Süddeutsche Zeitung

"Brother's Keeper" im Kino:Die Verachtung

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Das Internatsdrama "Brother's Keeper" erzählt von der schwierigen Situation kurdischer Kinder in der Türkei, die von Lehrern gequält und gedemütigt werden.

Von Doris Kuhn

Die Bewohner des Internats im Kinodrama "Brother's Keeper" sind Kurden. Hier sollen sie zu aufrechten Türken erzogen werden, also lernen sie die Sprache, lernen Landesgeschichte aus türkischer Sicht, wiederholen patriotische Formeln beim täglichen Appell. Viel pädagogisches Herzblut wird für sie nicht vergossen, im Gegenteil, die Lehrer setzen auf mieseste Repressalien. Wie wenig sie von ihrer Aufgabe oder den Kurden im Allgemeinen halten, wird jedes Mal klar, wenn sie miteinander reden. Die Schüler hören die Verachtung in ihrem Tonfall und müssen sich schämen.

Es gibt zwei Seiten in Ferit Karahans Film, die der Erwachsenen und die der Kinder. Man bekommt durch diese Konfrontation eine Vorstellung vom türkisch-kurdischen Verhältnis, durch die man, in größerem Rahmen, politischen Widerstand oder Flucht der Kurden bestens nachvollziehen kann. "Brother's Keeper" beruht teilweise auf den eigenen Erfahrungen des kurdischen Regisseurs Karahan, und als Zuschauer man wünscht sich bald, dass die unangenehmsten Momente nur fiktiv wären.

Für den kranken Jungen gibt es ein Bett im ungeheizten Zimmer, das war's

Man verbringt eine Nacht und einen Tag mit den Elfjährigen Yusuf und Memo. Wobei Memo fast durchgehend nicht ansprechbar im Krankenzimmer liegt. Was ihm fehlt, weiß man nicht. Er kann am Morgen nicht mehr aufstehen, sein Freund Yusuf bekommt den Befehl, ihn ins Krankenlager zu bringen. Bis die beiden da ankommen, braucht der Film fast zehn Minuten, damit man in ganzer Härte sehen kann, wie zäh die Abläufe im Internat sind, wie armselig die Lebensbedingungen. Es gibt ein Bett im ungeheizten Krankenzimmer, und Aspirin, sonst nichts.

Nach ausdauerndem Desinteresse müssen die Lehrer sich doch um den kranken Jungen kümmern. Zuerst versuchen sie, ihn loszuwerden, aber ein Schneesturm macht die Außenwelt unerreichbar. Der Film kommentiert ihre Mühen mit dem ein oder anderen Schwenk in die Farce, das ist ganz gut, um die Wut beim Zuschauen etwas abzukühlen. Es bleibt trotzdem genügend Raum, in dem die Brutalität der Männer hervortritt oder ihre Feigheit. Sie stellen Vermutungen über die Krankheit an und schieben eine etwaige Verantwortung immer weiter herum - bis sie schließlich bei zwei kurdischen Hausmeistern landet.

Karahans Drama entlarvt exemplarisch Machtmissbrauch und kulturellen Dünkel an den Autoritätsfiguren einer Schule. Was jedoch auch sichtbar wird, sind die Konsequenzen, die der Notfall dort hervorbringt. Bei manchen Lehrern führt er kurz zur Selbstreflexion, manchen Schülern gibt er den Mut, sich Gehör zu verschaffen. Beides ist vielleicht doch ein Grund zur Hoffnung.

Brother's Keeper, Türkei 2021 -Regie: Ferit Karahan. Mit Samet Yildiz, Mahir Ipek. Déjà-vu Film. 85 Minuten. Kinostart am 27. Juli 2023.

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