Süddeutsche Zeitung

Beförderung von Maaßen:"Wegloben kommt in vielen Unternehmen vor"

Lesezeit: 4 min

Beförderung trotz zweifelhafter Eignung, das gibt es nicht nur im Fall Maaßen. In vielen Unternehmen etablieren konfliktscheue Vorgesetzte Elefantenfriedhöfe für altgediente Mitarbeiter.

Von Larissa Holzki

Es ist ein Irrtum zu glauben, dass stets die besten Mitarbeiter befördert werden. Weder führt gute Leistung automatisch nach oben, noch muss Fehlverhalten zwangsläufig der Karriere schaden. Der Fall Hans-Georg Maaßen ist einmal mehr Beleg dafür: Als Verfassungsschutzpräsident hat er sich solche Fehltritte geleistet, dass er in dieser Position nicht mehr haltbar war. Dafür bekommt er von seinem Vorgesetzten nun einen Job, der noch besser bezahlt ist. Und das ist gar nicht ungewöhnlich.

Beförderung bei Unvermögen? Ja, das gibt es auch in der Wirtschaft. "Wegloben kommt in vielen Unternehmen vor, die meisten Führungskräfte haben das schon erlebt und gesehen", sagt Heidi Stopper. Nach ihrer eigenen Konzernkarriere und einer Station als Personalvorstand bei ProSiebenSat.1 hilft sie als Coachin heute Managern, Machtstrukturen zu verstehen und sich darin durchzusetzen.

Der Fall Maaßen ist speziell, weil von vielen Seiten schon sein Rauswurf gefordert wurde. Dass er in einem Interview die Echtheit eines Videos anzweifelte, das Angriffe auf Ausländer zeigt, ohne konkrete Hinweise zu nennen, hätte auch einen Rausschmiss gerechtfertigt. Ein Glück für Maaßen, dass sein Vorgesetzter Horst Seehofer nicht nach dem Schwarz-Weiß-Prinzip verfährt. Das Verhalten von Maaßen in den vergangenen Wochen lässt ihn nicht grundsätzlich an den Fähigkeiten seines Mitarbeiters zweifeln - und eine Herabstufung in der Besoldungsgruppe wäre nach dem Beamtenrecht wohl auch nicht ohne weiteres möglich gewesen.

Dass jemand in seiner Position einfach nicht die erwartete Leistung zeigt und deshalb auf einen anderen Posten verschoben wird, ist gängig. Den unvermögenden Mitarbeiter für höhere Aufgaben zu empfehlen, schützt ihn vor dem Gesichtsverlust. Ebenso beliebt ist diese Methode deshalb bei Führungskräften, die mit einem Mitarbeiter nicht zurechtkommen. "Eine konfliktscheue Führungskraft lobt gerne weg, weil er oder sie dann um die Auseinandersetzung herumkommt", sagt die Managementexpertin Stopper. Und auch in einem zweiten Fall ist die Beförderung ein beliebter Ausweg: "Wenn man sich durch eine Trennung selbst beschädigt oder eine mächtige Person ihre schützende Hand über den Mitarbeiter hält, wird sehr gerne das Instrument des Weglobens benutzt".

"Da entsteht der Eindruck, da müsse jemand nur versorgt werden"

Wegloben statt absägen ist auch dann probat, wenn das Machtgefüge in der Organisation durch einen Rauswurf ins Rutschen kommen würde. Die Mächtigen haben meistens ein Interesse daran, alles beizubehalten, wie es ist: "Durch eine Beförderung, die vielleicht auch nur wie ein Aufstieg aussieht, kann unter Umständen vermieden werden, dass intern weitere Rangeleien und Diskussionen ausgelöst werden", sagt Stopper.

Ganz ohne Reibungsverluste geht das Positionsgeschacher jedoch meist nicht vonstatten. "Bei Mitarbeitern kann es großen Frust auslösen, wenn der Falsche befördert wird, nur weil der irgendwo weg soll", sagt Stopper. Für Arbeitnehmer, die über einen Wechsel nachdenken, ist es ratsam, die Stimmung rund um Wechsel innerhalb des Unternehmens zu beobachten: "Nirgendwo zeigt sich die Kultur eines Unternehmens besser als bei der Frage: Wer wird befördert und wer wird entlassen?"

Für den Wirtschaftspsychologen Uwe Kanning von der Hochschule Osnabrück ist klar, dass im Fall Maaßen gleich zwei Fehler gemacht wurden. Sie haben nichts mit der Person zu tun, sondern mit den Prinzipien von Personalauswahl und -entwicklung: "Erstens hat hier jemand seinen bisherigen Job offenbar nicht gut erledigt und anstatt sich zu fragen, wie kann man dem helfen und ihn weiterentwickeln, wird er befördert. Zweitens zeigt sich, dass hier eine extrem wichtige Position ohne systematische Eignungsüberprüfung besetzt wird. Da entsteht leicht der Eindruck, da müsse jemand einfach nur versorgt werden."

Unmittelbare Folgen hat so eine fragwürdige Besetzungspraxis allerdings selten. Vor allem im politischen Geschäft sind es Mitarbeiter gewohnt, dass Stellen auch nach politischen Erwägungen vergeben werden. Aber auch für Unternehmen gilt nach der Erfahrung von Heidi Stopper, dass Mitarbeiter in aller Regel keinen Aufstand machen, wenn sie mit einer neuen Führungskraft nicht einverstanden sind - ihnen bleibe nichts anderes übrig: "Wenn derjenige in der neuen Position dann einen guten Job macht, ist man auch schnell bereit zu vergessen, wie der da hingekommen ist."

Schönreden will Stopper diese Vorgehensweise aber nicht. "Für die Unternehmenskultur und Glaubwürdigkeit von Chefs ist Wegloben Gift", sagt sie. Auch Uwe Kanning hält den Vorgang für verheerend für die Mitarbeitermotivation und das Klima. "Einer Juristin zum Beispiel, die seit 20 Jahren in dem Ministerium ihren Job richtig gut macht, signalisiert das: Leistung zählt nur bis zu einer bestimmten Ebene", sagt Kanning. Oberhalb der Referatsleitung gehe es wohl nur um die richtigen Beziehungen, Leistung sei egal.

Bei Hans-Georg Maaßen wird auch die Öffentlichkeit beobachten, ob er seiner neuen Aufgabe gewachsen ist. Er soll künftig für die Bundespolizei, Cyber- und Informationssicherheit sowie die öffentliche Sicherheit zuständig sein. Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe.

Oft werden Mitarbeiter aber auch auf Stellen gesetzt, auf denen sie nicht mehr viel Schaden anrichten können. "In fast jedem Unternehmen gibt es einen Elefantenfriedhof, auf den hochrangige Mitarbeiter verschoben werden, wenn man sie nicht mehr so richtig brauchen kann", sagt Heidi Stopper. Die Betroffenen selbst sehen das meist aber nicht als Abstieg: "Um sich nicht noch degradierter zu fühlen, begeben sie sich gerne unter ihresgleichen und bestätigen sich gegenseitig. Der Mensch hat eine unglaubliche Gabe, sich die Welt schönzureden."

Pokern sollte man auf einen Ehrenplatz besser nicht

Die Situation schönreden werden sich möglicherweise aber auch die Verantwortlichen. Gerade bei älteren und verdienten Mitarbeitern ist es unangenehm, anzusprechen, dass Fähigkeiten nachlassen. "Man traut sich in Deutschland oft nicht, jemanden, der über 50 ist und eine Karriere hingelegt hat, noch mal kritisch auf seine Eignung hin zu überprüfen, wenn es um eine neue Stellenbesetzung geht. Das ist aber trotzdem nicht richtig", sagt Uwe Kanning.

Einen Masterplan, wie man sich durch kalkuliertes Fehlverhalten einen gut bezahlten Ehrenplatz verdient, kann weder die Managementberaterin noch der Psychologe aufzeigen. "Das kann nur funktionieren, wenn ich mir total sicher bin, dass ich für jemanden in einer hochrangigen Position so immens wichtig bin, dass er sich meine Entlassung nicht leisten kann. Aber das ist ein Lotteriespiel", sagt Uwe Kanning.

Und auch Heidi Stopper weiß keine ultimative Strategie, um mit 20 Prozent mehr Lohn im Monat aus dem Weg geräumt zu werden: "Das gleiche Verhalten kann beim einen zur Trennung führen und beim anderen zum Wegloben." In verschiedenen Unternehmenskulturen gelten zudem unterschiedliche Regeln: In einem Unternehmen zähle nur Leistung, in dem anderen käme es mehr auf den Beitrag zur guten Gemeinschaft an. Entscheidend sei auch, wie die politische Lage und die Stimmung im Umfeld ist. "Wenn man es provozieren will, geht es meistens nach hinten los", sagt Stopper.

Maaßen ersetzt auf seinem neuen Posten übrigens den einzigen Sozialdemokraten unter den Staatssekretären im Innenministerium. Diese Art von Machtverschiebung ist aus Sicht von Seehofer offenbar unproblematisch.

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