Süddeutsche Zeitung

Hip-Hop:Selbstverarsche? Fremdverarsche? Beides, und zwar aufs Schönste

Lesezeit: 3 min

Von Juliane Liebert

Die Antilopen Gang hat ein Symposium veranstaltet. Nicht irgendein Symposium - ein Antilopen-Gang-Symposium anlässlich des Erscheinens ihres neuen Albums "Abbruch Abbruch". Die "Festspiele" getaufte Veranstaltung umfasste neben Vorträgen auch eine Podiumsdiskussion, ein Konzert und eine Party. Sie fand im "Berghain" statt.

Eigentlich hatten die Linksrapper ("gegen Rechtsradikale, gegen Rechtsesoteriker", gegen Rechts-alles) dazu fünf Vortragende eingeladen, am Ende waren es drei, die wenige Stunden vor dem offiziellen Albumrelease den auf Holzbänken sitzenden Gästen die geisteswissenschaftlichen Dimensionen des Albums erklärten. Über der Bühne hing in goldenen Luftballonbuchstaben "Make Antilopen great again" in Versalien, nur dem A in GREAT war schon die Luft ausgegangen. Die Vorträge hatten Titel wie "Abbruch Abbruch. Das Oxymoron als Exit-Strategie aus der Postadoleszenz der Antilopen Gang" (Jan Wehn) oder "Keine Dialektik im Dorf. Die Idiotie des Landlebens im Zentrum des Bösen" (Professor Samuel Salzborn).

Selbstverarsche? Fremdverarsche? Beides, und zwar aufs Schönste, und zudem ein guter Service: Die Antilopen Gang gab dem gewillten Zuhörer die Möglichkeit, sich ihr Werk schon vorab von Profis erklären zu lassen. Dieses Vorgehen war in vielerlei Hinsicht eine sehr clevere Entscheidung. Seit Hip-Hop in den Feuilletons angekommen ist, werden Seiten mit schwerwiegenden Überlegungen zu Rap als Kunstform etceterablabla gefüllt. Wenn Unterkategorien der Popkultur relevant für Mainstreammedien werden, tritt im Feuilleton gern der Typus des Kenners auf, der alles besser weiß. Zum Beispiel, warum Hip-Hop-Lyrics moralisch nicht verwerflich sein können. Oder dass man schon als Dreijähriger Eminem-Texte auswendig gekonnt haben muss, um die Wahrhaftigkeit der Kunst zu verstehen. Der Kenner steht für das Ethos der deutschen Wertarbeit: Man möge doch, bitte schön, geprüfter Fachmann sein, bevor man sich zu Kollegah äußert. Auf der anderen Seite stehen die ungezählten armen Popisten, denen Hip-Hop eher auf die Nerven geht, die nun aber pausenlos über ihn schreiben müssen, weil ihn nun mal alle hören. Warum sollte man derart traurige Interpreten ranlassen, wenn die Rapper und ihre Freunde diese Aufgabe schon vorab selbst erledigen können?

Und wenn schon, warum dann nicht auch noch gleich die Kritik mitliefern? Diese Aufgabe übernahm Martin Seeliger, der in seinem Vortrag "Der Ruf ist ruiniert. Zur Kritik der Antilopen Gang" diese derart lustig und präzise auseinandernahm, dass alle späteren Kritiker nicht nur nach Hause gehen können. Sondern - in diesem Fall, wegen des Zeitstrahls - einfach direkt zu Hause sitzen bleiben dürfen.

War das Symposium nur die vollendete Regression in den Ironiepanzer?

Die politische Pose der Gruppe sei, so Seeliger, eigentlich eine ästhetische. Denn die Antilopen Gang stünde wie alle vor dem Problem, etwas zu finden, worüber sie rappen können. "Dabei geht sie eine Bedarfsgemeinschaft mit der radikalen Linken ein, deren Problem wiederum ist, dass sich außer dem Verfassungsschutz niemand für sie interessiert" (sinngemäß zitiert). Mitten in seinem Vortrag gab auch das E in GREAT den Geist auf. Es war empfindlich getroffen und platzte. Die Antilopen Gang stand im Publikum und lachte sich halb kaputt.

War das Symposium nun die vollendete Regression in den Ironiepanzer? Die logische Zuspitzung des Reflexionsgehampels um Popkultur? Als die Theorie durch war, ging es dann auf jeden Fall ziemlich unvermittelt um Sex. Denn wo Symposien sind, ist die Podiumsdiskussion nicht weit. Claudia Kamieth moderierte. Die befreundeten Musiker Drangsal, Luise Fuckface und Amewu redeten mit Antilopen-Mitglied Panik Panzer über ihr erstes Mal, sexuellen Leistungsdruck und Scham. Lange. Man erfuhr, dass Amewu seinem ersten Mal in Schulnoten eine Vier minus und seinem letzten Mal eine Eins geben würde und Drangsals erste Freundin mal "ein ganzes Seeed-Album durchgefickt" hat. Nicht mit ihm. Behauptete er. Alle Beteiligten bemühten sich redlich, aber führten dabei auch genau das vor, woran sie sich abarbeiteten: Dass es nach wie vor schwierig ist, in der Öffentlichkeit über Intimes zu reden, ohne in Posen oder Gemeinplätze zu verfallen.

Nach dem Sex dann endlich: Musik. In schwarzen T-Shirts spielten die nunmehr intellektuell intensiv vorbearbeiteten drei Antilopen-Gang-Mitglieder ein paar alte und neun neue Tracks. Sie rappten Zeilen wie "unsere Fans sind nicht mehr die Zecken von früher / unsere Fans sind SPD- und Grünwähler". In der ausverkauften "Berghain"-Kantine bildete sich der freundlichste und wohl bestgelaunte Moshpit aller Zeiten. In den Augen der Antilopen blitzte die Freude über ihr Publikum. Bei "Trenn dich" konnte man die neue DJ Jenny Sharp beobachten, wie sie die Worte des Refrains stumm mitsang. Darüber leuchtete golden der Slogan: Make Antilopen grt again.

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SZ vom 25.01.2020
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