Süddeutsche Zeitung

Dokumentarfilm "Delphine et Carole, insoumuses":Aufsässige Musen

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Frankreichs Kinostar und Aktivistin der feministischen Siebzigerjahre: Delphine Seyrig in der Dokumentation "Delphine et Carole, insoumuses".

Von Fritz Göttler

Wie aus einer anderen Welt erscheint Delphine Seyrig in den großen Filmen der Sechziger und Siebziger, eine geheimnisvolle, vage dahintreibende Figur. Unnahbar in ihrem Schweigen betört und verwirrt sie die Männer um sie herum. Wenn sie wandelt durch die Korridore und auf den Parkwegen in Alain Resnais' "Letztes Jahr in Marienbad"; vor dem Spiegel im Salon der französischen Botschaft in Kalkutta, in "India Song" von Marguerite Duras; bei ihrem coolen Liebesdeal mit dem zaghaften Antoine Doine in Truffauts "Geraubte Küsse"; oder als Jeanne Dielman vom Quai du Commerce in Brüssel, die mit nachmittäglicher Prostitution das Haushaltsgeld für sich und ihren alleinerzogenen Sohn aufbessert, im gleichnamigen Film von Chantal Akerman.

Aber dann hat sie, im Verlauf der Siebzigerjahre, die geschlossenen Räume verlassen, die von den Männern geschaffenen gesellschaftlichen Labyrinthe, vor ihrer Kamera zumal. Sie ist auf die Straße gegangen und hat sich mit anderen Frauen zusammengetan, hat Demonstrationen und Streiks gefilmt mit ihrer Videokamera, hat Kolleginnen aus aller Welt aufgenommen und erzählen lassen vom Alltag als Schauspielerin im großen Kino, Millie Perkins, Juliet Berto, Maria Schneider, Cindy Williams, Marie Dubois, Ellen Burstyn und andere.

An diese Zeit, an diese Aktivitäten erinnert der Film "Delphine et Carole, insoumuses", der diesen Monat auf dem Streamingdienst Mubi zu sehen ist. Carole ist Carole Roussopoulos, mit der Seyrig das Kollektiv "Insoumuses" gründete: die Aufsässigen/Musen. Im Jahr 2009, einige Monate vor ihrem Tod, regte Roussopoulos diese Dokumentation über sich und Delphine, ihre Freundin und "compañera" de lutte an, die Regisseurin Callisto McNulty ist ihre Tochter. Seyrig war 1990 gestorben.

Es ist ein fast vegetativer Prozess, der sich in diesem Film entwickelt, das ätherische Leinwandwesen Delphine Seyrig entpuppt sich in all seiner Lebhaftigkeit, explosiv und begeisterungsfähig, eine Kämpferin, agitatorisch und militant. Ihre distinguiert näselnde Stimme bringt gläserne Worte hervor, denen man atemlos lauscht, in der Furcht, sie könnten zerbrechen. Man beobachtet, wie sie die Gedanken verfertigt allmählich beim Reden, sie bringt auch Politphrasen zum Schwingen. Einmal trägt sie eine Reihe Forderungen vor und gliedert jede explizit mit einem ausgesprochenen Komma, und man ist seltsam gebannt von jedem weiteren virgule.

Sie trägt das Feuer der Frauenbewegung in sich, von den kleinen kämpferischen Gruppen, die besonders in Frankreich aktiv wurden seit den Sechzigern, die auf die Ungerechtigkeit und Schräglage der Gesellschaft reagierten, die Ungleichheit der Positionen von Mann und Frau, und auf die Lage der Arbeiterklasse. Es gibt Szenen von der großen Aktion ums Manifest der 343, als ebenso viele Frauen öffentlich bekannten, abgetrieben zu haben. Der Moment der Befreiung, erzählt Roussopoulos, kam, als die kleine Gruppe sich die neue mobile Sony-Videokamera besorgte, die zweite in Frankreich. Die erste hatte sich einige Tage zuvor ein Mann besorgt, Jean-Luc Godard.

Einmal sieht man in einer Talkrunde Marguerite Duras, Liliane de Kermadec und Chantal Akerman zusammensitzen, mit denen Delphine Seyrig 1975 drei der wichtigsten Filme der Siebzigerjahre machte. Das Thema ist "Wenn Frauen Filme machen". Wenn Frauen Filme machen, erklärt Duras, dann sei das ein anderes Kino, und dieses Kino sei politisch, und Chantal Akerman nickt dazu und seufzt: Das ist richtig.

Die statuenschönen Delphine wird in diesem Film mit einer fröhlichen, explodierenden, sich echauffierenden Seyrig konfrontiert. Und beide gehen wunderbar und magisch zusammen. Angelegt ist das auch schon in der Rolle der Fee Lilas, die Delphine Seyrig in Jacques Demys Märchenfilm "Peau d'âne" spielt. Die schwebt von oben herab und trägt ein violettes Gespinst von einem Kleid, hält der jungen Königstochter Catherine Deneuve fein den Zeigefinger unter die Nase und ist dabei in ihren Ratschlägen so pragmatisch wie die Hausfrau Jeanne Dielman.

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