Süddeutsche Zeitung

Architektur für Aleppo:Versöhnung statt Ruinen

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Von Gerhard Matzig

Es ist ein heißer, so nahe an der Küste im kühlen Norden Lübecks auch despektierlich heißer Tag. Ein Tag am Ende des Semesters an der dortigen Technischen Hochschule. Ein Tag, an dem die Studentinnen und Studenten der Architektur ihre Masterarbeiten vorstellen. In der Hitzehalle sind große Schautafeln mit Entwürfen zu sehen. Zum Beispiel für ein neues Wohnhaus, eine neue Schule und ein neues Museum. Oder auch für ein neues Leben. Manchmal auch für das eigene.

Noch sind die Studenten Lernende, Tastende, doch bald könnten sie als Praktizierende tatsächlich die Welt verändern. Indem sie Mauern bauen, einreißen oder bewahren. Und weil die Kunst, das alles zusammen zu tun, im Grunde selten ist, verblüfft der schüchtern-selbstgewisse Auftritt des 26-jährigen Ammar Teibi.

Der wurde 1993 in Aleppo geboren und studiert seit zwei Jahren als Masterstudent an der TH Lübeck. Fernab vom Krieg in Syrien. Fernab von Zerstörungen, Not und Elend. Und doch ist er, wie sein an sich tollkühner Entwurf für ein Kulturzentrum inmitten der ruinierten Altstadt ("Creating a memory in a damaged destroyed site of Aleppo") belegt, immer noch mittendrin.

Wozu, wir befinden uns ja jetzt in Lübeck, in der Geburtsstadt Thomas Manns, dieses Zitat des Literaten passt: "Fantasie haben heißt nicht, sich etwas ausdenken; es heißt, sich aus den Dingen etwas machen." Womöglich wirkt der Vorschlag Teibis, inmitten der Zerstörung einer zerrissenen Stadt mit den Mitteln der Baukunst eine Erinnerung an die Zerstörung zu schaffen, die zugleich in die Zukunft des Zusammenlebens weist, deshalb so fantastisch, weil sich Teibi aus den Dingen und dem Schicksal seiner Heimat etwas macht.

Weil er seiner Geburtsstadt, die mit der Stadt, die er kannte, nichts mehr zu tun hat, etwas zurückgeben will von dem, was er auch in Lübeck gelernt hat. Vielleicht ist dieser westöstliche Entwurf ja auch deshalb so faszinierend und anregend. Am liebsten würde man daher die Bagger und Kräne losschicken, damit dieser Studentenentwurf baldmöglichst wahr wird.

Aleppo, wo der Krieg immer noch nicht ganz vorbei ist, wo es an Sicherheit, Lebensmitteln, Strom und Wohnraum fehlt, an Arbeitsplätzen, Straßen und Krankenhäusern, braucht jetzt auch eine Idee von sich selber. Es braucht Hoffnung, und vielleicht muss man architektonisch träumen dürfen, als Student, um sich etwas ausdenken zu können, was dann zwischen Fantastik und Realität so wunderbar ausbalanciert vermittelt.

Am liebsten würde man die Bagger losschicken, damit dieser Entwurf baldmöglichst wahr wird

Zu den Zehntausenden der beschädigten oder kaum mehr vorhandenen Gebäuden der Stadt Aleppo, deren Kerngebiet auf der Roten Liste des gefährdeten Welterbes der Unesco steht, gehört auch ein Ensemble um das ehemalige Rathaus, direkt unterhalb der mittelalterlichen Zitadelle. Teibi plant nun, die erschreckend plastischen Ruinen für ein Museum zu verwenden, das sozusagen auch als Mahnmal fungiert. An Ort und Stelle wird es zum Erinnerungsraum des Katastrophischen.

Doch zugleich arrondiert der angehende Architekt, der den Entwurf doppelsinnig seinen Eltern, ebenfalls Architekten, widmet ("den Architekten meines Lebens"), rund um das Ruinenmuseum ein zu einer Art Souk verdichtetes Raumprogramm, das eine Bürgerbibliothek und ein Konferenzzentrum sowie einen gewaltigen "Liwan" aufnimmt. Das ist ein seit Jahrtausenden in der arabischen Kultur bekannter Versammlungsraum und auch der Ort - oft von einem seitlich offenen Tonnengewölbe bekrönt -, an dem die Familie zusammenkommt. Für Teibi wird es zum Herzstück der Anlage, denn er möchte, dass in diesem Gewölbeschatten die Gesellschaft Aleppos zusammen-, und dann aus der Vergangenheit in die Zukunft findet.

Es ist gar nicht auszudenken, was geschähe, würde man unter den üblicherweise herumgereichten Stararchitekten dieser Welt, die längst zu Designern von Signature Buildings retardiert sind, einen internationalen Wettbewerb mit Teibis Raumprogramm ausloben. Sie würden den Ort mit großer Wahrscheinlichkeit und ebenso großer Baukunstgestik radikal neuerfinden. Doch Teibi sucht mit seiner Arbeit nicht die Konfrontation, sondern die Versöhnung. So gestaltet er die Fassaden plastisch und schmuckvoll, in der Farbe der steinernen Altstadt, er verweist innenräumlich auf die Souk-Struktur und bemüht mit dem Liwan einen Raumcode, der öffentlich gelesen, bautypologisch dechiffriert werden kann. Der Student versöhnt Moderne und Tradition. Ammar Teibi erhält in Lübeck von einer beeindruckten Professorenschaft die Note 1,0. "Sehr gut". Noch besser wäre es, man wollte seinen Entwurf bauen.

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SZ vom 17.07.2019
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