Süddeutsche Zeitung

Bildungspolitik und Föderalismus:Jahrmarkt der Eitelkeiten

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Laut einer neuen Studie hat sich das deutsche Bildungssystem verbessert, ein Bundesland steht besonders gut da. Doch trotz Pisa-Schock läuft viel zu viel falsch - eine Abrechnung.

Thorsten Denkler

Wenn es um Bildungspolitik geht, dann darf auch schon mal die eigene Ehefrau korrigierend eingreifen. Nicht, dass da Frauen nichts zu sagen hätten. Aber Peter Raumsauer, Chef der mächtigen CSU-Landesgruppe im Bundestag, hat den Unterpunkt Bildung im Landtagswahlprogramm seiner Partei gleich mal seiner Frau zu lesen gegeben. Deren Korrekturen seien dann auch prompt übernommen worden, heißt es. Fragt sich, wofür es Bayern noch einen Kultusminister braucht, wenn es auch Ramsauers Ehefrau kann.

Dabei ist Bildung wichtig für die Länder. Sie gehört zu den wenigen elementaren Kompetenzen, die ihnen nahezu alleine zustehen. Auf äußere Einmischung reagieren sie allergisch bis gereizt. Gerne werden Forderungen von Bundesseite an die Kultusminister mit dem immergleichen Schlachtruf übertönt: Bund, halt dich raus, Bildung ist Ländersache.

Gerne lassen sich die Länder ihre vermeintlichen Erfolge bescheinigen. Nach dem an diesem Mittwoch veröffentlichten "Bildungsmonitor 2008" darf sich Sachsen rühmen, die Spitzenposition unter den 16 Ländern einnehmen zu können. Hinter Sachsen folgen Baden-Württemberg, Thüringen und Bayern. Schlusslichter sind Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern.

Initiatoren der Studie sind das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft und die nicht weniger wirtschaftsfreundliche Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Entsprechend ist die Studie augerichtet. Weniger gute Schüler gehören hier zu den "Risikogruppen", es geht um Akademisierungsgrade, um Inputeffizienz und Ausgabenpriorisierung. Eltern, die wissen wollen, ob ihre Kinder in diesem Bildungssystem zu selbstbewussten Persönlichkeiten heranwachsen können, bekommen in solchen Studien keine Antworten.

"Königin ohne Land"

Eine Vielzahl von Defiziten bleibt also bestehen, das weiß auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie versucht, gerade Bildung zu einem nationalen Thema zu machen. Sie ist bis Ende Oktober unterwegs auf Bildungsreise durch zehn von 16 Bundesländern und lädt im Anschluss zu einem Bildungsgipfel nach Dresden. Merkel hat die "Bildungsrepublik Deutschland" ausgerufen.

Das klingt seltsam, hat sie doch maßgeblich mit dazu beigetragen, dass der Bund mit der Reform des Föderalismus bis auf ein paar Krumen alles was Bildung ist, an die Länder abtreten musste. Da ziehe "eine Königin ohne Land" durch die Gegend, lästern die Grünen. Allerdings wird dabei gerne vergessenen: Aus der frühkindlichen und der Schulbildung hatte sich der Bund schon vor der Föderalismusreform rauszuhalten. Lediglich ein paar Hochschulkompetenzen sind damals vollständig an die Länder gegangen.

Schulen als Bruchbuden

Die Empfindlichkeiten der Länder in dieser Sache aber gehören zu den größten Hemmnissen einer guten Bildungspolitik. Trotz Pisa-Schock läuft in den Schulen und Kindergärten mehr schief, als sich das Land auf Dauer leisten könnte. Nach wie vor verlassen zu viele Jugendliche die Schule ohne Abschluss. Deutschunterricht wir auch für deutsche Kinder zunehmend zum Unterricht in DaF - Deutsch als Fremdsprache. In vielen Fächern stagnieren die Leistungen.

Viele Schulen ähneln Bruchbuden. Putz blättert, es regnet durchs Dach, im Winter frieren die Kinder, im Sommer schwitzen sie. Kein Angestellter würde sich solche Arbeitsbedingungen gefallen lassen. 78,5 Milliarden Euro müssten sofort investiert werden, um alle Schulen auf einen halbwegs passablen Stand zu bringen, schätzt das Deutsche Institut für Urbanistik.

Karussell für jeden Minister

Und nach wie vor ist jeder Kultusminister überzeugt, die bundesweit beste Bildungspolitik zu betreiben. Auf dem Jahrmarkt der föderalen Eitelkeiten hat jeder Kultusminister ein eigenes Karussell stehen.

Es gibt Fortschritte seit dem Pisa-Schock. Experten nennen meist die einheitlichen Bildungsstandards für Haupt- und Realschulabschlüsse. Oder das Zentralabitur, das in 15 Bundesländern eingeführt ist. Nur in Rheinland-Pfalz nicht. Aber das war es dann auch im Wesentlichen.

Auf der nächsten Seite: Warum die größte Variable für eine gelungene Schulkarriere das Glück ist.

Riesiges Leistungsgefälle

Dabei hätten die Bildungspolitiker in den Ländern noch reichlich zu tun. Es gehört etwa zu den ungern wahrgenommen Erkenntnissen der Pisa-Studien, dass es zwar Unterschiede zwischen den Ländern gibt - das Leistungsgefälle von Schule zu Schule, schlimmer noch, von Klasse zu Klasse, aber oftmals weitaus größer ist.

Die größte Variable für eine gelungene Schulkarriere ist: Glück. Vor allem: Glück, an den richtigen Lehrer zu geraten. Eltern, die verzweifelt nach der "richtigen Schule" für ihren Nachwuchs fahnden, kann nur geraten werden: Lasst es. Nehmt die Schule, die am nächsten liegt. Dann ist wenigstens sicher, dass die Kinder zu Hause sind, bevor es im Winter dunkel wird.

Dabei gibt es Schulen, die im bestehenden System Leuchtturmcharakter haben. Jährlich vergibt etwa die Robert-Bosch-Stiftung den Deutschen Schulpreis an solche Schulen, an denen sich Kinder, Eltern und Lehrer gleichermaßen wohlfühlen, an denen Lernen Spaß macht und dennoch die Leistungen stimmen.

Dahinter stecken meist engagierte Schulleiter, die Kollegen, Kinder und Eltern gleichermaßen begeistern können. Ein Beispiel: Die Robert-Bosch-Gesamtschule in Hildesheim, Preisträger des Jahres 2007. Hier arbeiten die Lehrer in Jahrgangsteams zusammen, hospitieren gegenseitig im Unterricht und fragen ihre Schüler, was sie besser machen können. Und 150 ehrenamtliche Eltern organisieren Gruppenstunden am Nachmittag. An solchen Schulen hängt es nicht vom einzelnen Lehrer ab, ob ein Schüler Erfolg hat. Hier garantiert die Schule als Ganzes bestmögliche Betreuung.

Gemeinsame Lernziele

Es sind Einzelfälle. Das es dabei nicht bleiben muss, zeigt Finnland. Während in Deutschland jeder vierte angehende Lehrer einfach nicht weiß, was er sonst aus seinem Leben machen soll, gilt dort ein Lehramtsstudiengang als ebenso erstrebenswert wie ein Medizin- oder Jurastudium.

Lehrer werden dort als Partner angesehen. Hier sind sie Gegner. Dort werden gemeinsam mit Eltern und Kindern Lernziele vereinbart. Hier werden Eltern als lästige Randerscheinungen des Lehrerberufs wahrgenommen. Deren Kinder haben bitte zu funktionieren.

Hier gibt es Geld nach dem Senioritätsprinzip. Je älter, desto teurer. Ob auch besser, danach fragt keiner. Dort haben Lehrer etwas davon, wenn sie sich besonders engagieren: mehr Anerkennung und auch mehr Geld.

Kürzlich erschien eine aufschlussreiche Studie über das weit verbreitete Burn-Out-Syndrom bei Lehrern. Der Frankfurter Bildungsforscher Udo Rauin hat über mehrere Jahre 1100 Lehrer von der Ausbildung bis weit in den Beruf hinein begleitet. Fazit: Die meisten ausgebrannten Lehrer hätten nie für ihren Beruf gebrannt.

Missgunst im Kollegium

Das liegt auch an den überholten Auswahlkriterien. Hauptsache, die Note stimmt. Ob einer Schiss hat vor der Klasse zu stehen oder einfach Kinder nicht mag, wird kaum hinterfragt.

Kein Wunder, dass da oft der Weg des geringsten Widerstands erste Wahl ist. Als in einer der Iglu-Studien, in der die Leistungen von Grundschülern getestet werden, Lehrer gefragt wurden, woran es liege, wenn ein Schüler schlecht sei, antwortete der überwiegende Teil der Lehrer: Es liege am Schüler. Soviel zum Selbstverständnis des deutschen Schulwesens.

Engagierte Lehrer gibt es viele. Sie stoßen schnell an ihre Grenzen. Missgunst im Kollegium, Schulleiter, die alles lieber lassen möchten, wie es schon immer war. Frust statt Anerkennung von Kollegen. Dankbar sind nur die Kinder. Immerhin.

Das Lehrerleben würde schon leichter, wenn jeder in der Schule einen Arbeitsplatz und einen eigenen Computer hätte. Sie könnten dann in der Schule arbeiten, wären ansprechbar für Kinder und Eltern. Aber an manchen Schulen hat nicht mal jeder Lehrer eine Mail-Adresse. Es lebe das Zettelfach im Lehrerzimmer.

Die Schulleitung ist die Schlüsselposition, wenn es darum geht, Schulen neu auszurichten. Ohne sie geht es nicht. Und gegen sie geht nichts. Das Problem: Im deutschen Schulwesen sind Schulleiter in erster Linie Schulverwalter. Als Schulgestalter begreifen sich die wenigsten. Eine entsprechende Ausbildung gibt es - wenn überhaupt - nur in Ansätzen.

Falsche Rücksichtnahme

In den USA ist Schulleitung ein eigener Beruf. In Israel werden angehende Schulleiter eineinhalb Jahre auf den neuen Job vorbereitet. Österreich wählt Aspiranten auf Leitungspositionen in Assessment-Centern aus.

In Köln immerhin gibt es einen Masterstudiengang Schulleitung. Hier können sich seit Oktober 2007 Lehrer über vier Semester in Schulmanagement und Qualitätsentwicklung fortbilden lassen. Wie gesagt: sie können. Sie müssen nicht. In Deutschland reicht meist die Empfehlung des Vorgängers, um auf dessen Stuhl Platz nehmen zu dürfen. Es kommen so nicht immer die Besten oben an.

Manche Experten mahnen zur Geduld. Es müssten Prozesse in Gang gebracht werden, bei denen es gelte, möglichst viele Beteiligte mitzunehmen. Andere raten ab von falscher Rücksichtnahme. Wer auf den Letzten wartet, lässt alle anderen an sich vorbeiziehen. So funktioniert übrigens die Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder. Wenn etwas einheitlich geregelt werden soll, dann geht das nur einstimmig. Fast unmöglich bei 16 Ländern, mit 16 zum Teil höchst unterschiedlichen Interessen.

Rufe nach mehr Einheitlichkeit werden schon deshalb abgeblockt, weil sich in der KMK immer einer findet, der dagegen ist. Wir schaffen das schon, ruft der Kapitän auf sinkendem Schiff. Wer so die Bildungsmisere in Deutschland retten will, muss untergehen.

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