Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Bilder einer Krankheit

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In der Pasinger Fabrik sind Aids-Plakate aus dem Deutschen Hygiene-Museum zu sehen

Von Jürgen Moises

Man muss wohl doch noch einmal den ehemaligen CSU-Politiker Peter Gauweiler zitieren, um zu verstehen, wie sich der politische und mediale Umgang mit dem Thema Aids verändert haben. Der hatte in den 1980er Jahren noch in einer Fernsehsendung gegen "bestimmte Saunaclubs" gewettert, "in denen massenhaft der Analverkehr betrieben wird". Und sein CSU-Kollege Hans Zehetmair hatte in derselben Sendung Homosexualität als "krankhaftes Verhalten" diffamiert. Tatsächlich galt Aids zunächst fast ausschließlich als "Schwulenkrankheit", oder gar als "Schwulenpest", wie es Der Spiegel formulierte. Und wie bei einer Seuche ging man in Bayern gegen Aids mit einem Maßnahmenkatalog vor, dessen Vorbild aus dem 19. Jahrhundert stammte und der unter anderem Zwangstests und Razzien vorsah.

Während also vor 30 Jahren ein regelrechter Kulturkampf um das Thema Aids tobte, fällt es heute dagegen eher schwer, Leute überhaupt dafür zu interessieren. So fasste jedenfalls der Geschäftsführer der Münchner Aids-Hilfe Thomas Niederbühl die Entwicklungen zusammen, als er zur Eröffnung der Ausstellung "Where do I begin? Aids-Plakate aus dem Deutschen Hygiene-Museum in Dresden und Kunst" in der Pasinger Fabrik seine einleitenden Worte sprach. Dass dabei nur sehr Wenige zuhörten, könnte dafür ein Beleg sein. Und vielleicht hat Aids, wie ein Besucher meinte, heute tatsächlich seinen Schrecken und damit seine Aktualität verloren. Möglicherweise lag die überschaubare Besucherzahl aber auch an der Weihnachtszeit, oder an den Störungen im Nahverkehr.

51 Plakate aus dem riesigen Fundus des Dresdner Hygiene-Museums hat Stefan-Maria Mittendorf ausgewählt.

Die großformatigen Plakate sind in der Ausstellung in der Pasinger Fabrik zu sehen.

Jedenfalls auch wenn es stimmt, dass Aids oder genauer HIV heute zwar nicht als besiegte, aber medizinisch handhabbare Krankheit gilt, über die die meisten von uns irgendwie Bescheid wissen: Ein Besuch der Ausstellung in Pasing lohnt sich. Weil es hier um Aids weniger als ein medizinisches denn als ein kulturhistorisches, mediales und vor allem auch moralisches Phänomen geht. Dafür hat der Kurator Stefan-Maria Mittendorf 51 Plakate aus dem Dresdner Hygiene-Museum ausgewählt und diese mit sieben Motiven der Deutschen Aids-Hilfe und mit Arbeiten von fünf Künstlern kombiniert. Das Hygiene-Museum verfügt mit rund 10 000 Aids-Plakaten aus 147 Ländern über die weltweit größte Sammlung, und immerhin 240 davon wurden dort vor zwei Jahren auch in einer Ausstellung präsentiert.

Stefan-Maria Mittendorf hat diese Ausstellung gesehen und wurde von dieser, wie er erzählt, beeinflusst. Die gezeigten Motive aus Ländern wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den USA, Tansania, Uganda, der Türkei, Costa Rica, Venezuela, Schweiz, Finnland oder Kanada hat er aber komplett eigenständig ausgewählt. Sie verfügen über eine manchmal ähnliche, oft aber auch sehr verschiedene Text- und Bildsprache, und zeugen von einem unterschiedlichen Umgang mit visuellen und moralischen Codes. Während etwa ein Plakat von 1988 aus den USA sehr explizit einen Mann mit erigiertem Penis darstellt, sind auf einer britischen, jüdischen Darstellung nur eine gezeichnete Spritze und ein Judenstern zu sehen. Darunter steht "Unfortunately it's also a part of Jewish life", und: "With Aids there are no chosen people".

Es wird auf den Plakaten...

...in ganz unterschiedlichen Bildsprachen...

...und mit vielfältigen Motiven...

... vor der todbringenden Krankheit gewarnt.

Auf einem Plakat aus Uganda heißt es: "Do not shoot each other, shoot Aids". Und dazu sieht man einen Soldaten, der Kondome aus seinem Gewehr feuert. Ein Plakat aus Tokio thematisiert Aids als Großstadtproblem, während ein in Trinidad und Tobago eingesetztes Bild mit zwei Babys für Verständnis für an Aids erkrankte Kinder wirbt. Ein Plakat aus Amerika wirft die Frage "Will Aids kill Indians?" in den Raum, und zeigt einen Indianer mit geknickten Federn. Und auf einem Exemplar aus Uganda heißt es "Do not point Fingers", denn: "Anyone can get Aids, even you". Dass Aids jeden treffen kann, dass sickerte von 1985 an ins Bewusstsein, als es die ersten HIV-Infektionen durch Bluttransfusionen gab. Eine Bedrohung, auf die ab Mitte der 90er die medizinische Erlösung folgte. Mithilfe von Medikamenten kann man heute mit HIV fast ganz normal leben. Aber verschwunden ist das Virus nicht.

Über 80 000 gelten in Deutschland aktuell als infiziert, und in Afrika oder in Osteuropa gilt Aids oft immer noch als Todesurteil. Außerdem wurden durch Politik und Medien, aber auch durch die Kampagnen Vorstellungen von Aids und allgemein von Sexualität geprägt, die heute noch stark nachwirken. Sich dessen bewusst zu werden, kann nicht schaden. Und deshalb sollte man sich als Einstieg in die Ausstellung am besten Philipp Guflers Installation "Projektion auf die Krise (Gauweilereien in München)" ansehen. Dort finden sich nicht nur die Zitate von Zehetmair und Gauweiler, sondern auch noch andere Dokumente, die die Auseinandersetzung mit Aids in München in den frühen 80er Jahren. Denn dort wo es vor allem auch um die falschen Bilder von und über Aids geht, kann ein Blick vor die eigene Haustüre sicher nicht schaden.

Where do I begin? Aids-Plakate aus dem Deutschen Hygiene-Museum in Dresden und Kunst ; Pasinger Fabrik, August-Exter-Str. 1, bis 28. Januar

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Quelle:
SZ vom 09.12.2017
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