Süddeutsche Zeitung

Bayreuther Festspiele:Farborgien und Monsternymphen

Lesezeit: 5 min

Das wilde Künstler-Experiment mit Hermann Nitsch, das Bayreuth dieses Jahr wagt, ist anregender als jede konventionelle Operninszenierung.

Von Reinhard J. Brembeck

Wagnerianer sind Gläubige und deshalb Pilger und also Fußgänger. Eine echte Wagnerianerin und ihr männliches Pendant ersteigen zu Fuß den Grünen Hügel in Bayreuth. Das dauert zwar nur zwanzig Minuten, kann aber bei Hitze einen heftigen Vorgeschmack auf das dann überhitzte hölzerne Festspielhaus der Richard-Wagner- Festspiele geben. Am Donnerstag sind die Temperaturen moderat. Der Himmel droht schon in der Früh mit schwarzen Wolken, die sich dann doch nicht über dem Grünen Hügel entladen.

Dieser Donnerstag wird als ein besonderer und inspirierender in die Festspielgeschichte eingehen. Erstmals wird der gesamte vierteilige "Ring des Nibelungen" an einem Tag geboten, zumindest in Bruchstücken, schillernd und eigenwilligend. Ursprünglich hätte schon voriges Jahr diese Fünfzehn-Stunden-Parabel auf einen Weltherrschaftstraum neu herauskommen sollen, mit dem kaum bekannten Jungregisseur Valentin Schwarz und dem genauso unbekannten Jungdirigenten Pietari Inkinen. Doch dann übernahmen die Seuche und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder die Regie, das Festival wurde abgesagt, der "Ring" auf 2022 verschoben. Das ermöglichte nun diesen Eintagsring fürs Zwischenjahr, mit vielen schillernden Einfällen und Künstlern, allen voran dem 82-jährigen Actionpainter und Konzeptionalisten Hermann Nitsch, der den zweiten "Ring"-Teil - die "Walküre" - mit live erstellten, großflächig buntgestreiften Schütt-, Tropf- und Farbschleuderbildern illustrierte, wofür er ein paar Buhs einstecken musste. Die wird der Großmeister des Orgien-Mysterien- sowie Blut-und-Hoden-Theaters aber leicht verkraften, ist er doch Widerstand und Ablehnung gewöhnt, auch für seine Kunstschlachtungen mit echten Tieren.

Am Donnerstagmorgen aber ist Nitsch noch Zukunftsmusik. Der früh ins Fränkische gekommene Wagnerianer wird gleich beim Hügelaufstiegsbeginn aufgehalten. Nein, nicht von der omnipräsenten Polizei (Angela Merkel kommt nicht), sondern von der Kunst. Mitten im Park steht Bernar Venets eineinhalb Meter hoher und nach oben hin offener Bronzering "222,5° Arc x 5", der fünfteilig ist: eine Aufforderung an Wagner, noch einen Teil zu seiner Tetralogie zu komponieren? Nein, es ist ein Memorial für 1000 Jahre Bistum Bamberg. Doch dahinter lockt ein echtes Wagner-Accessoire. Aus der Ferne scheint es eine große, rote Maus zu sein, die durch den Bronzering springen will. Beim Näherkommen entpuppt sich die Maus als ein filigran verknotetes Riesengewebe aus roten Stricken, das nicht nur Kinder zum drin Rumklettern verlockt. Hoffentlich schaut grad kein Polizist.

Die als Monsternymphen verkleideten Rheintöchter dümpeln an diesem Vormittag im Teich

Der aufgeklärte Wagnerianer aber tippt sofort auf den Beginn der "Götterdämmerung" und den Spinnfaden, den sich da die drei Schicksalsnornen singend zuwerfen und um diverse Felsen schlingen, bis er reißt und das Ende der Götter ankündet. "Schicksalsfaden" heißt dieses zum Träumen wie Klettern verführende Schlinggewächs, es stammt von Chiharu Shiota, die 2015 bei der Venedig-Biennale den Japan-Pavillon bestückte. Und der Wagnerianer ist guter Laune, dass die "Götterdämmerung" als das längste Stück gleich zu Beginn des "Ring"-Tags so schnell abgearbeitet ist.

Jetzt geht es zum "Rheingold" im Festspielteich. Richtig gelesen: Die fantastisch als Monsternymphen verkleideten Rheintöchter dümpeln an diesem Vormittag im Teich, den der Puppenspieler und Regisseur Nikolaus Habjan als Märchenkulisse für die einstündige Uraufführung "Immer noch Loge" nutzt. Die Musik stammt von Gordon Kampe, Jahrgang 1976, und vielfältig ausgezeichnet. Kampe braucht nur drei Sänger, ein paar Instrumente, Elektronik, Verstärker. Es wummert, es wagnert, es walzert. Die Klänge sind beherrscht und kühl, Repetitives ist häufig. Auf einer Rampe, die in den Teich führt, sitzt die Riesenpuppe Erda im Rollstuhl und strengt einen Prozess an gegen den Populisten Loge, dem sie vorwirft, jede Menge Götter und Menschen in den Tod getrieben zu haben. Dass Erdas Lover, der Obergott Wotan, all dieses Unheil durch seine Machtgier selbst verschuldet hat, spielt im diskurslastigen Libretto von Paulus Hochgatterer keine Rolle. Doch dann stürzen die Sänger ihre Notenständer um und sich in den Teich, die Puppe des Loge kriegt immer wieder einen Plastikfisch als Knebel zwischen die Zähne. Zuletzt wird Loge, der Feuergott, dem Feuertod überantwortet, dem Zerstieben in den Lüften. Die von der fabelhaften Stephanie Houtzeel gesungene Erda triumphiert.

Vier Stunden später im Festspielhaus kommt es dann zur konzertanten Nitsch-Painting-"Walküre". Der Dirigent Pietari Inkinen agiert langsam und kammermusikalisch und fern der süffig streng aufgetragenen Nitsch-Farbenpracht. Das bringt ihm Buhs ein und dämpft die Vorfreude auf sein "Ring"-Dirigat im nächsten Jahr.

In der Pause darf der Wagnerianer mit der 3-D-Brille selbst Drachen töten

Es geht um ein Zwillingsübermenschenpaar, das den Helden Siegfried blutschänderisch zeugt und wegen Ehebruch abgeurteilt wird. Klaus Florian Vogt, ein Bayreuth-Liebling, singt den Siegmund gebremst und hell, Lise Davidson als seine Liebste kann mächtig aufdrehen, bräuchte es aber nicht, da Pietari Inkinen das Orchester auch bei der Lautstärke kurzhält. Was aber auch Tomasz Konieczny, der erst vor wenigen Tagen als Wotan einsprang, nicht am lautstarken Singen hindert. Und Irène Theorin fetzt dazu vokal großzügig Wotans aufmüpfige Tochter Brünnhilde hin, die er sehr gegen seinen Willen bestrafen muss. Für Feinheiten ist wenig bis kein Platz, auch nicht für eine Versenkung in die Abgründe des Stücks oder gar eine Neuinterpretation. Konzertant bleibt dem Wagnerianer zwar das stets peinliche Herumfuhrwerken mit Speer, Schwert und Ring erspart, er bekommt aber auch keinerlei neue Einblicke in Wagners rätselhafte Welt geboten.

In den Pausen darf der Wagnerianer selber zum Schwert greifen und wie Siegfried, der Titelheld des dritten "Ring"-Teils, einen Drachen töten. Vor dem Festspielhaus stehen sechs Zelte, da warten 3-D-Brillen. Sofort findet sich der Wagnerianer im leeren Festspielhaus. Siegfrieds schräger Ziehvater Mime zeigt auf eine rot leuchtende Höhle auf der Bühne und schon kreisen Raben (Wotans Vögel) im Raum. Ein furchterregender 3-D-Riesendrache stürzt sich auf den verschüchterten Wagnerianer, faucht Feuer, schlägt mit Schweif und Flügeln. Schaurig schöne Geisterbahn. Dann kriegt der Wagnerianer ein 3-D-Schwert in die Hand, das Drachenherz leuchtet auf und schneller als überlegt wird der Zuschauer zum Drachentöter. Was wäre geschehen, wenn man nicht zugestoßen hätte? Hätte einen der Drache gefressen? Jay Scheid hat sich dieses VR-Projekt ausgedacht, der Mann wird 2023 den Bayreuther "Parsifal" für 3-D-Brillen aufbereiten.

Die "Walküre"-Bühne ist zu Beginn völlig weiß. Hinten stehen drei Riesenleinwände, Leinwände liegen auf dem Boden. An den Seiten Farbkübel in Reih und Glied, dazu zwei Besen. Zum Orchestergraben hin schlichte Holzstühle für die Sänger, die züchtig in schwarzen Roben antreten, oft sitzen, nur minimal agieren. Hermann Nitsch lässt einen Trupp seiner Mitmaler bunt leuchtende Tropf- und Schüttbilder live improvisieren. Die einen lassen Farbenfluten an den Leinwänden im Hintergrund rhythmisch herabrinnen. Die anderen schütten die auf dem Boden liegenden Leinwände nach und nach voll. Das ergibt ein berauschendes Farborgienspiel. Alles rinnt, strahlt, platscht, tropft, schmiert. Der Synästhetiker Nitsch, der alles aus dem Off dirigiert, übersetzt Wagners dunkle Leidenschaften und Verzweiflungen in helle Leuchtstreifen und Farbseen. Da ist viel Grün, Gelb, Magenta, Orange und Blau zu sehen. Wotans Lebensüberdruss kommt in der Stückmitte in Schwarz daher, das sich bald durch Gelb und Weiß auflichtet. Zuletzt dominiert Nitschs geliebtes Rot. Exakte Übereinstimmungen zwischen Musik und Malerei sind aber selten bei dieser sommerlich leichten Liveaction.

Nach dreizehn "Ring"-Stunden am Hügel kommt der Wagnerianer glücklich wieder an Chiharu Shiotas rotem "Schicksalsfaden"-Maus-Gewirr und dem offenen Fünferring aus Bronze vorbei. Der Wagnerianer stutzt kurz. Es ist schon erstaunlich, wie Wagners Weltenherrschermythos derart unterschiedliche Künstler noch immer inspiriert. Das alles ist anregender als jede konventionelle Operninszenierung. Hoffentlich machen die Festspiele solch einen Wagner-Spieltag zum festen Bestandteil ihres Programms.

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