Süddeutsche Zeitung

Jazz:Kultureller Jetstream

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Blue Note startet mit dem Pianisten Nduduzo Makhatini einen Ableger auf der südlichen Halbkugel. Das hätte das Potenzial, den Kulturaustausch zwischen den Kontinenten auf Touren zu bringen.

Von Andrian Kreye

Neulich war Don Was in Südafrika. Der Labelchef von Blue Note feierte dort die Gründung des Ablegerlabels Blue Note Africa. Dafür zog er mit dem Pianisten Nduduzo Makhatini auf Konzerttournee, der das erste Album auf dem neuen Unterlabel veröffentlichte. Das ist schon mal ein großer Wurf. "The Spriti of Ntu" ist eine episch angelegte musikalische Aufarbeitung des philosophischen Konzeptes des Ubuntu. Das beruht, sehr verknappt gesagt, auf dem Credo "Ich bin, weil Du bist", was man durchaus als kollektivistische Antipode zum Individualismus des "ich denke, also bin ich"-Westens verstehen kann. So funktioniert dann auch das Album in einem System kollektiver Improvisation, die aus der Gemeinsamkeit zum Solo findet. Und nicht wie so viele Formen des modernen Jazz aus der Brillanz des Einzelnen zum Gemeinsamen.

Das ist ganz schön viel Grundsatzerklärungsballast für ein per se einfach mal großartiges Album und für eine Geschäftsidee, die musikhistorisch eigentlich schon lange überfällig ist. Don Was' Besuch war aber keineswegs so bedeutungsschwanger und ernst, wie man nun meinen könnte. Der Labelchef von Blue Note macht das schon lange ganz gut, diese Vaterrolle der Firmengründer Albert Lion und Francis Wolff fortzuführen. Nicht nur, weil er zwei bis drei Mal so alt ist, wie die vielen jungen Musiker, die er zu Blue Note holt. Er hat auf seine Art ein ähnlich schrulliges Charisma, wie die beiden Berliner Exilanten damals mit ihren schweren Akzenten. Don Was trägt immer noch die breitkrempigen Hüte und dunklen Brillen aus seinen Rockstarjahren. Und weil er nicht nur ein Produzent mit dem halben Rocklexikon im Lebenslauf ist, sondern auch ein sehr guter Bassist, hat er zu den Musikerinnen und Musikern noch direkteren Draht.

Er unterhielt sich mit Makhatini in seinem "First Look"-Videocast über das Album. Das wurde zu einem grandiosen Deep Dive in die Philosophie und Geschichte Südafrikas, vom Geist des Ntu bis zu den Feuerritualen der Protestbewegungen. Da wird die Dringlichkeit, mit der Makhatini und seine Mitmusiker beispielsweise das Stück "Emiliweni" spielen, noch ein wenig dringlicher. Und man versteht ein wenig besser, was sich da alles hinter den Aufwallungen der Instrumentalisten, Schlagwerker und der Gesangslinien verbirgt, die ganz andere Strukturen schaffen, als der Modern Jazz mit seinen Wurzeln in der europäischen Musiktheorie. Auch wenn die Harmonien, wie meist in diesem Land, eine so wunderbare Wärme schaffen. Das ist tiefe Tradition, keine Folklore. Eine neue Welt, keine World Music.

Es könnte nun das erste Mal sein, dass der afrikanische Jazz eine richtige Plattform als internationale Kraft bekommt. Die Pioniere wie Miriam Makeba, Hugh Masekela oder Abdullah Ibrahim mussten ihre Weltkarrieren noch im Exil starten. Doch das waren noch die finsteren Zeiten der Apartheid. Inzwischen ist das Land stabil und selbstbewusst genug, um für sich selbst zu stehen. Auch wenn noch ein amerikanischer Weltkonzern dahintersteht.

Nduduzo Makhatini wird bei Blue Note Africa als Talentscout und Produzent arbeiten. Das Label ist aber nicht nur ein musikalisches Projekt, sondern gehört ins Portfolio des neuen Supermusikmanagers Sipho Dlamini, dem CEO von Universal Music Africa. Der war früher Markenmanager mit Wirtschaftstudien in London und Stellenbosch. Dlamini steht hinter den Welterfolgen afrikanischer Hip-Hop- und Afrobeat-Stars wie Boity, Nasty C und Tiwa Savage. Er brachte auch schon Def Jam Africa an den Start. Die afrikanische Version des legendären Hip-Hop-Labels vermarket nicht nur heimische Stars in Übersee, sondern versucht auch den afrikanischen Markt mit seinen hyperkomplexen Vertriebsstrukturen zu erobern. Es wäre nicht das erste Mal, dass südafrikanischer Jazz in der Diaspora etwas bewegt. Wenn aber die Marketing-Macht von Leuten wie Sipho Dlamini und Don Was dazukommt, könnte da ein kultureller Jetstream raus werden.

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