Süddeutsche Zeitung

Widerstand gegen LNG-Terminals:Nicht in ihrem Boden

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Deutschland will durch importiertes LNG unabhängig von russischem Gas werden - doch die geplante Infrastruktur löst Kritik aus. Im Landkreis Pinneberg sorgen sich die Menschen um Rohre in ihren Mooren und fragen: Was wird jetzt mit der Energiewende?

Von Saskia Aleythe, Hamburg

Früher hat Ralf Hübner noch keine Briefe an Robert Habeck geschrieben, früher ging es noch um die vermeintlich kleinen Dinge. Da haben sie sich im Umweltschutz-Verein in der Gemeinde Hetlingen um Streuobst- und um Blühwiesen gekümmert oder für Solardächer auf den öffentlichen Gebäuden gesorgt. Für die größeren Belange gibt es die größeren Organisationen, sagt der 60-Jährige. Doch das Große ist oft auch mit dem Kleinen eng verwoben, und so kommt es, dass sich im Landkreis Pinneberg in Schleswig-Holstein, wo Hübner wohnt, nun schon seit einiger Zeit Protest regt. Protest gegen die LNG-Pläne der Bundesregierung.

Mehrere Gemeinden dort sind ja auch direkt betroffen: In nicht allzu ferner Zukunft sollen die Bagger bei ihnen anrücken, um Rohre im Boden zu verlegen, bis zu 80 Zentimeter im Durchmesser, 1,20 Meter tief. Es geht um eine Pipeline, die Flüssigerdgas vom gerade entstehenden LNG-Terminal in Brunsbüttel ins bestehende Gasnetz bringen soll. 55 Kilometer soll die Leitung lang werden, von Brunsbüttel bis Hetlingen. Dabei werden Moore durchquert, die durch die Bauarbeiten trockengelegt werden müssten. Sie werden Schäden davontragen, sagt Hübner: "Ein Moor ist kein Schwamm. Wenn das Wasser einmal draußen ist, dauert es ganz lang, bis es sich wieder renaturiert." Dabei erfüllen die Moore eine wichtige Funktion, nicht umsonst will die Bundesregierung sie eigentlich schützen, mit einem eigenen Renaturierungsprogramm: Sie dienen als wichtiger CO₂-Speicher.

Doch die Prioritäten haben sich kräftig verschoben, seit Russland in der Ukraine Krieg führt: Die Bundesregierung will schleunigst weg vom russischen Gas, importiertes Flüssigerdgas, kurz: LNG (das Kürzel steht für "Liquefied Natural Gas"), soll dabei helfen. Heruntergekühlt auf etwa minus 162 Grad kommt es in komprimierter Form flüssig via Schiff an und wird in speziellen Anlagen wieder in Gas umgewandelt. Jahrelang gab es keine Lobby für entsprechende Terminals in Deutschland, sie galten vor allem als zu teuer, noch dazu als nicht durchsetzbar im Sinne einer grünen Energiewende. Doch mit den neuen politischen Entwicklungen ist nun Norddeutschland in den Blickpunkt geraten: Schon Ende des Jahres soll in Wilhelmshaven in Niedersachsen das erste Schiff mit Flüssigerdgas anlanden, auch in Brunsbüttel wird an einem schwimmenden Terminal gebaut - und eine feste Anlage ist auch schon vorgesehen. 500 Millionen Euro schießt die staatliche KfW-Bank zu. Auch für Terminals in Stade und in Lubmin gibt es Pläne. Für Umweltschützer wie Hübner sind diese Entwicklungen eine herbe Enttäuschung.

Die große Sorge: Es wird wieder fossile Infrastruktur geschaffen

Zu Beginn des Jahres hat er als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz Haseldorfer Marsch deshalb einen offen Brief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit unterzeichnet: Er richtete sich gegen den Bau des LNG-Terminals in Brunsbüttel. Da ging es noch gar nicht um die Moore bei ihm um die Ecke, sondern um die generellen Bedenken gegen das Flüssigerdgas. Es ist schließlich ein fossiler Energieträger, der meist über Fracking gewonnen wird, was klimaschädliches Methangas freisetzt. Zudem ist der Transport mittels Schiffen über die Weltmeere extrem ressourcenintensiv. Bisher ist Deutschland immer ohne LNG ausgekommen, weil genügend Gas aus Russland geliefert wurde, doch mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine hat sich das geändert.

Für LNG als Übergangslösung hat Umweltschützer Hübner sogar Verständnis. "Dass wir einen Notstand haben, da bin ich total dabei", sagt er, "aber bitte lasst uns das nicht für die Zukunft manifestieren." Für das schwimmende Terminal in Brunsbüttel wird gerade schon an einer drei Kilometer langen Pipeline vom Hafen bis ins bestehende Gasnetz gebaut. Darüber soll eine Teilmenge des importierten LNG transportiert werden - bis zu 3,5 Milliarden Kubikmeter sollen einmal am Terminal ankommen. Insbesondere für die 55 Kilometer lange Pipeline sieht die Deutsche Umwelthilfe aber "die Gefahr, dass damit langfristige fossile Infrastruktur geschaffen wird", wie es in einer Pressemitteilung heißt. Das Unternehmen Gasunie, das für die Anbindung der Pipelines zuständig ist, argumentiert, die Leitungen seien auch "Wasserstoff-ready", also geeignet für den Transport von Wasserstoff. Details zu Aufwand und tatsächlichen Mehrkosten bei einer Umrüstung der Energieträger und entsprechender Anlagen gibt es aber noch nicht.

Hübner sagt, aus seiner Sicht werde gerade zu einseitig geplant. "Wir können jetzt nicht nur in Gastechnik investieren, sondern müssen parallel auch in regenerative Energien investieren. Das vermisse ich zur Zeit. Es wird nur noch über Gasnotstand gesprochen", sagt er. In Hetlingen hätten sie jahrelang versucht, Solaranlagen auf einer größeren Fläche installieren zu dürfen; das sei aber von Amtswegen untersagt worden, mit Verweis auf das Landschaftsschutzgebiet. Dass nun Moore und Wasserschutzgebiete mit Pipelines durchquert werden sollen, erregt die Gemüter umso mehr.

Für Einwände hatte die Öffentlichkeit kaum zwei Wochen Zeit

Dass die Bauvorhaben in Wilhelmshaven und Brunsbüttel überhaupt so schnell umgesetzt werden können, dafür sorgt das LNG-Beschleunigungsgesetz, das im Mai verabschiedet wurde. Nun kann theoretisch schon losgebaut werden, bevor alle Genehmigungsverfahren abgeschlossen sind. Und die Fristen für Einwände sind deutlich kürzer. Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens zur geplanten Pipeline in Hetlingen hatte die Öffentlichkeit keine zwei Wochen Zeit, um die Unterlagen zu lesen und Gegenargumente anzuführen. "Das sind 700 Seiten in Amtsdeutsch, von Experten erstellt", sagt Hübner. "Wir engagieren uns alle ehrenamtlich und sind berufstätig, das ist so gut wie nicht zu machen." Gewehrt haben sie sich trotzdem. Direkt betroffen sei bei ihnen auch ein Bioland-Bauer, erzählt Hübner. "Er hat langfristig finanzielle Einbußen, weil er auch Felder bewirtschaftet, die im Moorbereich sind. Das muss man sehr vorsichtig machen. Wenn jetzt die LNG-Leitung da durchgeht, vermutet er, dass er 30 Prozent weniger Erträge erwirtschaften kann."

Hübner ging schon früh davon aus, dass die Pipeline trotz aller Einwände kommt, mittlerweile wurden erste Genehmigungen für vorbereitende Baumaßnahmen erteilt. Warum er sich trotzdem engagiert, immer wieder? Seine beiden Kinder müssten irgendwann das ausbaden, was "wir jetzt nicht auf die Reihe kriegen", sagt er. Und ihnen will er zumindest sagen können: "Ich habe alles versucht, was in meiner Macht stand, damit es nicht so weit kommt."

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