Süddeutsche Zeitung

Afghanistan:Documenta-Künstler Omarzad darf Kabul verlassen

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Eine Schlüsselfigur der afghanischen Kunstszene bekommt nach internationalen Künstlerprotesten Asyl in Italien.

Von Ingo Arend

"Das ist eine wunderbare Nachricht." Carolyn Christov-Bakargiev ist die Erleichterung auch am Telefon anzumerken. Am Wochenende konnte die Direktorin des Turiner Kunstmuseums Castello di Rivoli bekannt geben, dass es ihr und der italienischen Regierung gelungen war, mit Rahraw Omarzad einen der wichtigsten Vertreter des afghanischen Kunstlebens nach Italien zu holen. Der 57 Jahre alte Schriftsteller, Künstler und Experte für moderne persische Kunst ist Professor an der Universität Kabul. Zudem leitet er das Kabuler Zentrum für Zeitgenössische Kunst (CCAA) und gründete im Jahr 2000 die Kunstzeitschrift Ganahma-e Hunar.

Mit ihm erhalten seine Frau, die Künstlerin Manisz Nasrullah, ihre zwei Töchter und Omarzads Schwester Asyl in Italien. Die internationalen Aufrufe für die afghanische Szene zeitigen endlich konkrete Erfolge. Im August hatten mehr als 350 Künstlerinnen und Künstler aus den USA, Anfang September dann auch deutsche Intellektuelle rasche Hilfe ihrer Regierungen gefordert.

Nun stehen die Zeichen wieder auf Bildersturm, Musikverbot und Zensur

Mit Carolyn Christov-Bakargiev, die unter den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Kunstwelt auf den vorderen Plätzen rangiert, verbindet Omarzad die Documenta. Er war eine der wichtigsten Stützen der Kuratorin, als sie im Jahr 2012 einen Außenposten der von ihr geleiteten Documenta 13 in der afghanischen Hauptstadt platzierte. "Collapse and Recovery - Zusammenbruch und Wiederaufbau" hatte Bakargiev die Schau in Anspielung auf Analogien zwischen dem im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kassel und der afghanischen Metropole genannt.

Die Documenta am Hindukusch erregte seinerzeit großes Aufsehen, 27 000 Besucher sahen die Schau im schwer gesicherten Queen's Palace und den Bagh-e-Babur-Gärten, viele international bekannte Künstler wie William Kentridge oder Adrián Villar Rojas kamen nach Kabul, auch die skeptische, britisch-polnische Konzeptkünstlerin Goshka Macuga war damals "dankbar und aufgeregt, auf die Situation in Afghanistan reagieren zu können", wie sie sich im Gespräch mit der SZ erinnert. Die Uraufführung eines Films des belgischen Künstlers Francis Alÿs über die Straßenkinder von Kabul fand in einem völlig zerbombten Kino unter freiem Himmel statt. Auch Rahraw Omarzad zählte zu den Beteiligten, nicht nur als Netzwerker. In seinem auch in Kassel gezeigten Video "Gaining and Losing" hatte er am Beispiel der Zerstörung archäologischer Artefakte aus dem Afghanischen Nationalmuseum die kulturellen Traumata seines Landes verarbeitet.

Es gehört zur Dialektik von "Collapse and Recovery", dass die Zeichen nun wieder auf Bildersturm, Musikverbot und Zensur stehen. Entsetzt verweist Bakargiev darauf, dass Männer und Frauen an der Universität Kabul, in der sie 2012 noch Seminare zur Freiheit der Kunst gab, nun wieder "durch Vorhänge getrennt" seien. Aman Mojadidi, seinerzeit Vor-Ort-Kurator der Documenta, rechnet als "best-case-scenario" mit einer Situation wie in Iran oder Saudi-Arabien: "Es wird eine künstlerische und kulturelle Produktion geben", sagt der amerikanisch-afghanische Künstler, "die jedoch stark kontrolliert in Bezug auf das ist, was sie schaffen kann".

Rahraw Omarzad wird das nun vom sicheren Italien aus beobachten. Gesponsert von der Turiner Accademia Albertina, den römischen Kunstmuseen Maxxi und dem Palazzo delle Esposizioni sowie dem Museum Thyssen-Bornemisza in Madrid soll er als Kurator im Castello di Rivoli arbeiten und "das künstlerische und intellektuelle Leben in Italien bereichern", wie Carolyn Christov-Bakargiev ankündigt.

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