Süddeutsche Zeitung

Urteil im Fall Muhammet:Herzkranker Junge hätte Aussicht auf Spenderorgan bekommen müssen

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Die Eltern des verstorbenen herzkranken Jungen Muhammet haben einen späten Sieg vor Gericht errungen. Ihr Sohn hätte wohl einen Listenplatz für eine Herztransplantation bekommen müssen. Die Ärzte hatten ihm ein neues Organ verweigert.

Von Christina Berndt

Für die Eltern des herzkranken Jungen Muhammet Eren Dönmez ist es ein Stück späte Gerechtigkeit. Ihr Kind ist im vergangenen November verstorben, nachdem es keinen Platz auf der Warteliste für eine Herztransplantation bekommen hatte. Auch eine Klage gegen das Universitätsklinikum Gießen-Marburg, das die Transplantation verweigerte, hatte nichts genützt: Das Landgericht Gießen stärkte damals die Entscheidung der Ärzte. Nun aber hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt signalisiert, dass es womöglich nicht rechtens war, Muhammet einen Platz auf der Warteliste vorzuenthalten.

In der Entscheidung des OLG ging es nur noch ums Finanzielle. Das Gericht verfügte, dass sich die beiden Parteien - die Eltern und das Klinikum - die Kosten für das Verfahren teilen müssten. "Damit hat das OLG deutlich gemacht, dass die Berufung gute Erfolgsaussichten hatte", sagt Oliver Tolmein, der Hamburger Anwalt der Familie Dönmez. Denn üblicherweise muss die unterlegene Partei für die Kosten aufkommen. Womöglich hätte das OLG also anders entschieden, wenn es noch ein Urteil über Muhammets Anrecht auf einen Wartelistenplatz hätte fällen müssen, was durch den Tod des Zweijährigen obsolet war.

Wegen einer Hirnschädigung wurde Muhammet nicht operiert

Aus dem Urteil geht hervor, dass nach Auffassung der Frankfurter Richter alle Menschen, die ein Spenderorgan benötigen und bei denen die Transplantation nicht völlig aussichtslos ist, grundsätzlich einen Anspruch auf einen Listenplatz haben. Laut Transplantationsgesetz geht es bei der Vergabe von Spenderorganen um Dringlichkeit und Erfolgsaussicht. Letztere hielten die Gießener Ärzte bei Muhammet wegen seines Hirnschadens für relativ gering. Auf den Erfolg der Transplantation kommt es aber möglicherweise gar nicht so sehr an, so die Richter. Zwar sei dieser angesichts der Knappheit von Spenderorganen hoch einzustufen, aber es sei zumindest fraglich, "ob diese höheren Erfolgsaussichten durch eine Richtlinie der Bundesärztekammer bestimmt werden können". Denn die Ärztekammer stellt die Regeln für Transplantationen auf, obwohl sie keine staatliche Stelle ist, sondern ein privater Verein. Diese Fragen seien so kompliziert, dass in der Kostenentscheidung nicht darüber entschieden werden könne, so die Richter weiter. Deshalb urteilten sie, dass die Kosten zwischen den Parteien aufzuteilen seien.

Der Anwalt Tolmein begrüßte die Entscheidung: "Auch wenn es unserem Mandanten nicht mehr hilft, wird doch für künftige Verfahren deutlich, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen unzulänglich sind", sagte er. Der Rechtsschutz schwerkranker Patienten sei unzureichend, hatte jüngst der Jurist Thomas Gutmann von der Universität Münster kritisiert: "Das Transplantationsgesetz ist ein weißer Fleck auf der Karte der Rechtsstaatlichkeit."

Der Fall der kleinen Muhammet hatte viele Menschen in Deutschland und der Türkei bewegt und eine emotionale Debatte um die Vergabe von Spenderorganen ausgelöst. Gießener Ärzte hatten das todkranke Kind im März aus Istanbul an das Universitätsklinikum Gießen-Marburg kommen lassen, um ihm ein Spenderherz zu transplantieren. In der Türkei waren 400 000 Euro an Spendengeldern für die Operation gesammelt worden. Doch kurz vor der Abreise erlitt Muhammet einen Herzstillstand und in der Folge eine Hirnschädigung. Die Ärzte wollten ihn daraufhin nicht mehr auf die Warteliste setzen. Nicht nur die Eltern, auch Politiker und Behindertenverbände hatten die Entscheidung scharf kritisiert. Auch behinderte Menschen hätten ein Anrecht auf eine Organspende. Die Regeln für die Verteilung von Organen wurden daraufhin in Frage gestellt.

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