Süddeutsche Zeitung

Studie:Berufsschulen droht dramatischer Lehrermangel

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Von Larissa Holzki

Wer will fleißige Handwerker seh'n, der muss zu uns Kindern geh'n - das singen Jungen und Mädchen im Kindergarten. Und sie ahnen nicht, wie recht sie damit haben. Denn ihre Ausbildung zu Maler, Tischlerin oder Glaser ist nicht gesichert. Das zeigt eine Untersuchung des Bildungsforschers Klaus Klemm für die Bertelsmann Stiftung. Klemm hat ausgerechnet, wie viele Berufsschullehrer heutige Kinder brauchen und wie viele Lehrer in dualen Ausbildungsgängen und für ihre Vorbereitung auf die Fachhochschulreife tatsächlich bereitstehen werden. Es fehlen: Tausende. Und das ist nicht nur für die Eltern Grund zur Sorge.

Bis zum Jahr 2030 geht fast die Hälfte der circa 125 000 Berufsschullehrer in den Ruhestand. Etwa 60 000 neue Lehrkräfte werden in diesem Zeitraum benötigt. Die heutigen Lehramtsstudenten können diese Lücke nicht schließen. Besonders gravierend werde das Problem von 2030 an, prognostiziert Klemm. Dann werden die geburtenstarken Jahrgänge an die Berufsschulen kommen und noch mehr Lehrer brauchen. In den fünf Schuljahren von 2030/21 bis 2035/36 müssten jedes Jahr 6100 Berufsschullehrer neu eingestellt werden, schätzt der Forscher. Demgegenüber stünden nur 2000 dazu qualifizierte Studienabsolventen. Die Bertelsmann Stiftung geht damit von einem weitaus größeren Lehrermangel aus als die Kultusministerkonferenz.

Beim Stichwort Lehrermangel denken viele zunächst an die Grundschulen. Wenn dort der Unterricht ausfällt, spüren Eltern das sofort und protestieren für bessere Bildung. Für die Berufsschulen interessieren weniger Menschen. Was dort passiert, entzieht sich im Alltag der öffentlichen Wahrnehmung. Ein Problem, wenn Lehrer für diese Schulform gesucht werden.

Aber die Berufsschule hat organisatorisch auch Vorteile gegenüber der Grundschule: Die Zahl der benötigten Lehrer lässt sich langfristig absehen. Die Lehrer werden besser bezahlt als Kollegen an der Grundschule. Und Seiteneinsteiger sind als Berufsschullehrer oft sehr gut geeignet, wenn sie entsprechend weiterqualifiziert werden. Rund ein Drittel der Lehrkräfte an Berufsschulen sind keine ausgebildeten Berufsschullehrer. Unterrichtsinhalte überschneiden sich stärker mit dem bisherigen Arbeitsgebiet als das an allgemeinbildenden Schulen der Fall wäre. Ein Architekt etwa kann Bautechnik und Mathe unterrichten. Eine Designerin Farbtechnik und Englisch. Ihre Berufserfahrung verschafft ihnen bei den Auszubildenden oft eine natürliche Autorität bei den Schülern.

Ob Seiteneinsteiger oder studierte Berufsschullehrer: Sie tragen viel Verantwortung, wenn sie Schüler durch die duale Ausbildung begleiten oder auf die Fachhochschulreife vorbereiten. An den Berufsschulen wird maßgeblich die gesellschaftliche Entwicklung bestimmt, heute mehr denn je. Einerseits sammeln sich dort viele Schüler, die sich in der Schule schwertun oder mit 16 Jahren einfach keine Lust zum Lernen haben. Es braucht gute Lehrer, um sie zu motivieren und in den Berufseinstieg zu begleiten. An der Berufsschule entscheidet sich, ob sie gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben oder ob ihnen ein Leben mit Minijobs und Arbeitslosengeld bevorsteht.

Andererseits hängt die Frage der Flüchtlingsintegration von den Berufsschulen ab. In Bayern und Niedersachsen etwa werden junge Geflüchtete in Sprachförderklassen aufgefangen. An den berufsbildenden Schulen können sie auch ihren Schulabschluss machen. Viele Zugewanderte haben nur eine geringe Schulbildung oder ihre Zeugnisse werden nicht anerkannt.

Noch könnte der ganz große Mangel verhindert werden

Bietet ein Handwerksmeister ihnen einen Ausbildungsplatz an, ist das ein großes Glück. Schwieriger als der praktische Teil fällt ihnen oft aber der theoretische: Manche haben kaum Mathematik gelernt und können nur Arabisch schreiben. Gemessen daran, ist das Niveau hoch. Und in einer Maler- oder Dachdeckerklasse sitzen teilweise auch Abiturienten. Lehrer müssen auf diese unterschiedlichen Vorkenntnisse reagieren, meist ohne speziell dafür geschult worden zu sein.

Und dann ist da noch eine dritte gesellschaftliche Herausforderung, der die Berufsschulen begegnen müssen und der sie sich von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt stellen. Es wird viel gesprochen und gestritten über das Abiturniveau: Nach Meinung vieler Experten sinkt es stetig, mit dem Ziel, mehr Schülern ein Universitätsstudium zu ermöglichen. Die Unternehmen brauchen aber auch Bewerber mit Berufsausbildung. Die Berufsschulen müssen daher um Schüler werben.

Der Fachkräftemangel bringt sie dazu, um geringere Anforderungen in Gesellenprüfungen zu ringen - und der Zeitgeist. Weil Heranwachsende früher mehr Zeit im Keller oder Schuppen mit Tüfteln und Werkeln verbracht haben, hatten sie oft schon vor der Ausbildung handwerkliche Fertigkeiten. Heutige Auszubildende haben ihre Freizeit häufiger am Computer verbracht. In vielen Berufen brauchen sie deshalb mehr Zeit als Generationen vor ihnen. Die vorherrschende Debatte um Laptops für Schulen und Akademisierung geht an einem großen Teil der Gesellschaft vorbei.

Die Ausbildung von Berufsschullehrern dauert mehr als sieben Jahre. Die Bertelsmann-Studie kommt zu dem Schluss: Noch kann die Politik den ganz großen Berufsschullehrermangel verhindern. Es wäre wichtig, um das Auseinanderdriften der gesellschaftlichen Gruppen zu begrenzen und den Mangel an Fachkräften nicht noch zu verschärfen. Wer heute einen fleißigen Handwerker seh'n will, muss oft viele Wochen auf den Dachdecker warten.

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