Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Schwäne im Licht

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In München sind die großartigen Fotos Sepp Werkmeisters zu sehen, die im New York der 60er-Jahre entstanden sind

Von Alex Rühle

Die Stadt, ein Ozean der Zeichen und Dinge: "Abfall, der sich häuft, Prospekte, Hauswurfsendungen - Laufmaschen breiten sich aus und verschwinden unterm Rock, Rentner in langen Mänteln stehen vor den Kaufhäusern und verteilen Reklame für Hantelgymnastik." Völlig elektrisiert ließ sich der Dichter Rolf Dieter Brinkmann in den Sechziger- und Siebzigerjahren durch den semiotischen Dschungel von Großstädten treiben. Auf seinen ziellosen Raumpatrouillen vergleicht Brinkmann sich selbst immer wieder mit dem mimetischen Medium der Kamera: "Treten, Schritte, Sehen: Klack, ein Foto! Gegenwart, eingefroren!" Kühl und zugleich gierig wird alles registriert, was ihm die Umwälzmaschine Stadt vor die Füße spült, bevor es im Gully verschwindet, überklebt, abgerissen oder zugebaut wird. So archiviert sein Auge die Gegenwart immer auch als etwas Vergangenes. Oder wie es die New Yorkerin Susan Sontag formuliert hat: "Fotografieren heißt, die Sterblichkeit archivieren."

Zur selben Zeit wie Brinkmann war der Münchner Sepp Werkmeister in New York unterwegs. Eigentlich als Jazzfotograf: Er war jedes Jahr bei dem Festival in Newport dabei und viele seiner nächtlichen Porträtaufnahmen von Louis Armstrong, Ella Fitzgerald, Oscar Peterson, Miles Davis, John Coltrane oder Archie Shepp wurden weltberühmt. Denn Werkmeister kam diesen Musikern auf seinen Porträts so nah, zeigte sie so versunken, ja entrückt, dass diese Aufnahmen später ihren Weg auf die Plattencover der Künstler oder auf die Buchcover großer Jazzanthologien und -biografien fanden und so zu Ikonen wurden.

Werkmeister streifte wie ein Detektiv des Alltags durch die Stadt

Tagsüber aber streifte Sepp Werkmeister durch Manhattan, die Bronx und Harlem und machte auf seinen mäandernden Spaziergängen Bilder von der Stadt. Abfall, der sich häuft, Prospekte, Hauswurfsendungen, zerschlissene Sessel auf einer Straße in Harlem, Autogaragen, aber vor allem die Menschen dieser Stadt, die Obdachlosen in den Hauseingängen, die Farbigen in ihren kodacolor-schrillen Outfits, die reichen Snobs, deren arrogante Gesichter oft wie chromverspiegelt wirken. Bilder, die so schön sind, so melancholisch und witzig, so einprägsam in der Komposition und soziologisch so scharfsichtig, dass man gar nicht glauben will, dass all diese Schätze bislang in einem Münchner Keller herumlagen. "Ja freilich", sagt Werkmeister, "in so Schachteln, do hob i's nei. Ich hab ja nie was verkaufen müssen."

Sepp Werkmeister leitete "eigentlich" einen Grafikbetrieb in München, Twen, Quick, Micky Maus, Playboy - kam alles aus seiner Werkstatt. Nebenher und en passant war er ein begnadeter Fotograf. Heute ist er 84 Jahre alt. Er würde nie so kariert daherreden wie Susan Sontag oder Rolf Dieter Brinkmann, aber "Treten, Schritte, Sehen: Klack, ein Foto, Gegenwart eingefroren", das trifft schon sehr seine Art zu arbeiten. Nur, dass er das alles sozusagen undercover gemacht hat - und dass er's anders umschreibt. Handwerklicher. Und münchnerischer: "I hob die Rolleiflex in a Brown Bag, Loch vorn nei, fertig. Merkt kein Mensch."

So streifte Werkmeister wie ein Detektiv des Alltags durch die Stadt. Harlem war anfangs, in den Sechzigern, noch No-Go-Area für Weiße. Werkmeister wurde in den Bars einfach nicht bedient, "als sei ich unsichtbar, na, war mir recht, hab ich eben meine Bilder gemacht. Zack, aus der Hüfte. Und weg."

Die Pressekonferenz im Münchner Stadtmuseum zur Ausstellung seiner New-York-Bilder aus den Sechzigerjahren geriet zum Event. Ulrich Pohlmann, der Leiter der Sammlung Fotografie, stellte seine Fragen geordnet nach thematischen Hauptachsen, er wolle mit Sepp Werkmeister einmal pfeilgerade durch die wichtigsten Einflüsse und Vorbilder, auch, welche Kamera er benutzt habe. Werkmeister dachte gar nicht daran, das abzuarbeiten, sondern schlug sich bei jeder Frage sofort in irgendwelche Seitengassen und fing an, erzählend umherzumäandern, und er hatte ja so recht damit, schließlich ist das Leben viel spannender als jede Theorie.

Einmal traf Werkmeister in New York zufällig die große Dokumentarfotografin Diane Arbus. "Hat sie mich gefragt: ,Was machst denn du für Bilder?' - ,Ich geh halt durch die Straßen.' - Sagt sie: ,Hab ich auch früher gemacht. Aber die Menschen tragen draußen alle Masken.' - Da hat jetzt sie wieder recht gehabt."

Er erwischt die Menschen oft in den Momenten, in denen sie hinter der Maske hervorlugen

Das Besondere an Werkmeisters Porträts: Er erwischt die Menschen oft in den Momenten, in denen sie hinter der Maske hervorlugen. Das hat viel mit Instinkt zu tun, und genauso viel mit Geduld. Seine Jazzporträts sind nur deshalb so großartig, "weil ich immer erst mal eine Stunde gewartet habe, bis die völlig in der Musik versunken waren und mich gar nicht mehr wahrgenommen haben".

Auf die Frage nach seinem untrüglichen Gespür für Klassenunterschiede und soziale Spannungen - es ging eigentlich um ein Bild, das einen schwarzen, blinden Bleistiftverkäufer neben einem Werbeplakat für Diamanten zeigt - schlüpfte Werkmeister durch die Jahrzehnte und über den Atlantik zurück, ins München der Nazizeit: Der tägliche Schulweg entlang der Bahngleise von Untermenzing, "da war ein Lager für russische Kriegsgefangene, so etwas vergisst du nicht."

Werkmeister hat gleich nach dem Krieg angefangen mit der Fotografie. Man kann nur hoffen, dass das Stadtmuseum und das Münchner Kulturkontor, das diese Ausstellung mitkuratiert hat, bald mit Sepp Werkmeister in dessen Keller steigen und all die anderen Kisten sichten, die dort noch schlummern: Fotos aus 60 Jahren Münchner Stadtgeschichte. . .

Der New Yorker Filmemacher Jonas Mekas, der zur selben Zeit wie Werkmeister täglich mit seiner Kamera durch New York lief und auf diese Art Tagebuch führte, schrieb in seinen "Anmerkungen zu einigen neuen Filmen und zur Glückseligkeit": "Die Rechte und die Linke wollen mit ihrem ,Engagement' die Welt verändern. Seit die Welt besteht, haben sie sie verändert. Einen erstklassigen Mist haben sie daraus gemacht. Das Engagement des nutzlosen Künstlers besteht darin, sich der Welt zu öffnen." In diesem Sinne sind Werkmeisters Fotos engagierte Kunst. Er selbst drückt auch das wieder auf seine münchnerische Art aus: "Ich hab halt geschaut, und es war ja alles so intressant, die bunten Kleider, die Frauen, das Leben, mein lieber Schwan."

Münchnerinnen! Münchner! Schwäne! Lasst alles stehen und liegen, geht ins Stadtmuseum und schaut dem Leben bei der Arbeit zu. Diese Gesichter, diese Klamotten, diese Häuser - der Wahnsinn. Was für Schätze. Danke, dass sie jetzt endlich ans Licht gehoben wurden.

New York 60s. Sepp Werkmeister Bis zum 27. September. Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseum. Der Katalog kostet 24,90 Euro. www.muenchner-stadtmuseum.de

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Quelle:
SZ vom 01.08.2015
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