Süddeutsche Zeitung

Rüstungsexporte:Kampfpanzer - Hilfe, Finanzspritze oder Katastrophe

Lesezeit: 6 min

Während einige SZ-Leserinnen und -Leser nicht nur mit dem Krieg, sondern auch mit der Rolle Deutschlands hadern, befürworten andere neue Waffenlieferungen in die Ukraine.

"Ampel streitet über Rüstungsexporte", "Ministerin Lambrecht hat recht", "Der Blick aufs Ende" und "Bastion Kanzleramt" vom 13. September und weitere Artikel:

Furcht vor der Führungsrolle

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat sich mit ihrer Rede zur nationalen Sicherheitsstrategie in die Schar der Tabubrecher eingereiht. Ihr ging es um die deutsche Führungsrolle in Europa und Lockerungen bei Rüstungsexportvorschriften. Zweiteres fand leider auch in der SZ ein zustimmendes Echo. Über das erste, noch wichtigere Thema konnte man keinen Satz finden. Lambrecht fordert, dass Deutschland aufgrund seiner Größe, seiner geografischen Lage, seiner Wirtschaftskraft und seines Gewichts seine Rolle als "Führungsmacht" in Europa wahrnehmen soll -"auch im Militärischen". Das müssen die anderen Europäer als Drohung empfinden, denn diese warten sicher nicht darauf, von Deutschland "geführt" zu werden. Fängt dieses unselige Machtgezerre schon wieder an?

Als überzeugter Europäer war ich in der Wendezeit für die Demokratisierung der DDR, aber gegen eine staatliche Vereinigung von BRD und DDR, weil damit das Gleichgewicht zwischen den annähernd gleich starken europäischen Staaten (D, F, I, GB) gestört würde. Meine Befürchtung war, dass (nach erfolgreicher Überwindung der Vereinigungsprobleme) mit einem gewichtigeren Deutschland auch die deutsche Überheblichkeit wiederauferstehen könnte. Dass dieses üble und gefährliche Spiel jetzt ausgerechnet von einer SPD-Ministerin in Gang gesetzt wurde, macht Angst um die gedeihliche Zusammenarbeit in Europa.

Dass der Rüstungsexport für eine Refinanzierung der teuren Entwicklung von Rüstungssystemen notwendig sei, so Lambrechts und Brösslers Argumentation, finde ich schäbig: Wenn Staaten eine komplexe Aufrüstung als zur Verteidigung notwendig erachten, dann müssen sie das Geld dafür selbst aufbringen und können sich diese nicht über schmutzige Geschäfte mitfinanzieren lassen. Es ist ein weiterer Beweis dafür, dass europäische Werte sich in Euros bemessen lassen. Die europäische Flüchtlingspolitik lässt grüßen.

Günther Flößer, Backnang

Lambrechts Denkfehler

Rüstungsexporte zielen auf den Profit der Herstellerfirmen, deren Arbeitsplätze und Gewerbesteuer die Ministerin bewahren will. Aber der Export und seine Folgen wollen gut überlegt sein, denn die Waffenlieferungen führen nicht überall zu moralisch vertretbaren Ergebnissen. Der moralische Wertevorbehalt ist also berechtigt, man darf ihn nicht mit einer angeblich gleichen, tatsächlich aber nur vergleichbaren europäischen Moral kleinreden und sich dahinter verstecken. Friedfertige Humanisten gibt es zwar in den meisten Ländern, aber sie sind zu oft nicht die Entscheidungsträger. Nicht die Länder "Frankreich, Italien und Spanien sagen, das ist vertretbar ...", sondern deren Politiker. Es ist ein großer Unterschied, ob zum Beispiel in Italien der Entscheidungsträger Salvini oder Draghi heißt. Man muss fragen, warum Politiker anderer Länder weniger Skrupel beim Export von Tötungsmaschinen haben. Liegt ihnen vielleicht die eigene Wirtschaft mehr am Herzen als das Leben fremder Staatsbürger?

Diese Menschenrechtsauslegung musste man der exportierenden Rüstungsindustrie unterstellen, nun aber auch der Ministerin mit ihrer Beihilfe. (Der Gipfel des Profits und zugleich der Verwerflichkeit wäre es, wenn man unterschiedslos alle Kriegsparteien belieferte.) Politiker müssen moralische Unterscheidungen treffen, wie Saudi-Arabiens Khashoggi-Mord und der Jemen-Krieg zeigen. Dies zeigt, dass "legale" Waffenverkäufer kaum anders sind als illegale. Viele Entscheidungsträger der "Wertegemeinschaft" gehen lockerer mit Friedenssicherung und Menschenschutz um. Von diesem Mangel an Verantwortung sollte sich die Verteidigungsministerin nicht verleiten lassen. Lambrechts schematische Gleichsetzung der westlichen Nationen ist wegen der ungleichen Politiker zu billig. Ein bequemer Denkfehler, wenn nicht ein Versteckspiel.

Dr. Dietrich W. Schmidt, Stuttgart

Geschlossen Farbe bekennen

Mit Wehmut schaut so mancher, auch das Ausland, auf die zögerliche Unterstützung der Ukraine durch Deutschland. Kampfpanzer und Artilleriegeschosse für die Ukraine, bitte sofort, um das Momentum der erfolgreichen ukrainischen Angriffe zu nützen und den diabolischen Aggressor zu überstürzten Handlungen und Rückzügen oder Flucht zu zwingen. Das wäre die einzig glaubwürdige Vorgehensweise. Endlich geschlossen Farbe bekennen für ein freies Europa und Putin vor europäischem Kriegsgericht.

Dr. med. Gernot Zumtobel, Götzis/Österreich

Feige

Die SPD hatte mit Olaf Scholz und Manuela Schwesig keine Probleme, gegen die Bedenken aller anderen befreundeten Staaten im Alleingang Nord Stream 2 trotz der Krim-Annexion durchzuziehen. Jetzt traut sie sich angeblich nicht, im "Alleingang" der Ukraine Panzer zur Verteidigung zu liefern. Dass die SPD mit ihren verzögerten und anfangs lächerlichen ( Helm-)Lieferungen viele Tote auf dem Gewissen hat, müssen Scholz, Mützenich und die anderen Genossen mit sich ausmachen. Aber dass der Kriegsverbrecher Putin nur unter militärischem Druck zu Verhandlungen bereit ist, dürfte inzwischen jedem klar sein.

Dr. Hans Jungk, München

Richtig gehandelt

Olaf Scholz hat richtig gehandelt. Hätte er auf den Putz gehauen, hätte er Putin zu unüberlegter Handlung verführt, wie unter Umständen dem Einsatz von Mini-Atombomben. Wer Vertrauen in die Demokratie und die Bevölkerung hat, agiert im Hintergrund und denkt längerfristig, da sich die Demokratie und der Freiheitswille der Bevölkerung durchsetzen werden. Geschlossenes Handeln mit unseren Verbündeten erhöht die Wirkung zur Durchsetzung der Demokratieziele. Die SPD hat eine lange Demokratieerfahrung.

Udo Peplow, München

Nur bei Verhandlungsbereitschaft

Die Chancen von Friedensverhandlungen hängen davon ab, welches Interesse an einem Friedensvertrag besteht. Wie weit Russland zu Verhandlungen bereit ist, wird auch von der Verhandlungsbereitschaft der Ukraine beziehungsweise der Nato abhängen. Gelingt es, eine neue europäische Friedensordnung herzustellen, oder geht es um die Fortsetzung eines kalten oder heißen Krieges? Eine Abstimmung der Bevölkerung der Ostprovinzen Donezk und Luhansk über ihren künftigen Status, mit Unterstützung der OSZE und der UN, müsste ja von Russland nicht von vorneherein abgelehnt werden. Zur Frage gestellt werden könnte die Selbständigkeit dieser Provinzen oder eine Verbindung mit der Ukraine bei bestimmten Autonomierechten (Minsker Abkommen). Die Fortsetzung oder Aufhebung der Sanktionen dürfte für Russland nicht gleichgültig sein. Die Annexion der Krim - formaljuristisch völkerrechtswidrig, historisch fragwürdig - wurde in Wahrheit längst hingenommen.

Präsident Selenskij will gegenwärtig keine Verhandlungen, sondern die Rückeroberung der gesamten Ukraine einschließlich Krim. Tod und Verwundung weiterer Russen und Ukrainer und katastrophale Verhältnisse für die Zivilbevölkerung sollen in Kauf genommen werden. Die Gefahr der Ausweitung zu einem Weltkrieg und des Einsatzes von Atomwaffen ist nicht gebannt, ebenso die Gefahr der Zerstörung eines Atomkraftwerkes durch Raketen oder Artilleriebeschuss.

Friedensverhandlungen müssen Russland und die Ukraine führen. Waffenlieferungen und die Finanzierung von Waffen aber müssen von der Verhandlungsbereitschaft der Ukraine abhängig gemacht werden. Eine unsinnige Fortsetzung des Krieges sollten wir auf keinen Fall unterstützen.

Prof. Dr. Hans Wenzl, Siegen

Schutz der Amerikaner

Das feige Verhalten von Scholz und seiner SPD, der Ukraine fast nur ausgemusterte alte Waffen zu liefern, ist für mich beschämend. Die Geschichte hat gezeigt, so stoppt man Größenwahnsinnige wie Putin nicht. Ohne den jahrzehntelangen Schutz der Amerikaner gäbe es uns in unserem großen Wohlstand und der überbordenden Freiheit nicht. Und ohne die modernen Waffen und das Know-how der Amerikaner gäbe es die Ukraine auch nicht mehr.

Dr. Joachim Schimmelpfennig, Frechen

Absurdes Theater

Nach so einem Kommentar schöpft man wieder Mut. Mut dank der kritisch beobachtenden Journalisten der SZ und ihrer mutig-klugen Abwägung der geopolitischen Lage, als auch der daraus folgenden Stärkung des soziopsychologischen Befindens der Menschen in diesem Terrorkrieg Putins, der uns alle betrifft. Man sollte unserer Regierung (ich habe sie gewählt) in den Hintern treten, damit sie endlich eine weitere, vielleicht finale Stoßrichtung für einen Erfolg der Ukraine steuert. Natürlich mit schweren Waffen, die Marders und Leos stehen doch da. Was soll die schamhafte Feigenblattpolitik "nur mit Nato-Abstimmung": Absurdes Theater angesichts der ernstesten Bedrohung Europas seit dem Zweiten Weltkrieg.

Dr. Walter M. Keller, Göppingen

Schnelles Ende

Johannes Varwick, Professor für internationale Politik an der Uni Halle, ist zuzustimmen, wenn er befürchtet, dass die Lieferung von modernsten Waffen mit enormen Risiken verbunden ist und den Krieg nur verlängert. Nach seiner Ansicht werden die Ukrainer verheizt, denn Putin werde die Lage eher nuklear eskalieren lassen, als den Krieg zu verlieren. Das deckt sich mit der Aussage des prominentesten Kritikers der US-amerikanischen Politik, Professor Noam Chomsky: "Die Amerikaner bekämpfen die Russen bis zum letzten Ukrainer." Klar bezeichnet er Putins Krieg als eines der größten Kriegsverbrechen, das in die Geschichte des 21. Jahrhunderts eingehen wird. Aber Chomsky ist auch der Meinung, dass die Tragödie bis zur letzten Minute hätte vermieden werden können. Im Interview mit dem Onlinemagazin "Telepolis" vom 12. April sagt er: "Der Versuch, die Ukraine vom russischen Einfluss zu lösen, war ein ebenso dummes wie gefährliches Unterfangen. Haben wir so schnell die Lektion aus der kubanischen Raketenkrise vergessen?"

Jetzt, nachdem dieser schreckliche Krieg schon über ein halbes Jahr dauert, gilt es weltweit nach Verbündeten zu suchen. Besonders solche, die Einfluss auf Wladimir Putin haben, um endlich dieses Grauen mit täglichem Leid, Tod und Zerstörung so schnell wie möglich auf diplomatischem Weg zu beenden. Hierfür wagt sich vor allem Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer vor. Seine Argumentation: In unserer globalisierten Welt litten inzwischen alle Länder unter den vielfältigsten und drastischen Folgen dieses Krieges und müssten somit großes Interesse an einem baldigen Frieden haben. Nur so lässt sich das Elend eines jahrelangen blutigen Abnutzungskrieges, mit der ständigen Eskalationsgefahr eines Atomkrieges vor Augen, vermeiden.

Dietmar Kinder, Elsdorf-Heppendorf

Opfer der Blindheit

Ich stamme aus Finnland, geboren 1932, und erinnere mich noch gut an den Winterkrieg 1939/40. Wer ihn erlebte, dem steckt er bis ans Lebensende in den Knochen. Letztes Jahr und schon früher sagte ich: "Das wird ein böses Erwachen geben!" Aber natürlich glaubte mir hierzulande niemand. Kaja Kallas, die Premierministerin von Estland, und andere Osteuropäer haben es immer wieder gesagt. Auch ihnen glaubte niemand. Wir Osteuropäer sind ja pathologisch russophob! Nun sollte der Westen wenigstens konsequent den Opfern seiner Blindheit helfen, und das um jeden Preis. Und in unserem eigensten Interesse. Was wir jetzt verweigern, wird uns eines Tages ein Mehrfaches kosten.

Thelma von Freymann, Diekholzen

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