Labudes Tod, trägt in einem kurzen Vorausblick die Uniform der Nazis.

Am Ende, als Fabian doch noch mal Hoffnung hat, dass die Liebe mit Cornelia sie beide retten könnte, und sich aus der Dresdner Gegend auf den Weg nach Berlin macht, da nimmt er einen Umweg zum Bahnhof. Der führt durch den Wald, weil Fabian eben doch ein Romantiker ist, und er führt vorbei am Fluss. Dort springt er ins Wasser, um einen kleinen Jungen zu retten, der Junge kann schwimmen, Fabian nicht. In einer letzten, stillen Schreckensvorschau sieht man sein Notizbuch, das zum Roman hätte werden sollen, auf einem Bücherscheiterhaufen verbrennen, so wie es Kästners Werke in der Realität getan haben. Fast denkt man: Besser so für ihn, das Schlimmste bleibt Fabian erspart. Aber der Sommer, der nun ohne ihn weitergeht, macht das sehr, sehr schwer.

Fabian oder Der Gang vor die Hunde, Montag, 22 Uhr.

Diese Rezension wurde erstmals zum Kinostart des Film im August 2021 veröffentlicht.

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