Süddeutsche Zeitung

Psychologie:Mehr eingebildete Nebenwirkungen bei teuren Therapien

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Der Preis von Medikamenten beeinflusst das Ausmaß der Wirkung. Dies gilt für den erwarteten Nutzen - aber auch für den Schaden.

Von Werner Bartens

Was viel kostet, muss auch gut sein. Nach diesem Motto gehen Weinliebhaber ebenso vor wie Restaurantbesucher und Autokäufer. Wer will sich schon eingestehen, dass er für seine Investition nur Mittelmaß bekommt? Dass Qualität nun mal ihren Preis hat, gehört gleichsam zum Grundwissen der Menschheit - auch wenn sich die Annahme immer wieder als falsch herausstellt und gelegentlich sogar gilt: Schlechtes muss nicht billig sein.

In der Medizin ist der Glaube an den Nutzen teurer Medikamente und kostspieliger Untersuchungen so verbreitet, dass er sich sogar dann entfaltet, wenn gar kein Wirkstoff in den Pillen vorhanden ist und eine Placebo-Behandlung vorgenommen wird. Bekommen Freiwillige Scheinmedikamente, berichten sie beispielsweise von einer stärkeren Schmerzlinderung, wenn ihnen gesagt wird, dass es sich dabei um teure Tabletten handelt. Die billigeren Mittel - in denen ebenfalls keinerlei Wirksubstanz enthalten ist - hätten hingegen nicht so gut geholfen.

Halten Probanden Handys für schädlich, bekommen sie auch von Attrappen Kopfschmerzen

Neurowissenschaftler aus Hamburg zeigen nun im Fachmagazin Science, dass die Preisgläubigkeit auch das Ausmaß des Nocebo-Effekts beeinflusst. Darunter verstehen Forscher, dass Nebenwirkungen oder andere unangenehme Folgen auftreten, wenn jemand nur stark genug von der Schädlichkeit eines Produkts oder Verhaltens überzeugt ist und fest mit Beschwerden rechnet. Die Erwartung bestimmt das Leid. So haben frühere Versuche gezeigt, dass Freiwillige, die Mobiltelefone für gesundheitsschädlich halten, auch Kopfschmerzen, Ohrensausen und Schwindel bekommen, wenn sie eine Handy-Attrappe am Ohr haben. Und immer wieder klagen Patienten in Studien über Nebenwirkungen und brechen die Behandlung ab, obwohl sie in der Placebo-Gruppe sind und nur Zuckerpillen erhalten.

Die Forscher um Alexandra Tinnermann hatten 49 Freiwilligen eine Salbe gegen Juckreiz angeboten, die tatsächlich jedoch keinerlei Wirkstoff enthielt. Den Probanden wurde außerdem vermittelt, dass die Salbe zwar helfen, aber leider auch die Schmerzempfindlichkeit erhöhen könnte. Einem Teil der Patienten wurde gesagt, dass sie einen teuren Balsam bekommen, der zudem in einer hochwertigen Verpackung überreicht wurde. Die anderen Teilnehmer wurden mit dem einfach verpackten vermeintlichen Billigprodukt behandelt. Wer die "kostspielige" Salbe erhielt, klagte später stärker über schmerzhafte Hitzereize. Der Nocebo-Effekt wurde mit der Zeit immer ausgeprägter.

"Teure Behandlungen verstärken die Erwartungshaltung, und das gilt in beide Richtungen", schreiben die Autoren. Der mögliche Nutzen einer Behandlung oder Untersuchung wird also ebenso überschätzt wie der mögliche Schaden. Produkten mit höherem Preis werden offenbar stärkere Wirkungen zugetraut - und damit auch heftigere Nebenwirkungen. Die Forscher konnten zudem zeigen, wo im Gehirn die Erwartungshaltung die Schmerzwahrnehmung aktiviert und welche Signalwege dabei besonders in Gebrauch sind.

Für die praktische Medizin und den Umgang mit Patienten sind die Erkenntnisse aus der Placebo- und Noceboforschung von großer Bedeutung. So ist aus Studien bekannt, dass bei Freiwilligen die Beschwerden zunehmen, sobald man ihnen sagt, dass die Medikamentengabe nun beendet würde - auch wenn sie zuvor nur ein Scheinmedikament und keinen realen Wirkstoff bekommen haben.

"Der Nocebo-Effekt hat Einfluss auf die Nebenwirkungen, den Heilungsverlauf und ob Patienten ihre Medikamente überhaupt einnehmen", schreibt Luana Colloca in einem begleitenden Kommentar. "Deshalb sollte die Kommunikation mit den Patienten ausgewogen und gezielt darauf zugeschnitten sein, welche negativen Erfahrungen die Kranken bereits hatten und was sie von der Behandlung erwarten." Die Erklärungen zu möglichen Nebenwirkungen sollten ebenso sorgfältig wie behutsam erfolgen - und Informationen über die Kosten der Therapie möglichst gleich unterbleiben.

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Quelle:
SZ vom 09.10.2017
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