Süddeutsche Zeitung

Bildungsinitiativen von Unternehmen:Hilf dir selbst

Lesezeit: 4 min

Der Fachkräftemangel setzt Mittelständlern mittlerweile so stark zu, dass einige eigene Akademien gründen, um dort Personal auszubilden.

Von Bärbel Brockmann

Das Problem des Fachkräftemangels spitzt sich in Deutschland zu. Der Mangel betrifft mittlerweile die gesamte Volkswirtschaft. Es fehlen Leute in Produktionsbetrieben ebenso wie im Dienstleistungssektor, in der freien Wirtschaft ebenso wie im öffentlichen Dienst. Noch vor ein paar Jahren gefielen sich Manager dieser oft familiengeführten Firmen darin, zu sagen, ja, es gebe zwar eine Lücke, aber die Personalprobleme hätten andere, weniger attraktive Unternehmen. Inzwischen geben auch sie zu, händeringend Personal zu suchen.

Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hat sich die Fachkräftelücke, also die Zahl der offenen Stellen, für die es rechnerisch bundesweit keine passend qualifizierten Arbeitssuchenden gibt, im Jahresverlauf 2021 mehr als verdoppelt.

Besonders ausgeprägt ist demnach der Anstieg der Fachkräftelücke bei Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung. Hier lag der saisonbereinigte Wert der Fachkräftelücke im Dezember 2021 rund 124 Prozent über dem Wert der Fachkräftelücke im Januar 2021. Im Dezember konnten 41 Prozent aller offenen Stellen nicht mit passend qualifizierten Arbeitssuchenden besetzt werden, während es im Januar noch 27 Prozent waren.

Was ist zu tun? Vielfach wird der Ruf nach einem Einwanderungsgesetz laut, das es qualifizierten Leuten außerhalb der EU ermöglichen soll, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Vor allem Unternehmen drängen darauf und versuchen über ihre Lobbyverbände entsprechenden Druck auf die Regierung zu machen. Ob es dazu kommt und ob dann auch tatsächlich die erhofften Millionen gut ausgebildeter Leute aus aller Herren Länder ins Land strömen, muss abgewartet werden. Bis dahin bleibt den hiesigen Arbeitgebern nichts anderes übrig, als sich selbst zu helfen. Und das heißt in erster Linie, ihr Unternehmen attraktiv zu machen für neue Mitarbeiter, aber auch für die, die bereits an Bord sind.

Der Maschinenbauer Kurtz Ersa hat eine eigene Ausbildungsfirma gegründet

Standardmäßig gehört dazu inzwischen das Angebot flexibler Arbeitszeiten. Vor der Corona-Pandemie noch weithin undenkbar, ermöglichen heute auch die Chefs in kleineren mittelständischen Unternehmen ihrer Belegschaft, wenigstens einen Teil der Arbeitszeit von zu Hause zu erledigen. Viele stellen dafür auch schon die Arbeitsmittel zur Verfügung, also Laptops, Bürostühle und vieles mehr. Mitarbeiter in der Produktion, die ihren Arbeitsplatz naturgemäß nicht verlassen können, bekommen vielfach schon Kompensationen, sei es in Form von Geld oder zusätzlichen Urlaubstagen.

Der mittelständische Maschinenbauer Kurtz Ersa aus Kreuzwertheim in Unterfranken fing schon vor einigen Jahren damit an, sein benötigtes Personal gezielt selbst aufzubauen. Um überhaupt Auszubildende in den gewerblichen Lehrberufen zu finden, nimmt man dort beispielsweise auch Jugendliche ohne Schulabschluss auf und bringt sie intern so weit, dass sie die Anforderungen der Ausbildung erfüllen und auch einen Abschluss erzielen. "Mittlerweile haben wir eine eigene Ausbildungsfirma gegründet. Alle Auszubildenden unserer Firmengruppe sind in dieser GmbH. Dort können die jungen Leute sehr präzise geschult werden", sagt Geschäftsführer Uwe Rothaug.

Parallel dazu hat Kurtz Ersa eine eigene Akademie gegründet, in der sich alle Mitarbeiter weiterbilden können. Dort kann man sich beispielsweise zum Staplerfahrer ausbilden lassen, Excelkurse belegen oder auch lernen, wie man eine Bilanz liest. "Das alles ist nötig, weil wir professionell ausgebildete Mitarbeiter brauchen. Die Firma profitiert davon und die Mitarbeiter auch. Sie können sich kostenlos während der Arbeitszeit weiterbilden. Wir bieten auch Ausbildungen an, die an Universitäten anerkannt sind", erklärt Rothaug.

Das alles lässt sich Kurtz Ersa jedes Jahr viel Geld kosten, aber die Rechnung geht offenbar auf. Nicht nur bleibt das vorhandene Personal der Firma treu, sie bekommt auch neue Mitarbeiter. Vor allem für akademisch ausgebildete Nachwuchskräfte sei die Akademie ein Angebot, mit dem man punkten könne. Seither sei die Zahl der akademischen Bewerber deutlich gestiegen, sagt Rothaug. Sie kämen nicht nur aus der Gegend, sondern von überallher in Deutschland.

Einige Unternehmen finanzieren gemeinsam eine internationale Schule

Vereinzelt arbeiten Unternehmen einer Region auch schon gemeinsam am Projekt Fachkräftegewinnung. Im westfälischen Olpe haben sich zum Beispiel 20 Firmen und Einrichtungen wie die IHK zusammengetan, um eine internationale Schule am örtlichen Gymnasium aufzubauen und zu finanzieren, auf der man den weltweit anerkannten Abschluss International Baccalaureate (IB) erwerben kann. Mit dem Schulprojekt werden zwei Ziele verfolgt. Zum einen sollen Schüler und Schülerinnen aus der Region nach dem IB -Abschluss eine internationale akademische Laufbahn einschlagen und dann später als Hochqualifizierte in den heimischen Firmen arbeiten. Zum anderen gehen die Kooperationspartner davon aus, dass die Region für Fachkräfte aus dem Ausland attraktiver wird, wenn man ihnen eine Schule für ihre Kinder anbieten kann, in der sie in Englisch, Französisch oder Spanisch unterrichtet werden können.

Das Problem des Fachkräftemangels ist in vielen Industrieländern zu spüren. Beispielhaft hat das die Lernplattform Udacity zusammen mit dem Marktforschungsunternehmen Ipsos zuletzt für die Software- und IT-Branche untersucht. Im Sommer 2021 haben sie hier über 2000 Führungskräfte und mehr als 4000 Mitarbeiter aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland zur Arbeitsmarktlage befragt. Ein Ergebnis der Befragungen war, dass der Mangel an einsatzbereiten Fachkräften die weitere Entwicklung der Branche massiv zu beeinträchtigen droht. Ein anderes ist die Einsicht, dass es daher zwingend notwendig ist, Mitarbeiter im Unternehmen weiterzubilden. Wer darauf hofft, am Arbeitsmarkt das nötige Personal zu bekommen oder darauf setzt, dass die Mitarbeiter Wissenslücken selber extern füllen, wird scheitern, so das Fazit.

Die Babyboomer gehen so langsam in Rente. Sie hinterlassen eine Lücke im Arbeitsmarkt, denn es kommen aufgrund der demografischen Entwicklung nicht mehr so viele Jüngere nach. Das statistische Bundesamt schätzt, dass die Bevölkerung im Erwerbsalter bis 2035 um vier bis sechs Millionen sinken wird. Ein Einwanderungsgesetz könnte helfen, das Problem zu lindern. "Wir brauchen das, wenn wir Deutschland als Industriestandort erhalten wollen", sagt auch Rothaug. In der Produktion von Kurtz Ersa arbeiten heute schon viele Immigranten oder Kinder von Einwanderern. Aber Fachkräfte aus dem Ausland allein werden wohl nicht reichen. Die Unternehmen tun also gut daran, sich schon heute mit allen denkbaren Mitteln um ihren Nachwuchs selbst zu kümmern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5581987
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.