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Kinder haben frei, Eltern arbeiten:Buß- und Stresstag

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Chaos um den Buß- und Bettag: Vielerorts haben Schüler frei, doch ihre Eltern müssen arbeiten. Das schafft Probleme bei der Betreuung - und die Lehrer sind besonders blöd dran.

Johann Osel

Eigentlich möchte es Maria Lampl gar nicht so drastisch formulieren - "meine Kinder würden mir an die Gurgel springen", sagt sie. Aber dann plädiert die Vorsitzende des Bayerischen Elternverbands doch für einen Tag weniger Schulferien: Am Buß- und Bettag solle wieder Unterricht stattfinden. Während Kinder an diesem Mittwoch zu Hause bleiben, müssen ihre Eltern arbeiten.

Viele Familien stellt das vor Betreuungsprobleme: Wer keine Oma vor Ort hat oder keine andere Betreuung bezahlen kann, muss im schlimmsten Fall eigens Urlaub nehmen. 1994 wurde der Buß- und Bettag zugunsten der Finanzierung der Pflegeversicherung als arbeitsfreier Feiertag gestrichen. Nur Sachsen behielt ihn offiziell bei. In den anderen Bundesländern hingegen entstanden zum Teil fatale Eigenheiten bei der Schulpflicht.

Besonders problematisch ist das in Bayern: Dort haben die Schüler zwar frei, aber nicht die Lehrer: Sie haben unterrichtsfrei, aber nicht dienstfrei. Laut Ministerium muss nur "Lehrkräften, die dies wünschen, Gelegenheit zum Kirchgang gegeben werden". In den meisten Schulen fänden Konferenzen und Fortbildungen statt, stellt Klaus Wenzel klar, der Chef des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV). "Es ist nicht so, dass wir uns einen schönen Tag machen", betont er.

Doch dies werde in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, weshalb sich Wenzel jährlich wieder über "diese leidige Debatte" ärgert. "Die Feiertagsregelung schadet uns. Der Lehrerberuf hat ja ohnehin nicht die höchste Reputation - und dann entsteht noch der Eindruck, wir hätten hier Privilegien." Der BLLV fordert deshalb die Wiedereinführung des Buß- und Bettags - vor allem auch im Sinne der berufstätigen Eltern. Jedoch springen einzelne Schulen tatsächlich ein und betreuen die Kinder trotz Ferien, auch kommunale Einrichtungen und Pfarreien zeigen sich teils kooperativ.

Paradox mutet auch die Situation in Berlin an: Auf Bitte der evangelischen Landeskirche wurde dort 2009 entschieden, dass evangelische Kinder am Buß- und Bettag nicht zur Schule kommen müssen; die Eltern oder Schüler ab 14 sollten dies nur vorab der Schule mitteilen. Das Ausmaß, in dem dies angenommen werde, reiche von "kaum" bis "erheblich", sagt eine Sprecherin der Senatsverwaltung; der Leiter des Zehlendorfer Werner-von-Siemens-Gymnasiums, Ulrich Janotta, kommentiert die Regel mit den Worten: "Da kann natürlich mancher plötzlich seine Liebe zur Kirche entdecken." Schlimmer findet Janotta aber, dass die Regelung "enormen Verwaltungsaufwand" verursache. 2009 sei die Änderung spontan gekommen, Klausuren standen damals zur Disposition. Aktuell fällt - zufällig - der Wandertag der Schule auf den Buß- und Bettag.

Das Chaos bei diesem Feiertag hat Tradition. Als die Türken das christliche Europa zu erobern drohten, wurde 1532 per kaiserlichem Erlass erstmals ein Buß- und Bettag angeordnet. Bald stieg die Zahl solcher Tage rasant an: Im 19. Jahrhundert gab es regional aufgefächert Bußtage an insgesamt 24 verschiedenen Tagen. Mit dem Hin und Her ging es weiter: Unter Hitler wurde der Feiertag auf einen Sonntag gelegt und damit quasi abgeschafft, bevor er dann in der Bundesrepublik bis 1994 wieder existierte. Evangelische Pfarrer legen den Schwerpunkt ihrer Bußtagspredigten heute oft auf soziale Themen wie Armut - nicht als Blick zurück, sondern als Neuorientierung. Die würden sich auch viele Eltern und Lehrer wünschen.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2010
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